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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Etatsrath

Leider nicht, Excellenz! erwiderte Lauritzen.

Der alte Herr gähnte. Sie waren wohl nie verheiratet? fragte er un¬
vermittelt.

Der Etatsrat beeilte sich, bejahend zu antworten. Es war ihm sogar ein
Genuß, etwas von einem Menschen erzählen zu können. Sie war eine rei--
eine Witwe, begann er und verschluckte hastig die zweite Silbe des Wortes
"reiche." Aber er konnte an seine verstorbne Frau nicht ohne dieses Beiwort
denken. Nun machte er ein feierliches Gesicht. Ihre Gesundheit war leider
nicht die stärkste, und ich mußte sie bald verlieren!

Haben Sie Kinder gehabt?

Der Etatsrat sah etwas verdutzt aus. Nein, Excellenz! Meine Frau
brachte eine Tochter mit in die Ehe, die jetzt mit einem Apotheker verheiratet
ist. Ich verschaffte ihm den Titel eines Kriegsrath! setzte er in einem Tone
hinzu, dem man das Bewußtsein der Pflichterfüllung anhörte.

Wie wurde es denn mit der Erbschaft? fragte der Pastor, der eben herein¬
gekommen war und die Silbe rei-- doch erschnappt hatte.

Meine Frau hatte ein sehr nettes Testament gemacht! erwiderte der
Etatsrat gerührt. Er wurde immer gerührt, wenn er an dieses Testament
dachte.

Da haben Sie aber Glück gehabt! rief das schwarze Schaf. In meiner
frühern Gemeinde lebte ein Mann, der auch eine reiche Witwe heiratete. Aber
als sie starb -- und nun folgte eine lange und verwickelte Erbschaftsgeschichte.
Der Pastor erzählte sie aber gut; alle Stammgäste hörten ihm zu. und der
Etatsrat ärgerte sich. Denn obgleich er sich einbildete, alles zu können, so
hatte er doch jetzt die unbestimmte Ahnung, daß er keine Geschichte erzählen
könnte.

Mehrere Abende waren vergangen, und der Etatsrat wurde nicht mehr
nach einer Geschichte gefragt. Selbst der Geheimrat fand sich allmählich darein,
daß Peter Lauritzen ein Statist am Stammtisch sei, dem nur sein Titel
seine angesehene Stellung verschaffte.

Aber der Etatsrat wollte natürlich von einer Statistenrvlle nichts wissen.
Wenn er sich auch hin und wieder darüber ärgerte, daß er nichts erzählen
konnte, so war er doch viel zu sehr von seinem eignen Werte durchdrungen,
als daß er nicht jeden glücklich geschätzt Hütte, der mit ihm sprechen durfte.

In dieser wohlgefälligen, behaglichen Stimmung machte er seine Besuche
bei den Honoratioren des Städtchens, unter denen sich viel Adel befand.
Überall wurde er freundlich aufgenommen, besonders bei den drei Komtessen
am Markt, die sich über jede Abwechslung freuten. Es waren das drei sehr
beliebte ältere Damen, die allen Menschen ihre Teilnahme zuwandten und sich
daher bei Lauritzen gleich nach dem Befinden seiner Eltern erkundigten.

Der Etatsrat geriet etwas in Verlegenheit, denn solange seine Eltern


Grenzboten et 1893 6
Die Geschichte des Etatsrath

Leider nicht, Excellenz! erwiderte Lauritzen.

Der alte Herr gähnte. Sie waren wohl nie verheiratet? fragte er un¬
vermittelt.

Der Etatsrat beeilte sich, bejahend zu antworten. Es war ihm sogar ein
Genuß, etwas von einem Menschen erzählen zu können. Sie war eine rei—
eine Witwe, begann er und verschluckte hastig die zweite Silbe des Wortes
„reiche." Aber er konnte an seine verstorbne Frau nicht ohne dieses Beiwort
denken. Nun machte er ein feierliches Gesicht. Ihre Gesundheit war leider
nicht die stärkste, und ich mußte sie bald verlieren!

Haben Sie Kinder gehabt?

Der Etatsrat sah etwas verdutzt aus. Nein, Excellenz! Meine Frau
brachte eine Tochter mit in die Ehe, die jetzt mit einem Apotheker verheiratet
ist. Ich verschaffte ihm den Titel eines Kriegsrath! setzte er in einem Tone
hinzu, dem man das Bewußtsein der Pflichterfüllung anhörte.

Wie wurde es denn mit der Erbschaft? fragte der Pastor, der eben herein¬
gekommen war und die Silbe rei— doch erschnappt hatte.

Meine Frau hatte ein sehr nettes Testament gemacht! erwiderte der
Etatsrat gerührt. Er wurde immer gerührt, wenn er an dieses Testament
dachte.

