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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

laues Wanderungen zu lesen wären), in das herrliche Land der Buchenwälder
und Seen, nach Mecklenburg, in die vielbespvttelte und doch so wunderbar
stimmungsvolle Lüneburger Heide! Freilich, nicht alleu wirds so wohl, mit
der Ebene und den leichtwelligen Hügelgegenden beginnen zu können. Und
doch ist hier, gerade hier das Land der höchsten Poesie, von hier aus be¬
gleitet sie uns am treuesten auf dem gauzeu Lebenswege. Wie wären sonst
gerade die Schleswig-Holsteiner Storm, Groth, Imsen so große Landschafts¬
poeten geworden, was hätte Ruysdael und Everdingen die tiefe landschaftliche
Empfindung gegeben? Böcklius schönstes landschaftliches Stimmungsbild ist kein
Bravourstück der schweizerischen Alpennatur, sondern das "Schweigen im Walde."
Auf der Heide, im dämmernden Hochwald, am braunen Moor, da lenken keine
prunkhnften Eindrücke von tiefern Stimmungen ab, da umweben schon deu
Knaben Tagessonuenscheiu und Abendschwermut mit unauslöschlicher Poesie,
da führen Naturlaute, wie Waldesrauschen und Frühlingswind, Unken im Moor
und Hundegebell aus fernen Gehöften seine Phantasie weit davon, und da
lernt er -- in den empfänglichsten Jahren -- mit jener Sehnsucht empfinden,
die ihn dann durch all sein Leben geleitet, und die nichts andres als eben die
blaue Blume ist. Sie geleitet ihn anch noch, wenn ihn der Schcmensdnrst
dann in die weniger heimliche Schönheit von Berg und Thal führt, daß er
auch dort immer noch schöneres sieht, als der bloße Bewundrer der Kontraste
und des Höhenprosils: das goldne Licht, womit die Sonne das Grün berg¬
auf bergab durchflutet, die Farbenharmonien verdämmernder Ferne, den
Zauber svnnendurchglühter (schattenloser, sagt der andre) Matten, die Gro߬
artigkeit wallender, kämpfender Nebel. Wie freute ich mich, als ich in Jenscns
"Schwarzwald" wiederfand, womit ich mich so oft im Gegensatz zu aller Welt
befunden hatte! Gewiß ist es anch schön in dem dunkeln Dickicht gewaltiger
Bergtannen mit ihrem würzigen Duft, aber tausendmal schöner als diese von
Luftkurorten mit städtischen Sommerfrischlern um ihren besten Reiz gebrachten
Waldeinsamkeiten ist doch der hohe südliche Schwarzwald, wo der Baumwuchs
schwindet, wo sich die freie Halde mit ihrem sonnenheißen Kleide von Preißel-
beere und Heidekraut dehnt, wo in der leichten Luft, im Fächeln des Berg¬
winds die Brust erst völlig aufgeht, und der Blick zu den krystallnen Zacken
und Gletschern der Alpen und über das Silberband des Rheins hinweg zu dem
duftumhülltcn Manerlumm der Vogesen schweift. Auch in Thüringen war mir
immer das schönste der Marsch den uralten hohen Rennstieg entlang mit seinem
weiten Ausblick über Thüringer- und Frankenland, mit seiner Waldeinsamkeit
und seiner Jahrhunderte ansuchenden historischen Stimmung; selbst in Heidel¬
berg war es der Blick über die Ebne, die weiten, glänzenden Schlingen des
Neckars hinab, und darüber weg, dorthin, wo am silbernen Rhein der Dom von
Speier die Erinnerung an die einstige Städteherrlichkeit weckt, und weiter hin¬
über zu den zackigen Bergen der Haardt, die das dunstige Licht des Tages


