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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen

begeisterten Mannes nicht in eine Zeit fiele, wo politische Abneigung und na-
tionale Gehässigkeit auch die geistig höchststehenden Landsleute Sabatiers starr¬
sinnig und verschlossen gegen alles macht, was sie "deutsch" schelten können.
Möge es wenigstens bei der Aufnahme der neuen Faustnbersetzung in Frank¬
reich nicht an den Ausnahmen fehlen, die in solchem Falle über die Zukunft
entscheiden und die Zukunft voraus verkünden.




Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen
3

n einem Augustabend des Jahres war der Zug von Wien
nach Salzburg vorwiegend mit Schauspielern und Journalisten
besetzt. In Gastein war der Vertrag abgeschlossen worden, von
dem der damalige Graf Bismarck gesagt haben soll, er habe nie
geglaubt, daß ein österreichischer Staatsmann ihn unterschreiben
werde; in Salzburg stand eine Zusammenkunft der beiden Monarchen und ihrer
Räte bevor, Mitglieder des Wiener Burgtheaters waren beordert, die hohen
Herrschaften zu unterhalten, und wir "Federvieh" sollten denen, die nicht dabei
sein konnten, berichten, was da zu sehn und zu hören sein würde.

Ich traf in meinem Coupee den Schauspieler Veckmann. Mancher hätte
mich wohl um diesen Reisegefährten beneidet, denn Veckmann war dadurch,
daß er auf der Bühne witzige oder humoristische Reden zu führen hatte, in
den Ruf eines witzigen, schlagfertigen Menschen gekommen. Und er war auch,
währeud sich andre in seiner Lage durch Annahme der Rolle des Hypochonders
zu helfen wissen, die einzelnen Komikern im Leben natürlich gewesen sein soll,
beflissen, das gute Vorurteil nicht zu zerstören. Aber dazu bedürfte er der
Vorbereitung. Er sammelte fleißig Anekdoten, Wortspiele u.tgi., hatte für
außerordentliche Gelegenheiten immer ein launiges Gedicht in Bereitschaft
und dazu eine vortreffliche Art halb bescheidner, halb ärgerlicher Ablehnung,
wenn er auf die Autorschaft angeredet wurde, z. B. wenn feine gefällige Frau
mit gutgespieltem Erstaunen fragte, wann er denn das wieder gemacht habe?
Ein ausgezeichneter Komiker war er dessen ungeachtet, vor allem von unwider¬
stehlicher Drolligkeit in der Darstellung der Verlegenheit.

Im Eisenbahnwagen fühlte er keine Verpflichtung, zur Unterhaltung seiner
Reisegefährten beizutragen, man müßte denn dahin rechnen, daß er beinahe
die ganze Nacht hindurch aus einem langen Tschibuk rauchte, den frisch zu


Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen

begeisterten Mannes nicht in eine Zeit fiele, wo politische Abneigung und na-
tionale Gehässigkeit auch die geistig höchststehenden Landsleute Sabatiers starr¬
sinnig und verschlossen gegen alles macht, was sie „deutsch" schelten können.
Möge es wenigstens bei der Aufnahme der neuen Faustnbersetzung in Frank¬
reich nicht an den Ausnahmen fehlen, die in solchem Falle über die Zukunft
entscheiden und die Zukunft voraus verkünden.




Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen
3

n einem Augustabend des Jahres war der Zug von Wien
nach Salzburg vorwiegend mit Schauspielern und Journalisten
besetzt. In Gastein war der Vertrag abgeschlossen worden, von
dem der damalige Graf Bismarck gesagt haben soll, er habe nie
geglaubt, daß ein österreichischer Staatsmann ihn unterschreiben
werde; in Salzburg stand eine Zusammenkunft der beiden Monarchen und ihrer
Räte bevor, Mitglieder des Wiener Burgtheaters waren beordert, die hohen
Herrschaften zu unterhalten, und wir „Federvieh" sollten denen, die nicht dabei
sein konnten, berichten, was da zu sehn und zu hören sein würde.

