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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Er fragt, wie es in Beziehung auf die Wahlen in Schlesien und in ganz
Preußen stehe, und bemerkt dazu, die diesmaligen Wahlen hätten eine sehr
große europäische Wichtigkeit; von dem Erfolg dieser Wahlen werde es ab¬
hängen, inwiefern man in England glauben werde, sich auf Preußen verlassen
zu können, und wie weit sich England überhaupt mit Preußen einlassen werde.

Er entläßt mich mit den Worten, er müsse jetzt Vorträge annehmen und
eiuer Sitzung Präsidiren, hoffe aber demnächst ausführlicher mit mir zu
sprechen: "Zwischen fünf und sechs Uhr erwarte ich Sie in Reinhardsbrunn!"

Spaziergang zum Schloß Friedenstein. Man begreift, daß der Herzog
dn oben nicht wohnt. Das große Gebäude sieht sehr unwohnlich aus. Es
ist alt, hat sehr viele Fenster; die Fensterreihen liegen aber so nahe unter
einander, daß man schon von außen sieht, wie niedrig die Zimmer im Innern
sein müssen.

Die Stadt liegt hinter dein Schloß auf einer abschüssigen Fläche, die sich,
dein Lauf der Leiua folgend, zu einem kleine" Bach hinabsenkt. Unmittelbar
hinter dem Schloß ein langer, schmaler, abschüssiger Marktplatz, zu dem vom
Schloß her Treppen hinunterführen. Hübsche Parkanlagen um das Schloß
her, von denen sich ein schmaler Spaziergang zwischen der Stadt und den
Vorstädten herumzieht.

Fahrt im offnen Wagen über Wahlwinkel und Rodicheu nach Reinhards¬
brunn. Das Schloß, ehemals Benediktinerabtei, aber aus rotem Sandstein
vom Grund aus neu erbaut -- und der Gasthof einige hundert Schritt davon,
durch Gebüsch versteckt, sodaß man ihn vom Schloß aus nicht sieht -- liegen
gar schön in dem waldbegrenzten Wiesenthal mit seinen Parkanlagen und Teichen.
Heute, am Sonntag, ist das Bild bunt und festlich belebt. Es sind aus nah
und fern unzählige Spaziergänger da -- vom Gasthof her schallt Musik --
in deu Anlagen wimmelt es von angepntzten Frauen und Mädchen und ihren
Begleitern. Am Thorweg des Schlosses empfängt mich der Kastellan und
führt mich auf einen mit Hirschgeweihen gezierten Korridor in das mir be¬
stimmte Zimmer. Es meldet sich ein Diener, der mir zur Bedienung bestimmt
ist: ein rabenschwarzer Mohr namens Philipp.'

G. Freytag kommt und setzt mich sehr gewissenhaft mi l-ut, von allen
Persönlichkeiten des hiesigen Hoff und von den Größen, die eben hier ver¬
weilen. Nach seiner Anleitung mache ich denn auch noch vor Tisch die nötigen
Besuche im Schloß: Rittmeister von Treskow vom siebenten preußischen Kü¬
rassierregiment, dessen Chef der Herzog ist, Adjutant des Herzogs; Hofmarschall
von Gruben; Mr. Barnard, englischer Llmigv Ä'aSaürvs, ein alter Mann, der
den Herzog und seine Brüder schon als Kinder gekannt hat und sast als ein
Mitglied der Familie behandelt wird. Bei diesen dreien en p-Mor.

Wirklich sehe ich den Oberstallmeister von Alvensleben; den finde ich
auf ein kräftiges "Herein!" im Schlafrock auf einer Couchette, von der er in


Er fragt, wie es in Beziehung auf die Wahlen in Schlesien und in ganz
Preußen stehe, und bemerkt dazu, die diesmaligen Wahlen hätten eine sehr
große europäische Wichtigkeit; von dem Erfolg dieser Wahlen werde es ab¬
hängen, inwiefern man in England glauben werde, sich auf Preußen verlassen
zu können, und wie weit sich England überhaupt mit Preußen einlassen werde.

Er entläßt mich mit den Worten, er müsse jetzt Vorträge annehmen und
eiuer Sitzung Präsidiren, hoffe aber demnächst ausführlicher mit mir zu
sprechen: „Zwischen fünf und sechs Uhr erwarte ich Sie in Reinhardsbrunn!"

Spaziergang zum Schloß Friedenstein. Man begreift, daß der Herzog
dn oben nicht wohnt. Das große Gebäude sieht sehr unwohnlich aus. Es
ist alt, hat sehr viele Fenster; die Fensterreihen liegen aber so nahe unter
einander, daß man schon von außen sieht, wie niedrig die Zimmer im Innern
sein müssen.

Die Stadt liegt hinter dein Schloß auf einer abschüssigen Fläche, die sich,
dein Lauf der Leiua folgend, zu einem kleine» Bach hinabsenkt. Unmittelbar
hinter dem Schloß ein langer, schmaler, abschüssiger Marktplatz, zu dem vom
Schloß her Treppen hinunterführen. Hübsche Parkanlagen um das Schloß
her, von denen sich ein schmaler Spaziergang zwischen der Stadt und den
Vorstädten herumzieht.

