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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

und schließlich die Lüneburger Heide folgen lassen? Erst Rom und Venedig,
dann Augsburg und Bamberg und schließlich die alten märkischen Städtchen?
Nein, so gehts gewiß nicht, so wenig wie es geht, den Babies Gänseleber¬
pastete und Mixed Pickles zu geben und dann allmählich zur Zwiebacksuppe
herabzusteigen.

Versuchen wir also einmal den umgekehrten Weg. Eines freilich ist zu¬
zugeben : ganz bei der Stange zu bleiben ist kaum möglich, dafür sorgen schon
die Bade- und Vergnügungsreisen der Eltern, bei denen die Kinder mitgenommen
werden müssen. Aber bei den selbständigen Ausflügen, Touren und Reisen
der .Knaben und jungen Leute ließe sich doch wohl eine Stufenfolge festhalten.
Man fange damit an, daß man die Jungen etwa zum Küfer- und Schmetter¬
lingsammeln hinausschickt in die Wälder, Wiesen und Felder der nächsten Um¬
gebung der Heimatstadt. Die armen Tiere können einem ja leid thun, aber
besser ist diese Art von Sammeln doch immer noch, als die Briefmarten-
sammelei, die rasch zum Schacher und zu allen Arten des Kleiubetrugs führt.
Nur eins dulde man nicht: Vogeleier zu sammeln. Der Verfasser dieses Auf¬
satzes hat selbst vor Zeiten eine schöne Eiersammlung besessen, mit manchem
im Triumph erkletterten Falken- oder Reiherei, mit nächtlich auf heimlicher
Kahnfahrt erkämpftem Schwanenci u. s. w. Aber was gäbe er drum, wenn
all diese glorreichen Schülerabcnteuer nicht gewesen wären, wenn er das
Schreien des Hähers, der bis an die Stadt neben ihm herflog, als er ihm
die Hälfte seines Nestes geleert hatte, das Wimmern des Singvögelchens,
dem täglich das neu gelegte El genommen wurde, nicht mehr hörte! Also
sobald es das Wetter erlaubt, täglich hinaus mit den Buben in die
Natur, und wäre es selbst auf Kosten gewisser Schularbeiten, z. B. der aus¬
gegebnen lateinischen Phrasen; die mögen am andern Morgen in den Zwischen¬
stunden gelernt oder in Gottes Namen abgelesen werden -- so ein bischen
Kriegslist gegen Lehrplan und Philvlogcnpcdanterie verdirbt noch lange nicht
den Charakter! Nichts übt so das Auge und die Beobachtungskunst, als das
Jnsektensammeln; uoch heute sehe ich jeden Eichenspinner an der Eiche, jeden
Weidenbohrer an der Weide, wo tausende vorüberlaufen, habe noch immer
meine Freude um jedem Quadratfuß Wald- und Wiesenboden mit allem, was
darauf leimt und wächst und kreucht und fleucht, und bin außerdem der
Meinung, daß, wenn ich auf Spaziergängen hundert kleine Freuden habe,
wenn ich an Menschen, Gesichtern, Kleidern, Manieren fortwährend stillver¬
gnügt Veobachtnngen mache, wenn ich schöne Bilver ganz anders anzusehen
glaube als viele andre, auch das im letzten Grunde ans jener eifrigen Sammel¬
zeit herrühre. Ob bloße Botanik ebenso lehrreich sei, wage ich nicht zu ent¬
scheiden; jedenfalls tummelt man sich bei der Jnseltenjagd freier umher und
gewinnt dabei ganz von selber auch ein Verhältnis zur Pflanzenwelt. Dann
aber in den Ferien hinaus auf weitere Ausflüge! In die Mark (wobei Fon-


Allerlei vom Reisen

und schließlich die Lüneburger Heide folgen lassen? Erst Rom und Venedig,
dann Augsburg und Bamberg und schließlich die alten märkischen Städtchen?
Nein, so gehts gewiß nicht, so wenig wie es geht, den Babies Gänseleber¬
pastete und Mixed Pickles zu geben und dann allmählich zur Zwiebacksuppe
herabzusteigen.

