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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Der alte y^rkorl

die Franzosen ins Feld rückte^ seiner Braut unumwunden geschrieben, daß das
Baterland allem ander" vorgehe, und diesem Grundsätze ist er bis zum letzten
Hauche treu geblieben. Parteiführer mögen darüber streiten, ob Fritz Harkort
ein Altlibernler oder ein Fortschrittsmann gewesen sei, der Patriot weiß, das;
sich solche Männer nnr deswegen einer Partei anschließen, weil sie doch eben
für sich allein nichts durchsetze" rönnen. Sei" Liberalismus war jene mit
Ordnungsliebe und streng gesetzlichem Sinn gepaarte altgermanische Freiheits-
liebe, die mit irgend welchem modernem Parteiprogramm wenig zu schaffen
hat. Bei Beratung der Städte- und Landgemeindevrdnnng für Westfalen
l85K rief er: "Montesquieu sagt: was je großes für die gemeine Freiheit
erfunden worden ist, das kommt alles von den Sachsen! Wir Westfalen können
uns rühmen, Nachkommen jener Sachsen zu sein; und diese Vorliebe für die
gemeine Freiheit ist das zähe Band, das uus zusammenhält. Wir, die wir
jetzt lebe", haben noch den letzte" Freischöffen gekannt auf roter Erde. Wir
haben die frühere Gemeindcvcrsammlnng noch gekannt unter der Linde oder
unter der Eiche. Wir haben es noch gesehen, daß der Bauer, der zehn Thaler
Steuern zahlte oder vierzig Morgen Land besaß, den Erdentag oder den
Kreistag besuchte." Selbst Sprößling eines uralten Bauernhofes und sach¬
kundiger Landwirt, ward er von de" Bauer" der Mark "ach Gebühr geliebt
und geschätzt. Büreaukratie und Junkerherrschaft waren ihm gleicherweise ver¬
haßt, und der Hartnäckigkeit, mit der er die Grnndsteuerfreihcit der Ritter¬
gutsbesitzer bekämpfte, kommt uur seine Ausdauer im Kampfe für die Ver¬
besserung des Volksschnlnntcrrichts und für Aufbesserung der Lehrer gleich.
Da er der Revolution wie der Reaktion mit gleicher Entschiedenheit Wider¬
stand leistete, aus seiner Verachtung der "höhern" Kreise kein Hehl machte
und im Mittelstande allein den Kern des Volkes sah, so teilten sich Pöbel-
sichrer und Kommunisten mit Höflingen und Staatsbeamten brüderlich in den
Haß gegen den Volksmann.

Als Volksmann zeigte er sich nicht allein in seiner volksfreundlichen
Wirksamkeit und in der packenden Sprache seiner Arbeiter- und Bauernbriefc,
die von den Stantsanwälten so eifrig gelesen wurden, daß manchmal nichts
davon an die Bauern kam, sondern auch im Parlament, wo er, von langen
schonen Reden kein Freund, desto häufiger mit klar abgefaßte" Gesetzvorschlägeu
und treffenden kurzen Bemerkungen eingriff. So sprach er, als bei Beratung
der preußischen Verfassung die Steuerverwcigerer, deren entschiedenster Gegner
er selbst gewesen war, abwesend geschmäht wurden: "Es ist wahr, der Rumpf
jeuer Nationalversammlung hat die Steuerverweigerung geboren in einer un¬
geheuer bewegte" Zeit. Aber ich frage Sie, meine Herren: welche Strafe ge¬
bührt denen, die, in Titel und Orden, sich noch jüngst erkühnt haben, der
Regierung einen Drohbrief zu schreibe", in dem sie aussprechen, daß sie bei
etwaiger Einführung der Grundsteuer uur der Militärgewalt weichen würden?"


Der alte y^rkorl

die Franzosen ins Feld rückte^ seiner Braut unumwunden geschrieben, daß das
Baterland allem ander» vorgehe, und diesem Grundsätze ist er bis zum letzten
Hauche treu geblieben. Parteiführer mögen darüber streiten, ob Fritz Harkort
ein Altlibernler oder ein Fortschrittsmann gewesen sei, der Patriot weiß, das;
sich solche Männer nnr deswegen einer Partei anschließen, weil sie doch eben
für sich allein nichts durchsetze» rönnen. Sei» Liberalismus war jene mit
Ordnungsliebe und streng gesetzlichem Sinn gepaarte altgermanische Freiheits-
liebe, die mit irgend welchem modernem Parteiprogramm wenig zu schaffen
hat. Bei Beratung der Städte- und Landgemeindevrdnnng für Westfalen
l85K rief er: „Montesquieu sagt: was je großes für die gemeine Freiheit
erfunden worden ist, das kommt alles von den Sachsen! Wir Westfalen können
uns rühmen, Nachkommen jener Sachsen zu sein; und diese Vorliebe für die
gemeine Freiheit ist das zähe Band, das uus zusammenhält. Wir, die wir
jetzt lebe», haben noch den letzte» Freischöffen gekannt auf roter Erde. Wir
haben die frühere Gemeindcvcrsammlnng noch gekannt unter der Linde oder
unter der Eiche. Wir haben es noch gesehen, daß der Bauer, der zehn Thaler
Steuern zahlte oder vierzig Morgen Land besaß, den Erdentag oder den
Kreistag besuchte." Selbst Sprößling eines uralten Bauernhofes und sach¬
kundiger Landwirt, ward er von de» Bauer» der Mark »ach Gebühr geliebt
und geschätzt. Büreaukratie und Junkerherrschaft waren ihm gleicherweise ver¬
haßt, und der Hartnäckigkeit, mit der er die Grnndsteuerfreihcit der Ritter¬
gutsbesitzer bekämpfte, kommt uur seine Ausdauer im Kampfe für die Ver¬
besserung des Volksschnlnntcrrichts und für Aufbesserung der Lehrer gleich.
Da er der Revolution wie der Reaktion mit gleicher Entschiedenheit Wider¬
stand leistete, aus seiner Verachtung der „höhern" Kreise kein Hehl machte
und im Mittelstande allein den Kern des Volkes sah, so teilten sich Pöbel-
sichrer und Kommunisten mit Höflingen und Staatsbeamten brüderlich in den
Haß gegen den Volksmann.

Als Volksmann zeigte er sich nicht allein in seiner volksfreundlichen
Wirksamkeit und in der packenden Sprache seiner Arbeiter- und Bauernbriefc,
die von den Stantsanwälten so eifrig gelesen wurden, daß manchmal nichts
davon an die Bauern kam, sondern auch im Parlament, wo er, von langen
schonen Reden kein Freund, desto häufiger mit klar abgefaßte» Gesetzvorschlägeu
und treffenden kurzen Bemerkungen eingriff. So sprach er, als bei Beratung
der preußischen Verfassung die Steuerverwcigerer, deren entschiedenster Gegner
er selbst gewesen war, abwesend geschmäht wurden: „Es ist wahr, der Rumpf
jeuer Nationalversammlung hat die Steuerverweigerung geboren in einer un¬
geheuer bewegte» Zeit. Aber ich frage Sie, meine Herren: welche Strafe ge¬
bührt denen, die, in Titel und Orden, sich noch jüngst erkühnt haben, der
Regierung einen Drohbrief zu schreibe», in dem sie aussprechen, daß sie bei
etwaiger Einführung der Grundsteuer uur der Militärgewalt weichen würden?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/71>, abgerufen am 23.07.2024.