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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die herrschende Unzufriedenheit und ihre Gründe

erweckten, wie sie von hoch und niedrig seitdem wiederholt werden, jedesmal
jubelnder Zustimmung gewiß sind und, am Schlüsse einer Rede angebracht,
einen effektvoller Abgang sichern! Statt dessen hört man von den jetzigen
Negierungsmünnern und deren Organen nur sanfte, begütigende Worte gegen¬
über den Feinden an unsern Grenzen, sie werden herausgestrichen, ihre Armeen
und deren Leistungen herausgelobt, die unsern dagegen in kleinmütigem,
zagenden, zweifelhaftem Tone besprochen. Das drückt die Kleinmütigen, die
Philister noch mehr nieder, die Mutigen, Stolzen -- und gottlob giebt es
deren noch so viele Millionen -- ärgert, verdrießt und empört es. Aber es
ist auch selbst für die, die um jeden Preis Frieden haben wollen, nicht einmal
klug und zweckmäßig, fortwährend zu dnckmäusern und zu versichern: wir
greifen nicht an, nein, wir greifen niemals an! Das klingt in den Ohren
der Welt wie die Sprache des Schwachen oder des Mutlosen, es fordert die
stets zunehmende Frechheit der französischen Chauvinisten und russischen Pan-
slawisten förmlich heraus: sie dürfen sich alles erlauben, so lange sie nicht
geradezu mit gewaffneter Hand zum Angriff übergehen; der Deutsche will
oder muß Frieden halten, er wird nie angreifen! So dachte der nicht, der
sich den Namen des eisernen Kanzlers erwarb, und dem die Devise "Blut und
Eisen" zuerteilt wurde. Wen" er auch zunächst den Deutschen zur Ausgestal¬
tung des neuen Neichsbanes friedliche Zeiten zu sichern suchte -- ein er¬
bärmlicher Friede kam? nicht nach seinem Sinne sein. Und ein Mann wie
Moltke hat bis zu seinem Ende mit großer Wärme die Ansicht verfochten, daß
der Krieg keineswegs nur ein Übel sei; denn die Opfer an Gut und Blut
würden dadurch aufgewogen, daß der Kampf die höchsten und besten Eigen¬
schaften des Menschen und der Nation, den Opfermut und die Begeisterungs¬
fähigkeit, Tapferkeit, Treue und Gehorsam bis in den Tod, entfalte. Auch
Friedrich der Große handelte nach andern Grundsätzen. Für ihn stand es
fest, daß, wenn man von Feinden umgeben sei, die den Krieg planen und
nur auf den ihnen günstigen Allgenblick warten, es besser sei, selbst den
günstigen Augenblick zu wählen. Es fragt sich also, wie zu handeln sei,
wenn die Wahl nicht ist: Krieg oder Frieden, sondern Krieg in dem vom
Feinde gewählten Augenblick, oder Krieg in dem selbstgewählten Augenblick.
Da es im Laufe der Zeiten, unter dem fortdauernden Wechsel der Personen
und Dinge nicht ausbleibt, daß sich auch einmal eine dem Feinde günstige
Konstellation ergiebt, zog es der große König vor, sich selbst den Zeitpunkt
für das Losschlagen zu wählen. Wir sind nicht der Ansicht, daß man ohne
Not zum Kriege drängen und losschlagen solle; was wir aber verlangen
-- und tausende mit uns -- ist ein Friede, der ehrenvoll ist, der nicht mit


Slmtshauptnmnn Wewer: "Up hier breite Stirn un ut hier Klagen Ogen tun'n ji lesen:
Kein Menschenfurcht, woll awer Gottsfnrcht!"
Die herrschende Unzufriedenheit und ihre Gründe

erweckten, wie sie von hoch und niedrig seitdem wiederholt werden, jedesmal
jubelnder Zustimmung gewiß sind und, am Schlüsse einer Rede angebracht,
einen effektvoller Abgang sichern! Statt dessen hört man von den jetzigen
Negierungsmünnern und deren Organen nur sanfte, begütigende Worte gegen¬
über den Feinden an unsern Grenzen, sie werden herausgestrichen, ihre Armeen
und deren Leistungen herausgelobt, die unsern dagegen in kleinmütigem,
zagenden, zweifelhaftem Tone besprochen. Das drückt die Kleinmütigen, die
Philister noch mehr nieder, die Mutigen, Stolzen — und gottlob giebt es
deren noch so viele Millionen — ärgert, verdrießt und empört es. Aber es
ist auch selbst für die, die um jeden Preis Frieden haben wollen, nicht einmal
klug und zweckmäßig, fortwährend zu dnckmäusern und zu versichern: wir
greifen nicht an, nein, wir greifen niemals an! Das klingt in den Ohren
der Welt wie die Sprache des Schwachen oder des Mutlosen, es fordert die
stets zunehmende Frechheit der französischen Chauvinisten und russischen Pan-
slawisten förmlich heraus: sie dürfen sich alles erlauben, so lange sie nicht
geradezu mit gewaffneter Hand zum Angriff übergehen; der Deutsche will
oder muß Frieden halten, er wird nie angreifen! So dachte der nicht, der
sich den Namen des eisernen Kanzlers erwarb, und dem die Devise „Blut und
Eisen" zuerteilt wurde. Wen» er auch zunächst den Deutschen zur Ausgestal¬
tung des neuen Neichsbanes friedliche Zeiten zu sichern suchte — ein er¬
bärmlicher Friede kam? nicht nach seinem Sinne sein. Und ein Mann wie
Moltke hat bis zu seinem Ende mit großer Wärme die Ansicht verfochten, daß
der Krieg keineswegs nur ein Übel sei; denn die Opfer an Gut und Blut
würden dadurch aufgewogen, daß der Kampf die höchsten und besten Eigen¬
schaften des Menschen und der Nation, den Opfermut und die Begeisterungs¬
fähigkeit, Tapferkeit, Treue und Gehorsam bis in den Tod, entfalte. Auch
Friedrich der Große handelte nach andern Grundsätzen. Für ihn stand es
fest, daß, wenn man von Feinden umgeben sei, die den Krieg planen und
nur auf den ihnen günstigen Allgenblick warten, es besser sei, selbst den
günstigen Augenblick zu wählen. Es fragt sich also, wie zu handeln sei,
wenn die Wahl nicht ist: Krieg oder Frieden, sondern Krieg in dem vom
Feinde gewählten Augenblick, oder Krieg in dem selbstgewählten Augenblick.
Da es im Laufe der Zeiten, unter dem fortdauernden Wechsel der Personen
und Dinge nicht ausbleibt, daß sich auch einmal eine dem Feinde günstige
Konstellation ergiebt, zog es der große König vor, sich selbst den Zeitpunkt
für das Losschlagen zu wählen. Wir sind nicht der Ansicht, daß man ohne
Not zum Kriege drängen und losschlagen solle; was wir aber verlangen
— und tausende mit uns — ist ein Friede, der ehrenvoll ist, der nicht mit