Versuchen wir also einmal den umgekehrten Weg. Eines freilich ist zu¬
zugeben : ganz bei der Stange zu bleiben ist kaum möglich, dafür sorgen schon
die Bade- und Vergnügungsreisen der Eltern, bei denen die Kinder mitgenommen
werden müssen. Aber bei den selbständigen Ausflügen, Touren und Reisen
der .Knaben und jungen Leute ließe sich doch wohl eine Stufenfolge festhalten.
Man fange damit an, daß man die Jungen etwa zum Küfer- und Schmetter¬
lingsammeln hinausschickt in die Wälder, Wiesen und Felder der nächsten Um¬
gebung der Heimatstadt. Die armen Tiere können einem ja leid thun, aber
besser ist diese Art von Sammeln doch immer noch, als die Briefmarten-
sammelei, die rasch zum Schacher und zu allen Arten des Kleiubetrugs führt.
Nur eins dulde man nicht: Vogeleier zu sammeln. Der Verfasser dieses Auf¬
satzes hat selbst vor Zeiten eine schöne Eiersammlung besessen, mit manchem
im Triumph erkletterten Falken- oder Reiherei, mit nächtlich auf heimlicher
Kahnfahrt erkämpftem Schwanenci u. s. w. Aber was gäbe er drum, wenn
all diese glorreichen Schülerabcnteuer nicht gewesen wären, wenn er das
Schreien des Hähers, der bis an die Stadt neben ihm herflog, als er ihm
die Hälfte seines Nestes geleert hatte, das Wimmern des Singvögelchens,
dem täglich das neu gelegte El genommen wurde, nicht mehr hörte! Also
sobald es das Wetter erlaubt, täglich hinaus mit den Buben in die
Natur, und wäre es selbst auf Kosten gewisser Schularbeiten, z. B. der aus¬
gegebnen lateinischen Phrasen; die mögen am andern Morgen in den Zwischen¬
stunden gelernt oder in Gottes Namen abgelesen werden — so ein bischen
Kriegslist gegen Lehrplan und Philvlogcnpcdanterie verdirbt noch lange nicht
den Charakter! Nichts übt so das Auge und die Beobachtungskunst, als das
Jnsektensammeln; uoch heute sehe ich jeden Eichenspinner an der Eiche, jeden
Weidenbohrer an der Weide, wo tausende vorüberlaufen, habe noch immer
meine Freude um jedem Quadratfuß Wald- und Wiesenboden mit allem, was
darauf leimt und wächst und kreucht und fleucht, und bin außerdem der
Meinung, daß, wenn ich auf Spaziergängen hundert kleine Freuden habe,
wenn ich an Menschen, Gesichtern, Kleidern, Manieren fortwährend stillver¬
gnügt Veobachtnngen mache, wenn ich schöne Bilver ganz anders anzusehen
glaube als viele andre, auch das im letzten Grunde ans jener eifrigen Sammel¬
zeit herrühre. Ob bloße Botanik ebenso lehrreich sei, wage ich nicht zu ent¬
scheiden; jedenfalls tummelt man sich bei der Jnseltenjagd freier umher und
gewinnt dabei ganz von selber auch ein Verhältnis zur Pflanzenwelt. Dann
aber in den Ferien hinaus auf weitere Ausflüge! In die Mark (wobei Fon-


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[0529] Allerlei vom Reisen und schließlich die Lüneburger Heide folgen lassen? Erst Rom und Venedig, dann Augsburg und Bamberg und schließlich die alten märkischen Städtchen? Nein, so gehts gewiß nicht, so wenig wie es geht, den Babies Gänseleber¬ pastete und Mixed Pickles zu geben und dann allmählich zur Zwiebacksuppe herabzusteigen. Versuchen wir also einmal den umgekehrten Weg. Eines freilich ist zu¬ zugeben : ganz bei der Stange zu bleiben ist kaum möglich, dafür sorgen schon die Bade- und Vergnügungsreisen der Eltern, bei denen die Kinder mitgenommen werden müssen. Aber bei den selbständigen Ausflügen, Touren und Reisen der .Knaben und jungen Leute ließe sich doch wohl eine Stufenfolge festhalten. Man fange damit an, daß man die Jungen etwa zum Küfer- und Schmetter¬ lingsammeln hinausschickt in die Wälder, Wiesen und Felder der nächsten Um¬ gebung der Heimatstadt. Die armen Tiere können einem ja leid thun, aber besser ist diese Art von Sammeln doch immer noch, als die Briefmarten- sammelei, die rasch zum Schacher und zu allen Arten des Kleiubetrugs führt. Nur eins dulde man nicht: Vogeleier zu sammeln. Der Verfasser dieses Auf¬ satzes hat selbst vor Zeiten eine schöne Eiersammlung besessen, mit manchem im Triumph erkletterten Falken- oder Reiherei, mit nächtlich auf heimlicher Kahnfahrt erkämpftem Schwanenci u. s. w. Aber was gäbe er drum, wenn all diese glorreichen Schülerabcnteuer nicht gewesen wären, wenn er das Schreien des Hähers, der bis an die Stadt neben ihm herflog, als er ihm die Hälfte seines Nestes geleert hatte, das Wimmern des Singvögelchens, dem täglich das neu gelegte El genommen wurde, nicht mehr hörte! Also sobald es das Wetter erlaubt, täglich hinaus mit den Buben in die Natur, und wäre es selbst auf Kosten gewisser Schularbeiten, z. B. der aus¬ gegebnen lateinischen Phrasen; die mögen am andern Morgen in den Zwischen¬ stunden gelernt oder in Gottes Namen abgelesen werden — so ein bischen Kriegslist gegen Lehrplan und Philvlogcnpcdanterie verdirbt noch lange nicht den Charakter! Nichts übt so das Auge und die Beobachtungskunst, als das Jnsektensammeln; uoch heute sehe ich jeden Eichenspinner an der Eiche, jeden Weidenbohrer an der Weide, wo tausende vorüberlaufen, habe noch immer meine Freude um jedem Quadratfuß Wald- und Wiesenboden mit allem, was darauf leimt und wächst und kreucht und fleucht, und bin außerdem der Meinung, daß, wenn ich auf Spaziergängen hundert kleine Freuden habe, wenn ich an Menschen, Gesichtern, Kleidern, Manieren fortwährend stillver¬ gnügt Veobachtnngen mache, wenn ich schöne Bilver ganz anders anzusehen glaube als viele andre, auch das im letzten Grunde ans jener eifrigen Sammel¬ zeit herrühre. Ob bloße Botanik ebenso lehrreich sei, wage ich nicht zu ent¬ scheiden; jedenfalls tummelt man sich bei der Jnseltenjagd freier umher und gewinnt dabei ganz von selber auch ein Verhältnis zur Pflanzenwelt. Dann aber in den Ferien hinaus auf weitere Ausflüge! In die Mark (wobei Fon-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/529>, abgerufen am 23.07.2024.