Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

zeigt sich denn ganz derselbe Hergang in der Volksseele, den wir sonst an dein
einzelnen, an uns selbst beobachten. Ist der Mensch niedergeschlagen, mutlos,
verstimmt, so sucht er nach einer äußern Ursache, die ihm den Grund zur Un¬
zufriedenheit geben soll. So glauben nun jetzt manche, der "neue Kurs" sei an
allem schuld, es würde anders sein, wenn der alte Kaiser, wenn Bismarck
und Moltke noch auf dem Posten stünden. Aber die Niedergeschlagenheit der
Geister würde sich auch dann zeigen, ja sie war schon vollständig vorhanden,
als Bismarck noch im Amte, war: die äußern Gründe fanden sich damals in
der für das deutsche Volksbewußtsein so demütigender Beendigung des Kultur¬
kampfs, in dem fortwährenden Überhandnehmen der Sozialdemokratie, in
dem wirtschaftlichen Niedergange, in dem Langen und Bangen nach auswärtigen
Bündnissen und in der kleinmütigen Beurteilung und Darstellung der Lage
Deutschlands.

Von allem aber, was möglicherweise dem deutschen Volke berechtigten
Anlaß zum Mißmut geben kaun, ist der zuletzt erwähnte Punkt ohne Frage
einer der wichtigsten. Es ist ganz unrichtig und nur eine stetig wiederholte,
aber innerlich ganz unwahre Phrase, daß der Deutsche nach seiner ganzen
Natur und seinem innern Wesen so besonders friedlich und phlegmatisch sei.
Nein, der Deutsche war von seinem ersten Auftreten in der Geschichte an nicht
bloß kampfesmutig, sondern auch kampfesfreudig und kampflustig. Streit und
Kampf waren die Freude des Deutschen; nach Walhalla kam nur, wer im Kampf
auf dem Schlachtfelde gefallen war, auch in Walhalla besteht das Leben der
Seligen darin, daß sie am Tage ausziehen und unter einander kämpfen, sich
schlagen, ihr Blut vergießen, bis dann der Abend kommt zum mächtigen Trunk,
den die Wunschmädchen kredenzen. Das ist das ursprüngliche germanische
Ideal, wie für deu Araber das Leben mit den Huris im Paradiese! Dann
wieder im Mittelalter: man lese doch das Nibelungenlied, den Parzifal u. a.,
und sehe wie auch da die Freude, die Lust an Streit und Kampf alles
andre überragt. Man denke an die Kreuzzüge, die Eroberungszüge nach
Italien, über die Ostmarken hinaus in die Slawenländer, an den geistigen
Wagemut und die glühende Kampfesbegeisteruug in der großen Reformations¬
zeit. Gegenüber der tiefgehenden, dem glühenden Lawcistrom vergleichbaren
Leidenschaftlichkeit des Deutschen war und ist das sogenannte heiße Blut der
Slawen und Romanen nur wie ein flackerndes Strohfeuer. Und wer sind
denn die Männer, die Eindruck auf das Volksgemüt machen und gemacht
haben? Die Friedensengel? Nein, fondern die streitbaren Kampfnaturen:
Karl der Große, Luther, Friedrich der Große, Bismarck. Heute noch
findet der gesunde deutsche Vauernbursche ein Tanzvergnügen nicht ganz
nach seineni Sinn, wenn nicht aus irgend einem Anlaß, namentlich um das
Mädchen, gehörig gerauft wird: So gehört auch zum frischen fröhlichen
deutschen Studentenleben noch immer das Pauken. Welch ein unseliges Miß-


zeigt sich denn ganz derselbe Hergang in der Volksseele, den wir sonst an dein
einzelnen, an uns selbst beobachten. Ist der Mensch niedergeschlagen, mutlos,
verstimmt, so sucht er nach einer äußern Ursache, die ihm den Grund zur Un¬
zufriedenheit geben soll. So glauben nun jetzt manche, der „neue Kurs" sei an
allem schuld, es würde anders sein, wenn der alte Kaiser, wenn Bismarck
und Moltke noch auf dem Posten stünden. Aber die Niedergeschlagenheit der
Geister würde sich auch dann zeigen, ja sie war schon vollständig vorhanden,
als Bismarck noch im Amte, war: die äußern Gründe fanden sich damals in
der für das deutsche Volksbewußtsein so demütigender Beendigung des Kultur¬
kampfs, in dem fortwährenden Überhandnehmen der Sozialdemokratie, in
dem wirtschaftlichen Niedergange, in dem Langen und Bangen nach auswärtigen
Bündnissen und in der kleinmütigen Beurteilung und Darstellung der Lage
Deutschlands.

Von allem aber, was möglicherweise dem deutschen Volke berechtigten
Anlaß zum Mißmut geben kaun, ist der zuletzt erwähnte Punkt ohne Frage
einer der wichtigsten. Es ist ganz unrichtig und nur eine stetig wiederholte,
aber innerlich ganz unwahre Phrase, daß der Deutsche nach seiner ganzen
Natur und seinem innern Wesen so besonders friedlich und phlegmatisch sei.
