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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Der Mangel c>" geschichtlichem Sinn

kam, da konnte kein Feuer demosthenischer Beredsamkeit die Glut in den
ledernen Herzen wieder entfachen.

Wir sollten die Blicke häufiger rückwärts lenken, in die Geschichte der
Böller, die vor uns waren. "Was ist uns Heluba?" rufen uns zwar die Modernen
zu, die alles nur aus unsrer Zeit haben und lernen wollen. Die Thoren,
die von der grundfalschen Lehre neuester Philosophie ausgehen, daß sich die
Ideale der Menschheit mit dem Fortschreiten der Zeit in stetiger Veränderung
befänden. Als ob sich diese Wandlung nicht allein auf die Form bezöge, und
als ob nicht die Grundzüge alles menschlichen Strebens immer dieselben bliebe,,!
Gerade jene alte Troianerkönigin könnte mit ihrer Thränenflnt und ihrem un¬
endlichen Schmerze uns einen Fingerzeig dafür geben, daß ein Volk in der
Erziehung seiner Söhne nicht streng genug sein kann. Nicht darauf kommt
es an, ihnen ein möglichst bequemes Dasein zu sichern, sondern sie zu der Er¬
kenntnis zu erziehen, daß Ruhe und Behaglichkeit nur möglich sind auf dem
Grunde eines in seinem Bestände gesicherten Vaterlandes.

Wir Deutschen sind ja auf der einen Seite sehr bescheiden, aber auf der
andern lassen wir uns gern einreden, daß wir vor andern Nationen etwas
von dem wären, was das Salz der Erde genannt worden ist. Wenn das der
Fall ist, so wollen wir nur ja zusehen, daß das Salz nicht dumm werde.
Stärken wir seine Würzkraft aus allen uus zugänglichen Quellen, vor allem
aber ans den Lehren der Geschichte. Es ist nicht wahr, daß sie bloß Spie¬
lereien für den Menschengeist seien, wir können und sollen aus ihnen lernen,
zu wollen. Da sich das Krnmervolk der Karthager nicht von seinem Gelde
trennen konnte, so ließ es in zwei großen Kriegen seine besten Männer im Stich,
Vater und Sohn, obgleich diese nach der bessern Seite hin die Verkörperung
der karthagischen Volksseele waren, und sank in Trümmer. Auch die Thränen,
die Scipio auf den Trümmern Karthagos weinte, geben zu denken. Nicht
bloß das böse Beispiel, das sein Adoptivgrvßvater den römischen Großen ge¬
geben hatte, war ihm ein Beweis, daß Rom einst durch die Macht des Geldes
und durch Wohlleben zu Falle kommen werde. ES ist viel über die Gründe
des Verfalles des römischen Reichs geschrieben worden: der Hauptgrund liegt
darin, daß den Römern der Republik das Geld der Wertmesser der Dinge ge¬
worden war.

Vor nichts soll sich ein Volk mehr hüten, als in dem tobenden Kampfe
des Geistes mit der Materie sich auf die Seite der Materie ziehen zu lassen.
Nicht das kann unsre Aufgabe sein, Reichtümer aufzuhäufen, sondern die Volks¬
kraft zu mehren, die nicht aus dem täglichen Brot als solchem hervorgeht,
sondern aus dem Kampf ums tägliche Brot. Sie steht im umgekehrten Ver¬
hältnis zur Summe des angesammelten Kapitals: je geringer diese, um so
stärker jene. Übermäßig angesammeltes Kapital bedeutet im Körper eines
Staats nichts andres, als schwellende Fettschichten ans dem Leibe eines Ge-


Der Mangel c>» geschichtlichem Sinn

kam, da konnte kein Feuer demosthenischer Beredsamkeit die Glut in den
ledernen Herzen wieder entfachen.

Wir sollten die Blicke häufiger rückwärts lenken, in die Geschichte der
Böller, die vor uns waren. „Was ist uns Heluba?" rufen uns zwar die Modernen
zu, die alles nur aus unsrer Zeit haben und lernen wollen. Die Thoren,
die von der grundfalschen Lehre neuester Philosophie ausgehen, daß sich die
Ideale der Menschheit mit dem Fortschreiten der Zeit in stetiger Veränderung
befänden. Als ob sich diese Wandlung nicht allein auf die Form bezöge, und
als ob nicht die Grundzüge alles menschlichen Strebens immer dieselben bliebe,,!
Gerade jene alte Troianerkönigin könnte mit ihrer Thränenflnt und ihrem un¬
endlichen Schmerze uns einen Fingerzeig dafür geben, daß ein Volk in der
Erziehung seiner Söhne nicht streng genug sein kann. Nicht darauf kommt
es an, ihnen ein möglichst bequemes Dasein zu sichern, sondern sie zu der Er¬
kenntnis zu erziehen, daß Ruhe und Behaglichkeit nur möglich sind auf dem
Grunde eines in seinem Bestände gesicherten Vaterlandes.

Wir Deutschen sind ja auf der einen Seite sehr bescheiden, aber auf der
andern lassen wir uns gern einreden, daß wir vor andern Nationen etwas
von dem wären, was das Salz der Erde genannt worden ist. Wenn das der
Fall ist, so wollen wir nur ja zusehen, daß das Salz nicht dumm werde.
Stärken wir seine Würzkraft aus allen uus zugänglichen Quellen, vor allem
aber ans den Lehren der Geschichte. Es ist nicht wahr, daß sie bloß Spie¬
lereien für den Menschengeist seien, wir können und sollen aus ihnen lernen,
zu wollen. Da sich das Krnmervolk der Karthager nicht von seinem Gelde
trennen konnte, so ließ es in zwei großen Kriegen seine besten Männer im Stich,
Vater und Sohn, obgleich diese nach der bessern Seite hin die Verkörperung
der karthagischen Volksseele waren, und sank in Trümmer. Auch die Thränen,
die Scipio auf den Trümmern Karthagos weinte, geben zu denken. Nicht
bloß das böse Beispiel, das sein Adoptivgrvßvater den römischen Großen ge¬
geben hatte, war ihm ein Beweis, daß Rom einst durch die Macht des Geldes
und durch Wohlleben zu Falle kommen werde. ES ist viel über die Gründe
des Verfalles des römischen Reichs geschrieben worden: der Hauptgrund liegt
darin, daß den Römern der Republik das Geld der Wertmesser der Dinge ge¬
worden war.

Vor nichts soll sich ein Volk mehr hüten, als in dem tobenden Kampfe
des Geistes mit der Materie sich auf die Seite der Materie ziehen zu lassen.
Nicht das kann unsre Aufgabe sein, Reichtümer aufzuhäufen, sondern die Volks¬
kraft zu mehren, die nicht aus dem täglichen Brot als solchem hervorgeht,
sondern aus dem Kampf ums tägliche Brot. Sie steht im umgekehrten Ver¬
hältnis zur Summe des angesammelten Kapitals: je geringer diese, um so
stärker jene. Übermäßig angesammeltes Kapital bedeutet im Körper eines
Staats nichts andres, als schwellende Fettschichten ans dem Leibe eines Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/496>, abgerufen am 23.07.2024.