Slmtshauptnmnn Wewer: „Up hier breite Stirn un ut hier Klagen Ogen tun'n ji lesen:
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[0542] Die herrschende Unzufriedenheit und ihre Gründe erweckten, wie sie von hoch und niedrig seitdem wiederholt werden, jedesmal jubelnder Zustimmung gewiß sind und, am Schlüsse einer Rede angebracht, einen effektvoller Abgang sichern! Statt dessen hört man von den jetzigen Negierungsmünnern und deren Organen nur sanfte, begütigende Worte gegen¬ über den Feinden an unsern Grenzen, sie werden herausgestrichen, ihre Armeen und deren Leistungen herausgelobt, die unsern dagegen in kleinmütigem, zagenden, zweifelhaftem Tone besprochen. Das drückt die Kleinmütigen, die Philister noch mehr nieder, die Mutigen, Stolzen — und gottlob giebt es deren noch so viele Millionen — ärgert, verdrießt und empört es. Aber es ist auch selbst für die, die um jeden Preis Frieden haben wollen, nicht einmal klug und zweckmäßig, fortwährend zu dnckmäusern und zu versichern: wir greifen nicht an, nein, wir greifen niemals an! Das klingt in den Ohren der Welt wie die Sprache des Schwachen oder des Mutlosen, es fordert die stets zunehmende Frechheit der französischen Chauvinisten und russischen Pan- slawisten förmlich heraus: sie dürfen sich alles erlauben, so lange sie nicht geradezu mit gewaffneter Hand zum Angriff übergehen; der Deutsche will oder muß Frieden halten, er wird nie angreifen! So dachte der nicht, der sich den Namen des eisernen Kanzlers erwarb, und dem die Devise „Blut und Eisen" zuerteilt wurde. Wen» er auch zunächst den Deutschen zur Ausgestal¬ tung des neuen Neichsbanes friedliche Zeiten zu sichern suchte — ein er¬ bärmlicher Friede kam? nicht nach seinem Sinne sein. Und ein Mann wie Moltke hat bis zu seinem Ende mit großer Wärme die Ansicht verfochten, daß der Krieg keineswegs nur ein Übel sei; denn die Opfer an Gut und Blut würden dadurch aufgewogen, daß der Kampf die höchsten und besten Eigen¬ schaften des Menschen und der Nation, den Opfermut und die Begeisterungs¬ fähigkeit, Tapferkeit, Treue und Gehorsam bis in den Tod, entfalte. Auch Friedrich der Große handelte nach andern Grundsätzen. Für ihn stand es fest, daß, wenn man von Feinden umgeben sei, die den Krieg planen und nur auf den ihnen günstigen Allgenblick warten, es besser sei, selbst den günstigen Augenblick zu wählen. Es fragt sich also, wie zu handeln sei, wenn die Wahl nicht ist: Krieg oder Frieden, sondern Krieg in dem vom Feinde gewählten Augenblick, oder Krieg in dem selbstgewählten Augenblick. Da es im Laufe der Zeiten, unter dem fortdauernden Wechsel der Personen und Dinge nicht ausbleibt, daß sich auch einmal eine dem Feinde günstige Konstellation ergiebt, zog es der große König vor, sich selbst den Zeitpunkt für das Losschlagen zu wählen. Wir sind nicht der Ansicht, daß man ohne Not zum Kriege drängen und losschlagen solle; was wir aber verlangen — und tausende mit uns — ist ein Friede, der ehrenvoll ist, der nicht mit Slmtshauptnmnn Wewer: „Up hier breite Stirn un ut hier Klagen Ogen tun'n ji lesen: Kein Menschenfurcht, woll awer Gottsfnrcht!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/542>, abgerufen am 23.07.2024.