Nein, der Deutsche war von seinem ersten Auftreten in der Geschichte an nicht
bloß kampfesmutig, sondern auch kampfesfreudig und kampflustig. Streit und
Kampf waren die Freude des Deutschen; nach Walhalla kam nur, wer im Kampf
auf dem Schlachtfelde gefallen war, auch in Walhalla besteht das Leben der
Seligen darin, daß sie am Tage ausziehen und unter einander kämpfen, sich
schlagen, ihr Blut vergießen, bis dann der Abend kommt zum mächtigen Trunk,
den die Wunschmädchen kredenzen. Das ist das ursprüngliche germanische
Ideal, wie für deu Araber das Leben mit den Huris im Paradiese! Dann
wieder im Mittelalter: man lese doch das Nibelungenlied, den Parzifal u. a.,
und sehe wie auch da die Freude, die Lust an Streit und Kampf alles
andre überragt. Man denke an die Kreuzzüge, die Eroberungszüge nach
Italien, über die Ostmarken hinaus in die Slawenländer, an den geistigen
Wagemut und die glühende Kampfesbegeisteruug in der großen Reformations¬
zeit. Gegenüber der tiefgehenden, dem glühenden Lawcistrom vergleichbaren
Leidenschaftlichkeit des Deutschen war und ist das sogenannte heiße Blut der
Slawen und Romanen nur wie ein flackerndes Strohfeuer. Und wer sind
denn die Männer, die Eindruck auf das Volksgemüt machen und gemacht
haben? Die Friedensengel? Nein, fondern die streitbaren Kampfnaturen:
Karl der Große, Luther, Friedrich der Große, Bismarck. Heute noch
findet der gesunde deutsche Vauernbursche ein Tanzvergnügen nicht ganz
nach seineni Sinn, wenn nicht aus irgend einem Anlaß, namentlich um das
Mädchen, gehörig gerauft wird: So gehört auch zum frischen fröhlichen
deutschen Studentenleben noch immer das Pauken. Welch ein unseliges Miß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0539" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214994"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2069" prev="#ID_2068"> zeigt sich denn ganz derselbe Hergang in der Volksseele, den wir sonst an dein<lb/>
einzelnen, an uns selbst beobachten. Ist der Mensch niedergeschlagen, mutlos,<lb/>
verstimmt, so sucht er nach einer äußern Ursache, die ihm den Grund zur Un¬<lb/>
zufriedenheit geben soll. So glauben nun jetzt manche, der &#x201E;neue Kurs" sei an<lb/>
allem schuld, es würde anders sein, wenn der alte Kaiser, wenn Bismarck<lb/>
und Moltke noch auf dem Posten stünden. Aber die Niedergeschlagenheit der<lb/>
Geister würde sich auch dann zeigen, ja sie war schon vollständig vorhanden,<lb/>
als Bismarck noch im Amte, war: die äußern Gründe fanden sich damals in<lb/>
der für das deutsche Volksbewußtsein so demütigender Beendigung des Kultur¬<lb/>
kampfs, in dem fortwährenden Überhandnehmen der Sozialdemokratie, in<lb/>
dem wirtschaftlichen Niedergange, in dem Langen und Bangen nach auswärtigen<lb/>
Bündnissen und in der kleinmütigen Beurteilung und Darstellung der Lage<lb/>
Deutschlands.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2070" next="#ID_2071"> Von allem aber, was möglicherweise dem deutschen Volke berechtigten<lb/>
Anlaß zum Mißmut geben kaun, ist der zuletzt erwähnte Punkt ohne Frage<lb/>
einer der wichtigsten. Es ist ganz unrichtig und nur eine stetig wiederholte,<lb/>
aber innerlich ganz unwahre Phrase, daß der Deutsche nach seiner ganzen<lb/>
Natur und seinem innern Wesen so besonders friedlich und phlegmatisch sei.<lb/>
Nein, der Deutsche war von seinem ersten Auftreten in der Geschichte an nicht<lb/>
bloß kampfesmutig, sondern auch kampfesfreudig und kampflustig. Streit und<lb/>
Kampf waren die Freude des Deutschen; nach Walhalla kam nur, wer im Kampf<lb/>
auf dem Schlachtfelde gefallen war, auch in Walhalla besteht das Leben der<lb/>
Seligen darin, daß sie am Tage ausziehen und unter einander kämpfen, sich<lb/>
schlagen, ihr Blut vergießen, bis dann der Abend kommt zum mächtigen Trunk,<lb/>
den die Wunschmädchen kredenzen. Das ist das ursprüngliche germanische<lb/>
Ideal, wie für deu Araber das Leben mit den Huris im Paradiese! Dann<lb/>
wieder im Mittelalter: man lese doch das Nibelungenlied, den Parzifal u. a.,<lb/>
und sehe wie auch da die Freude, die Lust an Streit und Kampf alles<lb/>
