Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

geschichten." Ein kleiner, dicker, dachsbeiniger Mann. Die Damen chüchotiren
unter einander über diese Erscheinung. Fräulein Thümmel sagt mir, man
mache sich so gern ein ideales Bild von Dichtern, es sei dann eine gar wunder¬
liche Überraschung, wenn so eine Figur erscheine. Eben wird er ihr vorge¬
stellt. Sie sagt natürlich, wie sehr sie seit lange gewünscht habe, ihn kennen
zu lernen, da sie ihn schon so lange aus seinen Werken kenne und verehre.
Er fragt, ob er denn auch dem Bilde entspreche, das sie sich von ihm gemacht
habe? Es sei gefährlich, ein ideales Bild seiner selbst vorzufinden.

B. Auerbach hat mir, noch ehe er im Salon erschien, einen Besuch in
meinem Zimmer machen wollen -- ich finde dort später seine Karte. Durch
G. Freytag mit mir bekannt gemacht, bietet er mir die Hand.

Fürst Hcitzfeldt spricht mit G. Freytag über die Wahlen in Schlesien; er
hat von K. Dhherrn eine Aufforderung erhalten, an unsern Parteiberatungen
teilzunehmen und sich auf dem Fürstensteine einzufinden. Hatzfeldt scheint der
Sache nicht recht zu trauen und Demokratentum dahinter zu vermuten. Ich
mische mich in das Gespräch, sage, daß ich auch an den bisherigen Beratungen
teilgenommen habe, und erkläre, wie die Sache eigentlich zusammenhängt.
Kann anch bemerken, daß Hatzfeldt nach und nach eine andre Ansicht der Sache
gewinnt.

Mit Hatzfeldt zusammen die Partie des Herzogs gemacht. Sehr heiter
dabei. Hatzfeldt fährt den Abend nach Goebel.

10. August. Der Himmel hat sich wieder ganz aufgeklärt. Herrliches
Wetter. Frühstück im Freien, vor dem Gartensalon, an der Westseite des
Schlosses. Dann sehen wir die Herren zur Jagd aufbrechen, den Herzog und
Erbach zu Pferde.

Miß Gianetta etwas unwohl. Ihre Schwestern sind nicht mehr da.

Mehrfach schon hat mich Miß Gianetta eingeladen, sie in ihrem besondern
Zimmer zu besuchen und Anteil zu nehmen an den Übersetzungen aus dem
Deutschen in das Englische, die sie für den Herzog macht. Ich besuche sie
denn heute. Sie übersetzt lyrische Gedichte aus einem Bündchen, das dem
Herzog gewidmet ist. Ihr Talent geht nicht über den gewöhnlichen Dilet¬
tantismus hinaus. Ich nehme den ernsthaftesten Anteil an der Sache und
helfe hie und da mit einem recht unbedeutenden kleinen Ratschlag. Sie hat
auch Goethes "Trost in Thränen" (Wie kommts, daß du so traurig bist)
übersetzt und verspricht mir eine Abschrift.

Man sorgt für unsre Unterhaltung. Miß Gianetta macht mit der Her¬
zogin eine kleinere Fahrt, die beide im Ponyphciethon in die Nähe der Jäger
führen soll; wir andern (Frau von Meyern, Fräulein von Thümmel, Gruben,
Meyern, B. Auerbach und ich, Mr. Hughan nicht zu vergessen) werden in
zwei Equipagen auf eine weitere Partie ausgeschickt. Unterwegs schließt sich
uns der Fürst Hatzfeldt an, der aus Gotha kommt.


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

geschichten." Ein kleiner, dicker, dachsbeiniger Mann. Die Damen chüchotiren
unter einander über diese Erscheinung. Fräulein Thümmel sagt mir, man
mache sich so gern ein ideales Bild von Dichtern, es sei dann eine gar wunder¬
liche Überraschung, wenn so eine Figur erscheine. Eben wird er ihr vorge¬
stellt. Sie sagt natürlich, wie sehr sie seit lange gewünscht habe, ihn kennen
zu lernen, da sie ihn schon so lange aus seinen Werken kenne und verehre.
Er fragt, ob er denn auch dem Bilde entspreche, das sie sich von ihm gemacht
habe? Es sei gefährlich, ein ideales Bild seiner selbst vorzufinden.

B. Auerbach hat mir, noch ehe er im Salon erschien, einen Besuch in
meinem Zimmer machen wollen — ich finde dort später seine Karte. Durch
G. Freytag mit mir bekannt gemacht, bietet er mir die Hand.

Fürst Hcitzfeldt spricht mit G. Freytag über die Wahlen in Schlesien; er
hat von K. Dhherrn eine Aufforderung erhalten, an unsern Parteiberatungen
teilzunehmen und sich auf dem Fürstensteine einzufinden. Hatzfeldt scheint der
Sache nicht recht zu trauen und Demokratentum dahinter zu vermuten. Ich
mische mich in das Gespräch, sage, daß ich auch an den bisherigen Beratungen
teilgenommen habe, und erkläre, wie die Sache eigentlich zusammenhängt.
Kann anch bemerken, daß Hatzfeldt nach und nach eine andre Ansicht der Sache
gewinnt.

