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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

Würden gedeiht, und diese Sehnsucht war nur zum Teil befriedigt worden.
Früher hatte er oft daran gedacht, selbst Excellenz zu werden. Dazu war er
nun freilich nicht gekommen. Desto mehr Ehrfurcht empfand er vor denen, die
zu dieser schwindelnden Höhe emporgestiegen waren.

Die Excellenz war ein kleiner, sehr freundlicher Herr, der ihm gutmütig
zutrank und durch diese Herablassung den Etatsrat fast zu Thränen rührte.

Gut, daß Sie hierher gezogen sind, lieber Etatsrat, sagte Excellenz behaglich.
Unser Stammtisch ist gemütlich, aber er könnte manchmal unterhaltender sein.
Wir sehnen uns nach Abwechslung. Sie erzählen doch auch Geschichten?

Geschichten? Lauritzen machte große Angen. Was verstehen Excellenz
unter Geschichten?

Na, thun Sie mir den Gefallen und werfen Sie mir nicht immer die
Excellenz an den Kopf! polterte der Geheimrat gutmütig. Wir sind
hier unter uns; da braucht man keine Faxen zu machen! Er trank dem Etats¬
rat noch einmal zu, und diesem war es, als säße er im Himmel, und die Engel
sängen ihm ihre süßesten Lieder vor.

Nun erzählen Sie mal was! sagte daraus jemand neben ihm. Es war
der Emeritus, der sich an den Etatsrat herangemogelt, auch schon sein Glas
einmal ausgetrunken hatte.

Das war ihm entgangen, denn wenn man selig ist, sind einem solche
Dinge einerlei; aber da er gegen abgedankte alte Leute niemals freundlich war,
so war er es auch nicht gegen den Emeritus. Ich weiß keine Geschichten!
sagte er kurz.

Alle sahen ihn ziemlich erstaunt an. Ein neuer Stammgast, der keine
Geschichten wußte -- das war doch eigentümlich und nicht eben erfreulich.

Es wird Ihnen schon was einfallen! tröstete der alte Pastor. Sind Sie
niemals verliebt gewesen?

Lauritzen wurde ganz rot. Er fand diese Frage nicht bloß unsittlich,
sondern auch unbescheiden, was ja noch schlimmer ist.

Nein! sagte er scharf, und da er die blonde Therese in diesem Augen¬
blick vollständig vergessen hatte, so sprach er gewissermaßen die Wahrheit.

Oho! lachten die andern Herren, und da der Pastor bereits das zweite
Glas Punsch auf des Etatsrath Kosten getrunken hatte, so wurde er sehr zu¬
traulich.

Dann werden Sie sich noch einmal verlieben. Denn alle Schuld rächt
sich auf Erden, sagt Goethe!

Ich bin nicht für Goethe! versetzte Lauritzen steif. Seit feiner Schulzeit
hatte er keinen Band Goethe in der Hand gehabt. Er machte sich überhaupt
nichts aus Dichtern.

Alle schwiegen, denn sie konnten wohl von Stadtneuigkeiten reden, aber
nicht von Goethe. Nur der Geheimrat lächelte ein wenig und sagte: Denken Sie


Die Geschichte des Ltatsrats

Würden gedeiht, und diese Sehnsucht war nur zum Teil befriedigt worden.
Früher hatte er oft daran gedacht, selbst Excellenz zu werden. Dazu war er
nun freilich nicht gekommen. Desto mehr Ehrfurcht empfand er vor denen, die
zu dieser schwindelnden Höhe emporgestiegen waren.

Die Excellenz war ein kleiner, sehr freundlicher Herr, der ihm gutmütig
zutrank und durch diese Herablassung den Etatsrat fast zu Thränen rührte.

Gut, daß Sie hierher gezogen sind, lieber Etatsrat, sagte Excellenz behaglich.
Unser Stammtisch ist gemütlich, aber er könnte manchmal unterhaltender sein.
Wir sehnen uns nach Abwechslung. Sie erzählen doch auch Geschichten?

Geschichten? Lauritzen machte große Angen. Was verstehen Excellenz
unter Geschichten?

Na, thun Sie mir den Gefallen und werfen Sie mir nicht immer die
Excellenz an den Kopf! polterte der Geheimrat gutmütig. Wir sind
hier unter uns; da braucht man keine Faxen zu machen! Er trank dem Etats¬
rat noch einmal zu, und diesem war es, als säße er im Himmel, und die Engel
sängen ihm ihre süßesten Lieder vor.

Nun erzählen Sie mal was! sagte daraus jemand neben ihm. Es war
der Emeritus, der sich an den Etatsrat herangemogelt, auch schon sein Glas
einmal ausgetrunken hatte.