Da haben Sie aber Glück gehabt! rief das schwarze Schaf. In meiner
frühern Gemeinde lebte ein Mann, der auch eine reiche Witwe heiratete. Aber
als sie starb — und nun folgte eine lange und verwickelte Erbschaftsgeschichte.
Der Pastor erzählte sie aber gut; alle Stammgäste hörten ihm zu. und der
Etatsrat ärgerte sich. Denn obgleich er sich einbildete, alles zu können, so
hatte er doch jetzt die unbestimmte Ahnung, daß er keine Geschichte erzählen
könnte.

Mehrere Abende waren vergangen, und der Etatsrat wurde nicht mehr
nach einer Geschichte gefragt. Selbst der Geheimrat fand sich allmählich darein,
daß Peter Lauritzen ein Statist am Stammtisch sei, dem nur sein Titel
seine angesehene Stellung verschaffte.

Aber der Etatsrat wollte natürlich von einer Statistenrvlle nichts wissen.
Wenn er sich auch hin und wieder darüber ärgerte, daß er nichts erzählen
konnte, so war er doch viel zu sehr von seinem eignen Werte durchdrungen,
als daß er nicht jeden glücklich geschätzt Hütte, der mit ihm sprechen durfte.

In dieser wohlgefälligen, behaglichen Stimmung machte er seine Besuche
bei den Honoratioren des Städtchens, unter denen sich viel Adel befand.
Überall wurde er freundlich aufgenommen, besonders bei den drei Komtessen
am Markt, die sich über jede Abwechslung freuten. Es waren das drei sehr
beliebte ältere Damen, die allen Menschen ihre Teilnahme zuwandten und sich
daher bei Lauritzen gleich nach dem Befinden seiner Eltern erkundigten.

Der Etatsrat geriet etwas in Verlegenheit, denn solange seine Eltern


Grenzboten et 1893 6
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[0051] Die Geschichte des Etatsrath Leider nicht, Excellenz! erwiderte Lauritzen. Der alte Herr gähnte. Sie waren wohl nie verheiratet? fragte er un¬ vermittelt. Der Etatsrat beeilte sich, bejahend zu antworten. Es war ihm sogar ein Genuß, etwas von einem Menschen erzählen zu können. Sie war eine rei— eine Witwe, begann er und verschluckte hastig die zweite Silbe des Wortes „reiche." Aber er konnte an seine verstorbne Frau nicht ohne dieses Beiwort denken. Nun machte er ein feierliches Gesicht. Ihre Gesundheit war leider nicht die stärkste, und ich mußte sie bald verlieren! Haben Sie Kinder gehabt? Der Etatsrat sah etwas verdutzt aus. Nein, Excellenz! Meine Frau brachte eine Tochter mit in die Ehe, die jetzt mit einem Apotheker verheiratet ist. Ich verschaffte ihm den Titel eines Kriegsrath! setzte er in einem Tone hinzu, dem man das Bewußtsein der Pflichterfüllung anhörte. Wie wurde es denn mit der Erbschaft? fragte der Pastor, der eben herein¬ gekommen war und die Silbe rei— doch erschnappt hatte. Meine Frau hatte ein sehr nettes Testament gemacht! erwiderte der Etatsrat gerührt. Er wurde immer gerührt, wenn er an dieses Testament dachte. Da haben Sie aber Glück gehabt! rief das schwarze Schaf. In meiner frühern Gemeinde lebte ein Mann, der auch eine reiche Witwe heiratete. Aber als sie starb — und nun folgte eine lange und verwickelte Erbschaftsgeschichte. Der Pastor erzählte sie aber gut; alle Stammgäste hörten ihm zu. und der Etatsrat ärgerte sich. Denn obgleich er sich einbildete, alles zu können, so hatte er doch jetzt die unbestimmte Ahnung, daß er keine Geschichte erzählen könnte. Mehrere Abende waren vergangen, und der Etatsrat wurde nicht mehr nach einer Geschichte gefragt. Selbst der Geheimrat fand sich allmählich darein, daß Peter Lauritzen ein Statist am Stammtisch sei, dem nur sein Titel seine angesehene Stellung verschaffte. Aber der Etatsrat wollte natürlich von einer Statistenrvlle nichts wissen. Wenn er sich auch hin und wieder darüber ärgerte, daß er nichts erzählen konnte, so war er doch viel zu sehr von seinem eignen Werte durchdrungen, als daß er nicht jeden glücklich geschätzt Hütte, der mit ihm sprechen durfte. In dieser wohlgefälligen, behaglichen Stimmung machte er seine Besuche bei den Honoratioren des Städtchens, unter denen sich viel Adel befand. Überall wurde er freundlich aufgenommen, besonders bei den drei Komtessen am Markt, die sich über jede Abwechslung freuten. Es waren das drei sehr beliebte ältere Damen, die allen Menschen ihre Teilnahme zuwandten und sich daher bei Lauritzen gleich nach dem Befinden seiner Eltern erkundigten. Der Etatsrat geriet etwas in Verlegenheit, denn solange seine Eltern Grenzboten et 1893 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/51>, abgerufen am 23.07.2024.