Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Dichtende Frauen den klaren, reinen Grundakkord darstellen, in dem sich jene auf- und abwogenden Marin Janitschek halten wir für keine Sappho.") Oder höchstens für Armes Kinderherz, das einem alten Bettler solchen Schauer einflößt, daß es In der That, in diesen Gedichten wird unheimlich viel gedacht. So viel und ) Gesammelte Gedichte. Stuttgart, Union. Zweite, vermehrte Auflage.
Dichtende Frauen den klaren, reinen Grundakkord darstellen, in dem sich jene auf- und abwogenden Marin Janitschek halten wir für keine Sappho.") Oder höchstens für Armes Kinderherz, das einem alten Bettler solchen Schauer einflößt, daß es In der That, in diesen Gedichten wird unheimlich viel gedacht. So viel und ) Gesammelte Gedichte. Stuttgart, Union. Zweite, vermehrte Auflage.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214973"/> <fw type="header" place="top"> Dichtende Frauen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2010" prev="#ID_2009"> den klaren, reinen Grundakkord darstellen, in dem sich jene auf- und abwogenden<lb/> Harmonien immer wieder auflösen. Sie ist von Natur Empfängerin des Ge¬<lb/> dichts. Sie ist „die Ruh. der Friede mild, die Sehnsucht sie, und was sie stillt."<lb/> Die Dichterin dagegen ist kein beneidenswertes Geschöpf. Sie ist aus ihrer<lb/> Natur herausgeschleudert. Der kalte, unfruchtbare Lorbeer wird ihr nie er¬<lb/> setzen, was sie aufgiebt. Arme Sappho!</p><lb/> <p xml:id="ID_2011" next="#ID_2012"> Marin Janitschek halten wir für keine Sappho.") Oder höchstens für<lb/> eine Sappho des Zeitimgszeitalters. Das ist ein gar' wunderliches Gemisch<lb/> von eigentümlich barocker Art. Aber vor allen Dingen, diese Dame rhnt uns<lb/> leid. Sie muß sich sehr unglücklich fühlen. Denn etwa anzunehmen, daß sie<lb/> blos; ,,so thue," weil es ihr gut steht, verbietet uns doch das unumstößliche<lb/> Vertrauen auf alles, was so unpolitisch ist, Verse zu machen. Ihre Dichtung<lb/> ist ein „mächtiges Elend." Ihr Herz kann nicht schlafen und weint. Die<lb/> Dichterin sitzt auf dem Bettrand und beginnt zu singen, wie Mütter ihr<lb/> krankes Kindlein zum Schlummer bringen:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_35" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2012" prev="#ID_2011" next="#ID_2013"> Armes Kinderherz, das einem alten Bettler solchen Schauer einflößt, daß es<lb/> entflieht! säße an deinem Bettrand eine liebe, gute Mutter, dein „wildes,<lb/> zerftrömendcs Schluchze»" wiche minder elenden Tönen. Die Dichterin ängstigt<lb/> sich sogar für die armen Wesen, die uns möglicherweise unentstanden, unver¬<lb/> standen in einer vierten Dimension umschweben und ihre Unkörperlichkeit traurig<lb/> empfinden. Sie hat viel von ihnen zu leiden, wie sie in den Strophen be¬<lb/> richtet, die „Unbegriffnes" überschrieben sind, mit folgendem sehr begreiflichen<lb/> Eingang:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_36" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2013" prev="#ID_2012" next="#ID_2014"> In der That, in diesen Gedichten wird unheimlich viel gedacht. So viel und<lb/> so unheimlich, daß man mitunter fast versucht wäre, zu wünschen, die Dich¬<lb/> terin möchte lieber erst daun dichten, wenn sie gedacht hat. Was denkt es<lb/> nicht alles, das gute Mädchen „Sela," offenbar die „Seele," die mit des<lb/> Psalmisten „Sela" beileibe nichts zu thun haben will! Dein lieben Ding<lb/> ist „das Röckchen zu kurz geworden," so erklärt das erste Gedicht. Pupa<lb/> und Mama wollen ihr kein längeres anschaffen. Backfisch will sie nicht mehr</p><lb/> <note xml:id="FID_81" place="foot"> ) Gesammelte Gedichte. Stuttgart, Union. Zweite, vermehrte Auflage.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
Dichtende Frauen
den klaren, reinen Grundakkord darstellen, in dem sich jene auf- und abwogenden
Harmonien immer wieder auflösen. Sie ist von Natur Empfängerin des Ge¬
dichts. Sie ist „die Ruh. der Friede mild, die Sehnsucht sie, und was sie stillt."
Die Dichterin dagegen ist kein beneidenswertes Geschöpf. Sie ist aus ihrer
Natur herausgeschleudert. Der kalte, unfruchtbare Lorbeer wird ihr nie er¬
setzen, was sie aufgiebt. Arme Sappho!
Marin Janitschek halten wir für keine Sappho.") Oder höchstens für
eine Sappho des Zeitimgszeitalters. Das ist ein gar' wunderliches Gemisch
von eigentümlich barocker Art. Aber vor allen Dingen, diese Dame rhnt uns
leid. Sie muß sich sehr unglücklich fühlen. Denn etwa anzunehmen, daß sie
blos; ,,so thue," weil es ihr gut steht, verbietet uns doch das unumstößliche
Vertrauen auf alles, was so unpolitisch ist, Verse zu machen. Ihre Dichtung
ist ein „mächtiges Elend." Ihr Herz kann nicht schlafen und weint. Die
Dichterin sitzt auf dem Bettrand und beginnt zu singen, wie Mütter ihr
krankes Kindlein zum Schlummer bringen:
Armes Kinderherz, das einem alten Bettler solchen Schauer einflößt, daß es
entflieht! säße an deinem Bettrand eine liebe, gute Mutter, dein „wildes,
zerftrömendcs Schluchze»" wiche minder elenden Tönen. Die Dichterin ängstigt
sich sogar für die armen Wesen, die uns möglicherweise unentstanden, unver¬
standen in einer vierten Dimension umschweben und ihre Unkörperlichkeit traurig
empfinden. Sie hat viel von ihnen zu leiden, wie sie in den Strophen be¬
richtet, die „Unbegriffnes" überschrieben sind, mit folgendem sehr begreiflichen
Eingang:
In der That, in diesen Gedichten wird unheimlich viel gedacht. So viel und
so unheimlich, daß man mitunter fast versucht wäre, zu wünschen, die Dich¬
terin möchte lieber erst daun dichten, wenn sie gedacht hat. Was denkt es
nicht alles, das gute Mädchen „Sela," offenbar die „Seele," die mit des
Psalmisten „Sela" beileibe nichts zu thun haben will! Dein lieben Ding
ist „das Röckchen zu kurz geworden," so erklärt das erste Gedicht. Pupa
und Mama wollen ihr kein längeres anschaffen. Backfisch will sie nicht mehr
) Gesammelte Gedichte. Stuttgart, Union. Zweite, vermehrte Auflage.
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