Fahrt im offnen Wagen über Wahlwinkel und Rodicheu nach Reinhards¬
brunn. Das Schloß, ehemals Benediktinerabtei, aber aus rotem Sandstein
vom Grund aus neu erbaut — und der Gasthof einige hundert Schritt davon,
durch Gebüsch versteckt, sodaß man ihn vom Schloß aus nicht sieht — liegen
gar schön in dem waldbegrenzten Wiesenthal mit seinen Parkanlagen und Teichen.
Heute, am Sonntag, ist das Bild bunt und festlich belebt. Es sind aus nah
und fern unzählige Spaziergänger da — vom Gasthof her schallt Musik —
in deu Anlagen wimmelt es von angepntzten Frauen und Mädchen und ihren
Begleitern. Am Thorweg des Schlosses empfängt mich der Kastellan und
führt mich auf einen mit Hirschgeweihen gezierten Korridor in das mir be¬
stimmte Zimmer. Es meldet sich ein Diener, der mir zur Bedienung bestimmt
ist: ein rabenschwarzer Mohr namens Philipp.'

G. Freytag kommt und setzt mich sehr gewissenhaft mi l-ut, von allen
Persönlichkeiten des hiesigen Hoff und von den Größen, die eben hier ver¬
weilen. Nach seiner Anleitung mache ich denn auch noch vor Tisch die nötigen
Besuche im Schloß: Rittmeister von Treskow vom siebenten preußischen Kü¬
rassierregiment, dessen Chef der Herzog ist, Adjutant des Herzogs; Hofmarschall
von Gruben; Mr. Barnard, englischer Llmigv Ä'aSaürvs, ein alter Mann, der
den Herzog und seine Brüder schon als Kinder gekannt hat und sast als ein
Mitglied der Familie behandelt wird. Bei diesen dreien en p-Mor.

Wirklich sehe ich den Oberstallmeister von Alvensleben; den finde ich
auf ein kräftiges „Herein!" im Schlafrock auf einer Couchette, von der er in


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[0508] Er fragt, wie es in Beziehung auf die Wahlen in Schlesien und in ganz Preußen stehe, und bemerkt dazu, die diesmaligen Wahlen hätten eine sehr große europäische Wichtigkeit; von dem Erfolg dieser Wahlen werde es ab¬ hängen, inwiefern man in England glauben werde, sich auf Preußen verlassen zu können, und wie weit sich England überhaupt mit Preußen einlassen werde. Er entläßt mich mit den Worten, er müsse jetzt Vorträge annehmen und eiuer Sitzung Präsidiren, hoffe aber demnächst ausführlicher mit mir zu sprechen: „Zwischen fünf und sechs Uhr erwarte ich Sie in Reinhardsbrunn!" Spaziergang zum Schloß Friedenstein. Man begreift, daß der Herzog dn oben nicht wohnt. Das große Gebäude sieht sehr unwohnlich aus. Es ist alt, hat sehr viele Fenster; die Fensterreihen liegen aber so nahe unter einander, daß man schon von außen sieht, wie niedrig die Zimmer im Innern sein müssen. Die Stadt liegt hinter dein Schloß auf einer abschüssigen Fläche, die sich, dein Lauf der Leiua folgend, zu einem kleine» Bach hinabsenkt. Unmittelbar hinter dem Schloß ein langer, schmaler, abschüssiger Marktplatz, zu dem vom Schloß her Treppen hinunterführen. Hübsche Parkanlagen um das Schloß her, von denen sich ein schmaler Spaziergang zwischen der Stadt und den Vorstädten herumzieht. Fahrt im offnen Wagen über Wahlwinkel und Rodicheu nach Reinhards¬ brunn. Das Schloß, ehemals Benediktinerabtei, aber aus rotem Sandstein vom Grund aus neu erbaut — und der Gasthof einige hundert Schritt davon, durch Gebüsch versteckt, sodaß man ihn vom Schloß aus nicht sieht — liegen gar schön in dem waldbegrenzten Wiesenthal mit seinen Parkanlagen und Teichen. Heute, am Sonntag, ist das Bild bunt und festlich belebt. Es sind aus nah und fern unzählige Spaziergänger da — vom Gasthof her schallt Musik — in deu Anlagen wimmelt es von angepntzten Frauen und Mädchen und ihren Begleitern. Am Thorweg des Schlosses empfängt mich der Kastellan und führt mich auf einen mit Hirschgeweihen gezierten Korridor in das mir be¬ stimmte Zimmer. Es meldet sich ein Diener, der mir zur Bedienung bestimmt ist: ein rabenschwarzer Mohr namens Philipp.' G. Freytag kommt und setzt mich sehr gewissenhaft mi l-ut, von allen Persönlichkeiten des hiesigen Hoff und von den Größen, die eben hier ver¬ weilen. Nach seiner Anleitung mache ich denn auch noch vor Tisch die nötigen Besuche im Schloß: Rittmeister von Treskow vom siebenten preußischen Kü¬ rassierregiment, dessen Chef der Herzog ist, Adjutant des Herzogs; Hofmarschall von Gruben; Mr. Barnard, englischer Llmigv Ä'aSaürvs, ein alter Mann, der den Herzog und seine Brüder schon als Kinder gekannt hat und sast als ein Mitglied der Familie behandelt wird. Bei diesen dreien en p-Mor. Wirklich sehe ich den Oberstallmeister von Alvensleben; den finde ich auf ein kräftiges „Herein!" im Schlafrock auf einer Couchette, von der er in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/508>, abgerufen am 26.08.2024.