Mit Hatzfeldt zusammen die Partie des Herzogs gemacht. Sehr heiter
dabei. Hatzfeldt fährt den Abend nach Goebel.

10. August. Der Himmel hat sich wieder ganz aufgeklärt. Herrliches
Wetter. Frühstück im Freien, vor dem Gartensalon, an der Westseite des
Schlosses. Dann sehen wir die Herren zur Jagd aufbrechen, den Herzog und
Erbach zu Pferde.

Miß Gianetta etwas unwohl. Ihre Schwestern sind nicht mehr da.

Mehrfach schon hat mich Miß Gianetta eingeladen, sie in ihrem besondern
Zimmer zu besuchen und Anteil zu nehmen an den Übersetzungen aus dem
Deutschen in das Englische, die sie für den Herzog macht. Ich besuche sie
denn heute. Sie übersetzt lyrische Gedichte aus einem Bündchen, das dem
Herzog gewidmet ist. Ihr Talent geht nicht über den gewöhnlichen Dilet¬
tantismus hinaus. Ich nehme den ernsthaftesten Anteil an der Sache und
helfe hie und da mit einem recht unbedeutenden kleinen Ratschlag. Sie hat
auch Goethes „Trost in Thränen" (Wie kommts, daß du so traurig bist)
übersetzt und verspricht mir eine Abschrift.