andre überragt. Man denke an die Kreuzzüge, die Eroberungszüge nach<lb/>
Italien, über die Ostmarken hinaus in die Slawenländer, an den geistigen<lb/>
Wagemut und die glühende Kampfesbegeisteruug in der großen Reformations¬<lb/>
zeit. Gegenüber der tiefgehenden, dem glühenden Lawcistrom vergleichbaren<lb/>
Leidenschaftlichkeit des Deutschen war und ist das sogenannte heiße Blut der<lb/>
Slawen und Romanen nur wie ein flackerndes Strohfeuer. Und wer sind<lb/>
denn die Männer, die Eindruck auf das Volksgemüt machen und gemacht<lb/>
haben? Die Friedensengel? Nein, fondern die streitbaren Kampfnaturen:<lb/>
Karl der Große, Luther, Friedrich der Große, Bismarck. Heute noch<lb/>
findet der gesunde deutsche Vauernbursche ein Tanzvergnügen nicht ganz<lb/>
nach seineni Sinn, wenn nicht aus irgend einem Anlaß, namentlich um das<lb/>
Mädchen, gehörig gerauft wird: So gehört auch zum frischen fröhlichen<lb/>
deutschen Studentenleben noch immer das Pauken. Welch ein unseliges Miß-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0539] zeigt sich denn ganz derselbe Hergang in der Volksseele, den wir sonst an dein einzelnen, an uns selbst beobachten. Ist der Mensch niedergeschlagen, mutlos, verstimmt, so sucht er nach einer äußern Ursache, die ihm den Grund zur Un¬ zufriedenheit geben soll. So glauben nun jetzt manche, der „neue Kurs" sei an allem schuld, es würde anders sein, wenn der alte Kaiser, wenn Bismarck und Moltke noch auf dem Posten stünden. Aber die Niedergeschlagenheit der Geister würde sich auch dann zeigen, ja sie war schon vollständig vorhanden, als Bismarck noch im Amte, war: die äußern Gründe fanden sich damals in der für das deutsche Volksbewußtsein so demütigender Beendigung des Kultur¬ kampfs, in dem fortwährenden Überhandnehmen der Sozialdemokratie, in dem wirtschaftlichen Niedergange, in dem Langen und Bangen nach auswärtigen Bündnissen und in der kleinmütigen Beurteilung und Darstellung der Lage Deutschlands. Von allem aber, was möglicherweise dem deutschen Volke berechtigten Anlaß zum Mißmut geben kaun, ist der zuletzt erwähnte Punkt ohne Frage einer der wichtigsten. Es ist ganz unrichtig und nur eine stetig wiederholte, aber innerlich ganz unwahre Phrase, daß der Deutsche nach seiner ganzen Natur und seinem innern Wesen so besonders friedlich und phlegmatisch sei. Nein, der Deutsche war von seinem ersten Auftreten in der Geschichte an nicht bloß kampfesmutig, sondern auch kampfesfreudig und kampflustig. Streit und Kampf waren die Freude des Deutschen; nach Walhalla kam nur, wer im Kampf auf dem Schlachtfelde gefallen war, auch in Walhalla besteht das Leben der Seligen darin, daß sie am Tage ausziehen und unter einander kämpfen, sich schlagen, ihr Blut vergießen, bis dann der Abend kommt zum mächtigen Trunk, den die Wunschmädchen kredenzen. Das ist das ursprüngliche germanische Ideal, wie für deu Araber das Leben mit den Huris im Paradiese! Dann wieder im Mittelalter: man lese doch das Nibelungenlied, den Parzifal u. a., und sehe wie auch da die Freude, die Lust an Streit und Kampf alles andre überragt. Man denke an die Kreuzzüge, die Eroberungszüge nach Italien, über die Ostmarken hinaus in die Slawenländer, an den geistigen Wagemut und die glühende Kampfesbegeisteruug in der großen Reformations¬ zeit. Gegenüber der tiefgehenden, dem glühenden Lawcistrom vergleichbaren Leidenschaftlichkeit des Deutschen war und ist das sogenannte heiße Blut der Slawen und Romanen nur wie ein flackerndes Strohfeuer. Und wer sind denn die Männer, die Eindruck auf das Volksgemüt machen und gemacht haben? Die Friedensengel? Nein, fondern die streitbaren Kampfnaturen: Karl der Große, Luther, Friedrich der Große, Bismarck. Heute noch findet der gesunde deutsche Vauernbursche ein Tanzvergnügen nicht ganz nach seineni Sinn, wenn nicht aus irgend einem Anlaß, namentlich um das Mädchen, gehörig gerauft wird: So gehört auch zum frischen fröhlichen deutschen Studentenleben noch immer das Pauken. Welch ein unseliges Miß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/539
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/539>, abgerufen am 23.07.2024.