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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

bild auch. Natürlich um dem das Geschäft zu verderben? In Versen? Ich
glaube nicht. Dann stricken sie lieber Romane. Nein! Wenn Frauen dichten,
andauernd und mit Vorbedacht dichten, nicht etwa im Flügelkleide, als Back¬
fisch fürs Tagebuch oder das Stammbuch der Freundinnen, dann pflegt das
seine ganz besondern Gründe zu haben. Nun mehren sich die dichtenden Frauen
in unsern politischen Zeiten ganz unverhültmsmüßig und in immer steigender
Progression. Also müssen sich doch auch die ganz besondern Gründe in immer
steigendem Maße geltend machen. Da wage ich denn zu behaupten, daß diese
Gründe, die Gründe für eine fo unpolitische Thatsache, in hohem Maße poli¬
tisch sind.

Ich rücke nicht mit der Statistik ins Feld. Ich glaube nicht, daß diese
moderne Wissenschaft -- ihre moderne Exaktheit in allen Ehren! -- uuter den
Hilfswisfenschaften der Politik sonderlich im Vordergründe stehe. Die Millionen
Frauen, die Alldeutschland den Männern über hat, imponire" mir gar nicht.
Ich glaube nicht, daß sich meine dichtenden Frauen darunter befinde". Dieser
weibliche Überschuß, der keinen Mann bekommen kann, weil streng arithmetisch
keiner für ihn da ist, geht uns gar nichts an. Wenn er nicht bloß auf dem
Papier steht, wenn er wirklich lebt und atmet, so mochte wenigstens ich nichts
mit ihm zu thun haben. Daß die Statistik keinen Mann für sie hat, daran
liegt es nicht, wenn die Frauen heutzutage so viel dichten. Im Gegenteil, ich
möchte eher behaupten, daß es daran liege, daß die heutige Gesellschaft keine
Frauen für die Männer hat, sondern Frauen "an und für sich." Was das
für Wesen sind, werden wir gleich sehen. So viel steht fest, daß unsre Zeit
die Tendenz hat, die Frau aus der Welt zu schaffen, wohlverstanden die fräu-
liche Frau, die Frau für den Mann. In absehbarer Zeit wird mau die letzte
zu Grabe getragen haben, die letzte Edle, die uns mit Verständnis das Vesper¬
brot zu streichen verstand und uns mit unpolitischen Kopfnüsfen empfing,
wenn wir mit zerrissenen Unaussprechlichen nach Hanse kamen. An ihre Stelle
tritt das politisch reife Weib, die Frau ,,an sich," die Frau, die hoch über
allen "Butterbroten" Verständnis für die "Fragen ihrer Zeit" hat oder viel¬
mehr "besitzt."

Die Dichtung, man mag in Statistikerkreisen so übel non ihr denken, wie
man will, zeigt dennoch für die Messung gewisser Erscheinungen am Gesell-
schaftstvrper einen unbestreitbaren, durch nichts zu ersetzenden Wert. Diese
Erscheinungen betreffen nichts geringeres als das jeweilige Allgemeinbefinden der
Menschheit. Die Dichtung ist eine Art 'Gradmesser dieses Allgemeinbefindens.
Sie ist ein untrüglicher "Pulsomcter" für die jeweilige Grundstimmung der
Menschheit, ihr Glauben und Wünschen, Hoffen und Meinen. Daß nnn Frauen
dichte", ist sonst eine Ausnahme. Es ist kein Zeichen politischen Wohlbefindens,
wenn es wie heute Regel wird, wenn das "Ewigweibliche" so stark mitschwingt
beim Ausdruck des stürmisch wechselnden Menschheitsgefühls. Das Weib soll


Dichtende Frauen

bild auch. Natürlich um dem das Geschäft zu verderben? In Versen? Ich
glaube nicht. Dann stricken sie lieber Romane. Nein! Wenn Frauen dichten,
andauernd und mit Vorbedacht dichten, nicht etwa im Flügelkleide, als Back¬
fisch fürs Tagebuch oder das Stammbuch der Freundinnen, dann pflegt das
seine ganz besondern Gründe zu haben. Nun mehren sich die dichtenden Frauen
in unsern politischen Zeiten ganz unverhültmsmüßig und in immer steigender
Progression. Also müssen sich doch auch die ganz besondern Gründe in immer
steigendem Maße geltend machen. Da wage ich denn zu behaupten, daß diese
Gründe, die Gründe für eine fo unpolitische Thatsache, in hohem Maße poli¬
tisch sind.

Ich rücke nicht mit der Statistik ins Feld. Ich glaube nicht, daß diese
moderne Wissenschaft — ihre moderne Exaktheit in allen Ehren! — uuter den
Hilfswisfenschaften der Politik sonderlich im Vordergründe stehe. Die Millionen
Frauen, die Alldeutschland den Männern über hat, imponire» mir gar nicht.
Ich glaube nicht, daß sich meine dichtenden Frauen darunter befinde». Dieser
weibliche Überschuß, der keinen Mann bekommen kann, weil streng arithmetisch
keiner für ihn da ist, geht uns gar nichts an. Wenn er nicht bloß auf dem
Papier steht, wenn er wirklich lebt und atmet, so mochte wenigstens ich nichts
mit ihm zu thun haben. Daß die Statistik keinen Mann für sie hat, daran
liegt es nicht, wenn die Frauen heutzutage so viel dichten. Im Gegenteil, ich
möchte eher behaupten, daß es daran liege, daß die heutige Gesellschaft keine
Frauen für die Männer hat, sondern Frauen „an und für sich." Was das
für Wesen sind, werden wir gleich sehen. So viel steht fest, daß unsre Zeit
die Tendenz hat, die Frau aus der Welt zu schaffen, wohlverstanden die fräu-
liche Frau, die Frau für den Mann. In absehbarer Zeit wird mau die letzte
zu Grabe getragen haben, die letzte Edle, die uns mit Verständnis das Vesper¬
brot zu streichen verstand und uns mit unpolitischen Kopfnüsfen empfing,
wenn wir mit zerrissenen Unaussprechlichen nach Hanse kamen. An ihre Stelle
tritt das politisch reife Weib, die Frau ,,an sich," die Frau, die hoch über
allen „Butterbroten" Verständnis für die „Fragen ihrer Zeit" hat oder viel¬
mehr „besitzt."