Man sorgt für unsre Unterhaltung. Miß Gianetta macht mit der Her¬
zogin eine kleinere Fahrt, die beide im Ponyphciethon in die Nähe der Jäger
führen soll; wir andern (Frau von Meyern, Fräulein von Thümmel, Gruben,
Meyern, B. Auerbach und ich, Mr. Hughan nicht zu vergessen) werden in
zwei Equipagen auf eine weitere Partie ausgeschickt. Unterwegs schließt sich
uns der Fürst Hatzfeldt an, der aus Gotha kommt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215006"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2104" prev="#ID_2103"> geschichten." Ein kleiner, dicker, dachsbeiniger Mann. Die Damen chüchotiren<lb/>
unter einander über diese Erscheinung. Fräulein Thümmel sagt mir, man<lb/>
mache sich so gern ein ideales Bild von Dichtern, es sei dann eine gar wunder¬<lb/>
liche Überraschung, wenn so eine Figur erscheine. Eben wird er ihr vorge¬<lb/>
stellt. Sie sagt natürlich, wie sehr sie seit lange gewünscht habe, ihn kennen<lb/>
zu lernen, da sie ihn schon so lange aus seinen Werken kenne und verehre.<lb/>
Er fragt, ob er denn auch dem Bilde entspreche, das sie sich von ihm gemacht<lb/>
habe? Es sei gefährlich, ein ideales Bild seiner selbst vorzufinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2105"> B. Auerbach hat mir, noch ehe er im Salon erschien, einen Besuch in<lb/>
meinem Zimmer machen wollen &#x2014; ich finde dort später seine Karte. Durch<lb/>
G. Freytag mit mir bekannt gemacht, bietet er mir die Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2106"> Fürst Hcitzfeldt spricht mit G. Freytag über die Wahlen in Schlesien; er<lb/>
hat von K. Dhherrn eine Aufforderung erhalten, an unsern Parteiberatungen<lb/>
teilzunehmen und sich auf dem Fürstensteine einzufinden. Hatzfeldt scheint der<lb/>
Sache nicht recht zu trauen und Demokratentum dahinter zu vermuten. Ich<lb/>
mische mich in das Gespräch, sage, daß ich auch an den bisherigen Beratungen<lb/>
teilgenommen habe, und erkläre, wie die Sache eigentlich zusammenhängt.<lb/>
Kann anch bemerken, daß Hatzfeldt nach und nach eine andre Ansicht der Sache<lb/>
gewinnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2107"> Mit Hatzfeldt zusammen die Partie des Herzogs gemacht. Sehr heiter<lb/>
dabei.  Hatzfeldt fährt den Abend nach Goebel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2108"> 10. August. Der Himmel hat sich wieder ganz aufgeklärt. Herrliches<lb/>
Wetter. Frühstück im Freien, vor dem Gartensalon, an der Westseite des<lb/>
Schlosses. Dann sehen wir die Herren zur Jagd aufbrechen, den Herzog und<lb/>
Erbach zu Pferde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2109"> Miß Gianetta etwas unwohl.  Ihre Schwestern sind nicht mehr da.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2110"> Mehrfach schon hat mich Miß Gianetta eingeladen, sie in ihrem besondern<lb/>
Zimmer zu besuchen und Anteil zu nehmen an den Übersetzungen aus dem<lb/>
Deutschen in das Englische, die sie für den Herzog macht. Ich besuche sie<lb/>
denn heute. Sie übersetzt lyrische Gedichte aus einem Bündchen, das dem<lb/>
Herzog gewidmet ist. Ihr Talent geht nicht über den gewöhnlichen Dilet¬<lb/>
tantismus hinaus. Ich nehme den ernsthaftesten Anteil an der Sache und<lb/>
helfe hie und da mit einem recht unbedeutenden kleinen Ratschlag. Sie hat<lb/>
auch Goethes &#x201E;Trost in Thränen" (Wie kommts, daß du so traurig bist)<lb/>
übersetzt und verspricht mir eine Abschrift.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2111"> Man sorgt für unsre Unterhaltung. Miß Gianetta macht mit der Her¬<lb/>
zogin eine kleinere Fahrt, die beide im Ponyphciethon in die Nähe der Jäger<lb/>
führen soll; wir andern (Frau von Meyern, Fräulein von Thümmel, Gruben,<lb/>
Meyern, B. Auerbach und ich, Mr. Hughan nicht zu vergessen) werden in<lb/>
zwei Equipagen auf eine weitere Partie ausgeschickt. Unterwegs schließt sich<lb/>
uns der Fürst Hatzfeldt an, der aus Gotha kommt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0551] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts geschichten." Ein kleiner, dicker, dachsbeiniger Mann. Die Damen chüchotiren unter einander über diese Erscheinung. Fräulein Thümmel sagt mir, man mache sich so gern ein ideales Bild von Dichtern, es sei dann eine gar wunder¬ liche Überraschung, wenn so eine Figur erscheine. Eben wird er ihr vorge¬ stellt. Sie sagt natürlich, wie sehr sie seit lange gewünscht habe, ihn kennen zu lernen, da sie ihn schon so lange aus seinen Werken kenne und verehre. Er fragt, ob er denn auch dem Bilde entspreche, das sie sich von ihm gemacht habe? Es sei gefährlich, ein ideales Bild seiner selbst vorzufinden. B. Auerbach hat mir, noch ehe er im Salon erschien, einen Besuch in meinem Zimmer machen wollen — ich finde dort später seine Karte. Durch G. Freytag mit mir bekannt gemacht, bietet er mir die Hand. Fürst Hcitzfeldt spricht mit G. Freytag über die Wahlen in Schlesien; er hat von K. Dhherrn eine Aufforderung erhalten, an unsern Parteiberatungen teilzunehmen und sich auf dem Fürstensteine einzufinden. Hatzfeldt scheint der Sache nicht recht zu trauen und Demokratentum dahinter zu vermuten. Ich mische mich in das Gespräch, sage, daß ich auch an den bisherigen Beratungen teilgenommen habe, und erkläre, wie die Sache eigentlich zusammenhängt. Kann anch bemerken, daß Hatzfeldt nach und nach eine andre Ansicht der Sache gewinnt. Mit Hatzfeldt zusammen die Partie des Herzogs gemacht. Sehr heiter dabei. Hatzfeldt fährt den Abend nach Goebel. 10. August. Der Himmel hat sich wieder ganz aufgeklärt. Herrliches Wetter. Frühstück im Freien, vor dem Gartensalon, an der Westseite des Schlosses. Dann sehen wir die Herren zur Jagd aufbrechen, den Herzog und Erbach zu Pferde. Miß Gianetta etwas unwohl. Ihre Schwestern sind nicht mehr da. Mehrfach schon hat mich Miß Gianetta eingeladen, sie in ihrem besondern Zimmer zu besuchen und Anteil zu nehmen an den Übersetzungen aus dem Deutschen in das Englische, die sie für den Herzog macht. Ich besuche sie denn heute. Sie übersetzt lyrische Gedichte aus einem Bündchen, das dem Herzog gewidmet ist. Ihr Talent geht nicht über den gewöhnlichen Dilet¬ tantismus hinaus. Ich nehme den ernsthaftesten Anteil an der Sache und helfe hie und da mit einem recht unbedeutenden kleinen Ratschlag. Sie hat auch Goethes „Trost in Thränen" (Wie kommts, daß du so traurig bist) übersetzt und verspricht mir eine Abschrift. Man sorgt für unsre Unterhaltung. Miß Gianetta macht mit der Her¬ zogin eine kleinere Fahrt, die beide im Ponyphciethon in die Nähe der Jäger führen soll; wir andern (Frau von Meyern, Fräulein von Thümmel, Gruben, Meyern, B. Auerbach und ich, Mr. Hughan nicht zu vergessen) werden in zwei Equipagen auf eine weitere Partie ausgeschickt. Unterwegs schließt sich uns der Fürst Hatzfeldt an, der aus Gotha kommt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/551
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/551>, abgerufen am 23.07.2024.