Grenzboten II 1893 66
Allerlei vom Reisen

laues Wanderungen zu lesen wären), in das herrliche Land der Buchenwälder
und Seen, nach Mecklenburg, in die vielbespvttelte und doch so wunderbar
stimmungsvolle Lüneburger Heide! Freilich, nicht alleu wirds so wohl, mit
der Ebene und den leichtwelligen Hügelgegenden beginnen zu können. Und
doch ist hier, gerade hier das Land der höchsten Poesie, von hier aus be¬
gleitet sie uns am treuesten auf dem gauzeu Lebenswege. Wie wären sonst
gerade die Schleswig-Holsteiner Storm, Groth, Imsen so große Landschafts¬
poeten geworden, was hätte Ruysdael und Everdingen die tiefe landschaftliche
Empfindung gegeben? Böcklius schönstes landschaftliches Stimmungsbild ist kein
Bravourstück der schweizerischen Alpennatur, sondern das „Schweigen im Walde."
Auf der Heide, im dämmernden Hochwald, am braunen Moor, da lenken keine
prunkhnften Eindrücke von tiefern Stimmungen ab, da umweben schon deu
Knaben Tagessonuenscheiu und Abendschwermut mit unauslöschlicher Poesie,
da führen Naturlaute, wie Waldesrauschen und Frühlingswind, Unken im Moor
und Hundegebell aus fernen Gehöften seine Phantasie weit davon, und da
lernt er — in den empfänglichsten Jahren — mit jener Sehnsucht empfinden,
die ihn dann durch all sein Leben geleitet, und die nichts andres als eben die
blaue Blume ist. Sie geleitet ihn anch noch, wenn ihn der Schcmensdnrst
dann in die weniger heimliche Schönheit von Berg und Thal führt, daß er
auch dort immer noch schöneres sieht, als der bloße Bewundrer der Kontraste
und des Höhenprosils: das goldne Licht, womit die Sonne das Grün berg¬
auf bergab durchflutet, die Farbenharmonien verdämmernder Ferne, den
Zauber svnnendurchglühter (schattenloser, sagt der andre) Matten, die Gro߬
artigkeit wallender, kämpfender Nebel. Wie freute ich mich, als ich in Jenscns
„Schwarzwald" wiederfand, womit ich mich so oft im Gegensatz zu aller Welt
befunden hatte! Gewiß ist es anch schön in dem dunkeln Dickicht gewaltiger
Bergtannen mit ihrem würzigen Duft, aber tausendmal schöner als diese von
Luftkurorten mit städtischen Sommerfrischlern um ihren besten Reiz gebrachten
Waldeinsamkeiten ist doch der hohe südliche Schwarzwald, wo der Baumwuchs
schwindet, wo sich die freie Halde mit ihrem sonnenheißen Kleide von Preißel-
beere und Heidekraut dehnt, wo in der leichten Luft, im Fächeln des Berg¬
winds die Brust erst völlig aufgeht, und der Blick zu den krystallnen Zacken
und Gletschern der Alpen und über das Silberband des Rheins hinweg zu dem
duftumhülltcn Manerlumm der Vogesen schweift. Auch in Thüringen war mir
immer das schönste der Marsch den uralten hohen Rennstieg entlang mit seinem
weiten Ausblick über Thüringer- und Frankenland, mit seiner Waldeinsamkeit
und seiner Jahrhunderte ansuchenden historischen Stimmung; selbst in Heidel¬
berg war es der Blick über die Ebne, die weiten, glänzenden Schlingen des
Neckars hinab, und darüber weg, dorthin, wo am silbernen Rhein der Dom von
Speier die Erinnerung an die einstige Städteherrlichkeit weckt, und weiter hin¬
über zu den zackigen Bergen der Haardt, die das dunstige Licht des Tages


Grenzboten II 1893 66
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[0530] Allerlei vom Reisen laues Wanderungen zu lesen wären), in das herrliche Land der Buchenwälder und Seen, nach Mecklenburg, in die vielbespvttelte und doch so wunderbar stimmungsvolle Lüneburger Heide! Freilich, nicht alleu wirds so wohl, mit der Ebene und den leichtwelligen Hügelgegenden beginnen zu können. Und doch ist hier, gerade hier das Land der höchsten Poesie, von hier aus be¬ gleitet sie uns am treuesten auf dem gauzeu Lebenswege. Wie wären sonst gerade die Schleswig-Holsteiner Storm, Groth, Imsen so große Landschafts¬ poeten geworden, was hätte Ruysdael und Everdingen die tiefe landschaftliche Empfindung gegeben? Böcklius schönstes landschaftliches Stimmungsbild ist kein Bravourstück der schweizerischen Alpennatur, sondern das „Schweigen im Walde." Auf der Heide, im dämmernden Hochwald, am braunen Moor, da lenken keine prunkhnften Eindrücke von tiefern Stimmungen ab, da umweben schon deu Knaben Tagessonuenscheiu und Abendschwermut mit unauslöschlicher Poesie, da führen Naturlaute, wie Waldesrauschen und Frühlingswind, Unken im Moor und Hundegebell aus fernen Gehöften seine Phantasie weit davon, und da lernt er — in den empfänglichsten Jahren — mit jener Sehnsucht empfinden, die ihn dann durch all sein Leben geleitet, und die nichts andres als eben die blaue Blume ist. Sie geleitet ihn anch noch, wenn ihn der Schcmensdnrst dann in die weniger heimliche Schönheit von Berg und Thal führt, daß er auch dort immer noch schöneres sieht, als der bloße Bewundrer der Kontraste und des Höhenprosils: das goldne Licht, womit die Sonne das Grün berg¬ auf bergab durchflutet, die Farbenharmonien verdämmernder Ferne, den Zauber svnnendurchglühter (schattenloser, sagt der andre) Matten, die Gro߬ artigkeit wallender, kämpfender Nebel. Wie freute ich mich, als ich in Jenscns „Schwarzwald" wiederfand, womit ich mich so oft im Gegensatz zu aller Welt befunden hatte! Gewiß ist es anch schön in dem dunkeln Dickicht gewaltiger Bergtannen mit ihrem würzigen Duft, aber tausendmal schöner als diese von Luftkurorten mit städtischen Sommerfrischlern um ihren besten Reiz gebrachten Waldeinsamkeiten ist doch der hohe südliche Schwarzwald, wo der Baumwuchs schwindet, wo sich die freie Halde mit ihrem sonnenheißen Kleide von Preißel- beere und Heidekraut dehnt, wo in der leichten Luft, im Fächeln des Berg¬ winds die Brust erst völlig aufgeht, und der Blick zu den krystallnen Zacken und Gletschern der Alpen und über das Silberband des Rheins hinweg zu dem duftumhülltcn Manerlumm der Vogesen schweift. Auch in Thüringen war mir immer das schönste der Marsch den uralten hohen Rennstieg entlang mit seinem weiten Ausblick über Thüringer- und Frankenland, mit seiner Waldeinsamkeit und seiner Jahrhunderte ansuchenden historischen Stimmung; selbst in Heidel¬ berg war es der Blick über die Ebne, die weiten, glänzenden Schlingen des Neckars hinab, und darüber weg, dorthin, wo am silbernen Rhein der Dom von Speier die Erinnerung an die einstige Städteherrlichkeit weckt, und weiter hin¬ über zu den zackigen Bergen der Haardt, die das dunstige Licht des Tages Grenzboten II 1893 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/530>, abgerufen am 23.07.2024.