Das war ihm entgangen, denn wenn man selig ist, sind einem solche
Dinge einerlei; aber da er gegen abgedankte alte Leute niemals freundlich war,
so war er es auch nicht gegen den Emeritus. Ich weiß keine Geschichten!
sagte er kurz.

Alle sahen ihn ziemlich erstaunt an. Ein neuer Stammgast, der keine
Geschichten wußte — das war doch eigentümlich und nicht eben erfreulich.

Es wird Ihnen schon was einfallen! tröstete der alte Pastor. Sind Sie
niemals verliebt gewesen?

Lauritzen wurde ganz rot. Er fand diese Frage nicht bloß unsittlich,
sondern auch unbescheiden, was ja noch schlimmer ist.

Nein! sagte er scharf, und da er die blonde Therese in diesem Augen¬
blick vollständig vergessen hatte, so sprach er gewissermaßen die Wahrheit.

Oho! lachten die andern Herren, und da der Pastor bereits das zweite
Glas Punsch auf des Etatsrath Kosten getrunken hatte, so wurde er sehr zu¬
traulich.

Dann werden Sie sich noch einmal verlieben. Denn alle Schuld rächt
sich auf Erden, sagt Goethe!

Ich bin nicht für Goethe! versetzte Lauritzen steif. Seit feiner Schulzeit
hatte er keinen Band Goethe in der Hand gehabt. Er machte sich überhaupt
nichts aus Dichtern.

Alle schwiegen, denn sie konnten wohl von Stadtneuigkeiten reden, aber
nicht von Goethe. Nur der Geheimrat lächelte ein wenig und sagte: Denken Sie


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[0049] Die Geschichte des Ltatsrats Würden gedeiht, und diese Sehnsucht war nur zum Teil befriedigt worden. Früher hatte er oft daran gedacht, selbst Excellenz zu werden. Dazu war er nun freilich nicht gekommen. Desto mehr Ehrfurcht empfand er vor denen, die zu dieser schwindelnden Höhe emporgestiegen waren. Die Excellenz war ein kleiner, sehr freundlicher Herr, der ihm gutmütig zutrank und durch diese Herablassung den Etatsrat fast zu Thränen rührte. Gut, daß Sie hierher gezogen sind, lieber Etatsrat, sagte Excellenz behaglich. Unser Stammtisch ist gemütlich, aber er könnte manchmal unterhaltender sein. Wir sehnen uns nach Abwechslung. Sie erzählen doch auch Geschichten? Geschichten? Lauritzen machte große Angen. Was verstehen Excellenz unter Geschichten? Na, thun Sie mir den Gefallen und werfen Sie mir nicht immer die Excellenz an den Kopf! polterte der Geheimrat gutmütig. Wir sind hier unter uns; da braucht man keine Faxen zu machen! Er trank dem Etats¬ rat noch einmal zu, und diesem war es, als säße er im Himmel, und die Engel sängen ihm ihre süßesten Lieder vor. Nun erzählen Sie mal was! sagte daraus jemand neben ihm. Es war der Emeritus, der sich an den Etatsrat herangemogelt, auch schon sein Glas einmal ausgetrunken hatte. Das war ihm entgangen, denn wenn man selig ist, sind einem solche Dinge einerlei; aber da er gegen abgedankte alte Leute niemals freundlich war, so war er es auch nicht gegen den Emeritus. Ich weiß keine Geschichten! sagte er kurz. Alle sahen ihn ziemlich erstaunt an. Ein neuer Stammgast, der keine Geschichten wußte — das war doch eigentümlich und nicht eben erfreulich. Es wird Ihnen schon was einfallen! tröstete der alte Pastor. Sind Sie niemals verliebt gewesen? Lauritzen wurde ganz rot. Er fand diese Frage nicht bloß unsittlich, sondern auch unbescheiden, was ja noch schlimmer ist. Nein! sagte er scharf, und da er die blonde Therese in diesem Augen¬ blick vollständig vergessen hatte, so sprach er gewissermaßen die Wahrheit. Oho! lachten die andern Herren, und da der Pastor bereits das zweite Glas Punsch auf des Etatsrath Kosten getrunken hatte, so wurde er sehr zu¬ traulich. Dann werden Sie sich noch einmal verlieben. Denn alle Schuld rächt sich auf Erden, sagt Goethe! Ich bin nicht für Goethe! versetzte Lauritzen steif. Seit feiner Schulzeit hatte er keinen Band Goethe in der Hand gehabt. Er machte sich überhaupt nichts aus Dichtern. Alle schwiegen, denn sie konnten wohl von Stadtneuigkeiten reden, aber nicht von Goethe. Nur der Geheimrat lächelte ein wenig und sagte: Denken Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/49>, abgerufen am 23.07.2024.