Die Dichtung, man mag in Statistikerkreisen so übel non ihr denken, wie
man will, zeigt dennoch für die Messung gewisser Erscheinungen am Gesell-
schaftstvrper einen unbestreitbaren, durch nichts zu ersetzenden Wert. Diese
Erscheinungen betreffen nichts geringeres als das jeweilige Allgemeinbefinden der
Menschheit. Die Dichtung ist eine Art 'Gradmesser dieses Allgemeinbefindens.
Sie ist ein untrüglicher „Pulsomcter" für die jeweilige Grundstimmung der
Menschheit, ihr Glauben und Wünschen, Hoffen und Meinen. Daß nnn Frauen
dichte», ist sonst eine Ausnahme. Es ist kein Zeichen politischen Wohlbefindens,
wenn es wie heute Regel wird, wenn das „Ewigweibliche" so stark mitschwingt
beim Ausdruck des stürmisch wechselnden Menschheitsgefühls. Das Weib soll


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[0517] Dichtende Frauen bild auch. Natürlich um dem das Geschäft zu verderben? In Versen? Ich glaube nicht. Dann stricken sie lieber Romane. Nein! Wenn Frauen dichten, andauernd und mit Vorbedacht dichten, nicht etwa im Flügelkleide, als Back¬ fisch fürs Tagebuch oder das Stammbuch der Freundinnen, dann pflegt das seine ganz besondern Gründe zu haben. Nun mehren sich die dichtenden Frauen in unsern politischen Zeiten ganz unverhültmsmüßig und in immer steigender Progression. Also müssen sich doch auch die ganz besondern Gründe in immer steigendem Maße geltend machen. Da wage ich denn zu behaupten, daß diese Gründe, die Gründe für eine fo unpolitische Thatsache, in hohem Maße poli¬ tisch sind. Ich rücke nicht mit der Statistik ins Feld. Ich glaube nicht, daß diese moderne Wissenschaft — ihre moderne Exaktheit in allen Ehren! — uuter den Hilfswisfenschaften der Politik sonderlich im Vordergründe stehe. Die Millionen Frauen, die Alldeutschland den Männern über hat, imponire» mir gar nicht. Ich glaube nicht, daß sich meine dichtenden Frauen darunter befinde». Dieser weibliche Überschuß, der keinen Mann bekommen kann, weil streng arithmetisch keiner für ihn da ist, geht uns gar nichts an. Wenn er nicht bloß auf dem Papier steht, wenn er wirklich lebt und atmet, so mochte wenigstens ich nichts mit ihm zu thun haben. Daß die Statistik keinen Mann für sie hat, daran liegt es nicht, wenn die Frauen heutzutage so viel dichten. Im Gegenteil, ich möchte eher behaupten, daß es daran liege, daß die heutige Gesellschaft keine Frauen für die Männer hat, sondern Frauen „an und für sich." Was das für Wesen sind, werden wir gleich sehen. So viel steht fest, daß unsre Zeit die Tendenz hat, die Frau aus der Welt zu schaffen, wohlverstanden die fräu- liche Frau, die Frau für den Mann. In absehbarer Zeit wird mau die letzte zu Grabe getragen haben, die letzte Edle, die uns mit Verständnis das Vesper¬ brot zu streichen verstand und uns mit unpolitischen Kopfnüsfen empfing, wenn wir mit zerrissenen Unaussprechlichen nach Hanse kamen. An ihre Stelle tritt das politisch reife Weib, die Frau ,,an sich," die Frau, die hoch über allen „Butterbroten" Verständnis für die „Fragen ihrer Zeit" hat oder viel¬ mehr „besitzt." Die Dichtung, man mag in Statistikerkreisen so übel non ihr denken, wie man will, zeigt dennoch für die Messung gewisser Erscheinungen am Gesell- schaftstvrper einen unbestreitbaren, durch nichts zu ersetzenden Wert. Diese Erscheinungen betreffen nichts geringeres als das jeweilige Allgemeinbefinden der Menschheit. Die Dichtung ist eine Art 'Gradmesser dieses Allgemeinbefindens. Sie ist ein untrüglicher „Pulsomcter" für die jeweilige Grundstimmung der Menschheit, ihr Glauben und Wünschen, Hoffen und Meinen. Daß nnn Frauen dichte», ist sonst eine Ausnahme. Es ist kein Zeichen politischen Wohlbefindens, wenn es wie heute Regel wird, wenn das „Ewigweibliche" so stark mitschwingt beim Ausdruck des stürmisch wechselnden Menschheitsgefühls. Das Weib soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/517>, abgerufen am 03.07.2024.