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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

einiger Verlegenheit herunterkugelt, um eine aufrechte Stellung zu gewinnen,
mit einem Schreiber und Rechnungen beschäftigt. Herr von Meyern (Alvens-
lebens Schwiegersohn), vertrauter Privatsekretär des Herzogs; ein schöner
Murr von einigeii dreißig Jahren, der sehr geistreich aussieht.

Mein schwarzer Diener kündigt mir an: Diner ist an sechs Uhr befohlen
im Frack. Weißes Halstuch sei nicht nötig, fügt der schwarze Mann hinzu.
Es ist nicht ganz leicht, sich durch alle Gänge und Treppchen des Schlosses
zurecht zu finden.

Im Vorspeisesaal lernte ich nun auch die andern Herren persönlich kennen.
Treskvw ist ein harmloser Mann, der mit den Damen auf dem Fuße gegen¬
seitiger, sehr unschuldiger kleiner Neckereien steht, von der Art, die keinen großen
Aufwand von Geist erfordern; sein früh ergrautes Haar ist sorgfältig schön
braun gefärbt, mit der gewöhnlichen metallischen Straffheit und kleinen roten
Lichtern. /Hvfmnrfchall von Gruben, ein regelrechter Kavalier kleiner, nicht
großer Höfe, eher Landjunker als Weltmann. Barnard, ein greises, aber
rüstiges kleines Männchen, das seine Rolle als czuu.8i Mitglied der Familie
sehr gut spielt, alle Familiarität annimmt und erwidert, ohne je über die
Grenze hinaus zu gehen, ohne sich je bei seiner anscheinenden Ungenirtheit
eine wirkliche Freiheit zu nehmen.

An Besuch ist da zur Jagd: ein Graf von Erbach, weiß nicht von welcher
Linie, mit einem Stern geschmückt; ein junger Fürst Leiningen, Vetter der
Königin von England und bisher Offizier in der englischen Garde, ein junger
Mann mit hübschen hellblauen Augen, der ungemein gutmütig, aber auch
wenigstens ebenso unbedeutend aussieht; endlich ein gewesener Jäger, ein Eng¬
länder, Mr. Hnghan (ausgesprochen Hure), der das Unglück gehabt hat, auf
einer Hirschjagd in den schottischen Hochlanden sehr erhitzt mit dem Pferde in
einen etwas kühlen Vergstrom zu stürzen; die eine Seite ist ihm seitdem ge¬
lähmt. Sehr 8<zue1<zug.nuk6, früh verheiratet, früh Witwer; der Herzog kennt
ihn gut von London her, wo er sein Hans viel besucht hat.

Unter den Damen steht in gewissem Sinne seine einundzwnnzigjährige
Tochter, Miß Gicmetta, oben an als berühmte und gefeierte Schönheit, und
sie ist wirklich blendend schön! Brünett in der eigentümlichen Weise, wie eben
nur Engländerinnen sind, mit fein gebogner römischer Nase, geistreichen
Angen und Nabenlocken um die schöngewölbte Stirn; ein Korallenschmnck steht
ihr reizend. Sie soll auch sehr geistreich sein und beschäftigt sich mit Kunst
und Wissenschaft in einer Weise, die eben auch wieder nur bei Engländerinnen
vorkommt. So hat sie im Dogenpalast zu Venedig mit ihrem Vater zu¬
sammen Berichte der venetianischen Gesandten aus dem sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert abgeschrieben. Zufällig findet sich für mich keine Gelegen¬
heit, ihr vorgestellt zu werdeu. Den übrigen Damen stellt mich G. Frehtag
vor, wie sich eben die Gelegenheit dazu bietet. Frau von Medern, jours


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

einiger Verlegenheit herunterkugelt, um eine aufrechte Stellung zu gewinnen,
mit einem Schreiber und Rechnungen beschäftigt. Herr von Meyern (Alvens-
lebens Schwiegersohn), vertrauter Privatsekretär des Herzogs; ein schöner
Murr von einigeii dreißig Jahren, der sehr geistreich aussieht.

Mein schwarzer Diener kündigt mir an: Diner ist an sechs Uhr befohlen
im Frack. Weißes Halstuch sei nicht nötig, fügt der schwarze Mann hinzu.
Es ist nicht ganz leicht, sich durch alle Gänge und Treppchen des Schlosses
zurecht zu finden.

Im Vorspeisesaal lernte ich nun auch die andern Herren persönlich kennen.
Treskvw ist ein harmloser Mann, der mit den Damen auf dem Fuße gegen¬
seitiger, sehr unschuldiger kleiner Neckereien steht, von der Art, die keinen großen
Aufwand von Geist erfordern; sein früh ergrautes Haar ist sorgfältig schön
braun gefärbt, mit der gewöhnlichen metallischen Straffheit und kleinen roten
Lichtern. /Hvfmnrfchall von Gruben, ein regelrechter Kavalier kleiner, nicht
großer Höfe, eher Landjunker als Weltmann. Barnard, ein greises, aber
rüstiges kleines Männchen, das seine Rolle als czuu.8i Mitglied der Familie
sehr gut spielt, alle Familiarität annimmt und erwidert, ohne je über die
Grenze hinaus zu gehen, ohne sich je bei seiner anscheinenden Ungenirtheit
eine wirkliche Freiheit zu nehmen.

An Besuch ist da zur Jagd: ein Graf von Erbach, weiß nicht von welcher
Linie, mit einem Stern geschmückt; ein junger Fürst Leiningen, Vetter der
Königin von England und bisher Offizier in der englischen Garde, ein junger
Mann mit hübschen hellblauen Augen, der ungemein gutmütig, aber auch
wenigstens ebenso unbedeutend aussieht; endlich ein gewesener Jäger, ein Eng¬
länder, Mr. Hnghan (ausgesprochen Hure), der das Unglück gehabt hat, auf
einer Hirschjagd in den schottischen Hochlanden sehr erhitzt mit dem Pferde in
einen etwas kühlen Vergstrom zu stürzen; die eine Seite ist ihm seitdem ge¬
lähmt. Sehr 8<zue1<zug.nuk6, früh verheiratet, früh Witwer; der Herzog kennt
ihn gut von London her, wo er sein Hans viel besucht hat.

Unter den Damen steht in gewissem Sinne seine einundzwnnzigjährige
Tochter, Miß Gicmetta, oben an als berühmte und gefeierte Schönheit, und
sie ist wirklich blendend schön! Brünett in der eigentümlichen Weise, wie eben
nur Engländerinnen sind, mit fein gebogner römischer Nase, geistreichen
Angen und Nabenlocken um die schöngewölbte Stirn; ein Korallenschmnck steht
ihr reizend. Sie soll auch sehr geistreich sein und beschäftigt sich mit Kunst
und Wissenschaft in einer Weise, die eben auch wieder nur bei Engländerinnen
vorkommt. So hat sie im Dogenpalast zu Venedig mit ihrem Vater zu¬
sammen Berichte der venetianischen Gesandten aus dem sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert abgeschrieben. Zufällig findet sich für mich keine Gelegen¬
heit, ihr vorgestellt zu werdeu. Den übrigen Damen stellt mich G. Frehtag
vor, wie sich eben die Gelegenheit dazu bietet. Frau von Medern, jours


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/509>, abgerufen am 26.08.2024.