Ich traf in meinem Coupee den Schauspieler Veckmann. Mancher hätte
mich wohl um diesen Reisegefährten beneidet, denn Veckmann war dadurch,
daß er auf der Bühne witzige oder humoristische Reden zu führen hatte, in
den Ruf eines witzigen, schlagfertigen Menschen gekommen. Und er war auch,
währeud sich andre in seiner Lage durch Annahme der Rolle des Hypochonders
zu helfen wissen, die einzelnen Komikern im Leben natürlich gewesen sein soll,
beflissen, das gute Vorurteil nicht zu zerstören. Aber dazu bedürfte er der
Vorbereitung. Er sammelte fleißig Anekdoten, Wortspiele u.tgi., hatte für
außerordentliche Gelegenheiten immer ein launiges Gedicht in Bereitschaft
und dazu eine vortreffliche Art halb bescheidner, halb ärgerlicher Ablehnung,
wenn er auf die Autorschaft angeredet wurde, z. B. wenn feine gefällige Frau
mit gutgespieltem Erstaunen fragte, wann er denn das wieder gemacht habe?
Ein ausgezeichneter Komiker war er dessen ungeachtet, vor allem von unwider¬
stehlicher Drolligkeit in der Darstellung der Verlegenheit.

Im Eisenbahnwagen fühlte er keine Verpflichtung, zur Unterhaltung seiner
Reisegefährten beizutragen, man müßte denn dahin rechnen, daß er beinahe
die ganze Nacht hindurch aus einem langen Tschibuk rauchte, den frisch zu


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[0619] Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen begeisterten Mannes nicht in eine Zeit fiele, wo politische Abneigung und na- tionale Gehässigkeit auch die geistig höchststehenden Landsleute Sabatiers starr¬ sinnig und verschlossen gegen alles macht, was sie „deutsch" schelten können. Möge es wenigstens bei der Aufnahme der neuen Faustnbersetzung in Frank¬ reich nicht an den Ausnahmen fehlen, die in solchem Falle über die Zukunft entscheiden und die Zukunft voraus verkünden. Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen 3 n einem Augustabend des Jahres war der Zug von Wien nach Salzburg vorwiegend mit Schauspielern und Journalisten besetzt. In Gastein war der Vertrag abgeschlossen worden, von dem der damalige Graf Bismarck gesagt haben soll, er habe nie geglaubt, daß ein österreichischer Staatsmann ihn unterschreiben werde; in Salzburg stand eine Zusammenkunft der beiden Monarchen und ihrer Räte bevor, Mitglieder des Wiener Burgtheaters waren beordert, die hohen Herrschaften zu unterhalten, und wir „Federvieh" sollten denen, die nicht dabei sein konnten, berichten, was da zu sehn und zu hören sein würde. Ich traf in meinem Coupee den Schauspieler Veckmann. Mancher hätte mich wohl um diesen Reisegefährten beneidet, denn Veckmann war dadurch, daß er auf der Bühne witzige oder humoristische Reden zu führen hatte, in den Ruf eines witzigen, schlagfertigen Menschen gekommen. Und er war auch, währeud sich andre in seiner Lage durch Annahme der Rolle des Hypochonders zu helfen wissen, die einzelnen Komikern im Leben natürlich gewesen sein soll, beflissen, das gute Vorurteil nicht zu zerstören. Aber dazu bedürfte er der Vorbereitung. Er sammelte fleißig Anekdoten, Wortspiele u.tgi., hatte für außerordentliche Gelegenheiten immer ein launiges Gedicht in Bereitschaft und dazu eine vortreffliche Art halb bescheidner, halb ärgerlicher Ablehnung, wenn er auf die Autorschaft angeredet wurde, z. B. wenn feine gefällige Frau mit gutgespieltem Erstaunen fragte, wann er denn das wieder gemacht habe? Ein ausgezeichneter Komiker war er dessen ungeachtet, vor allem von unwider¬ stehlicher Drolligkeit in der Darstellung der Verlegenheit. Im Eisenbahnwagen fühlte er keine Verpflichtung, zur Unterhaltung seiner Reisegefährten beizutragen, man müßte denn dahin rechnen, daß er beinahe die ganze Nacht hindurch aus einem langen Tschibuk rauchte, den frisch zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/619>, abgerufen am 03.07.2024.