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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

Städtchens nicht bloß als vornehmer Spaziergänger, sondern auch als
Mensch zu zeigen. Dazu begab er sich in die Weinstube und dort an deu
Stammtisch.

In jeder kleinen Stadt giebt es natürlich eine Weinstube und darin einen
Stammtisch. Nur daß heutzutage die Weinstube Bierhalle heißt, und daß die
Mitglieder des Stammtisches aus großen Seideln ganz gewöhnliches Bier trinken.
Als aber noch König Friedrich der Siebente als Herzog Holstein regierte,
da war das bairische Bier ein plebejisches Getränk; wer etwas auf sich hielt,
der trank jeden Abend sein Glas Punsch. Man konnte es auch Grog nennen,
die Mischung war dieselbe.

Der Stammtisch, an den sich der Etatsrat eines Abends begab, hielt viel
auf sich, und das konnte er auch. Denn er bestand fast nur aus pensionirten
höhern Beamten, aus einigen adlichen Herren und aus einem schwarzen Schaf"
das eigentlich nicht mitzählen sollte, aber doch immer da war. Dieses schwarze
Schaf hatte ehemals der Geistlichkeit angehört und war nur ein Pastor "zinöriwSi
der allen Grund hatte, seine Pfennige zusammenzuhalten und keinen teuern
Grog zu trinken. Daher richtete er es auch immer so ein, daß er verstohlen
das Glas eines andern Stammgastes austrank. Das war nun nicht hübsch
von ihm; aber da der Pastor hin und wieder eine ganz nette Geschichte er¬
zählen konnte, und es doch keine Möglichkeit gab, ihn loszuwerden, ohne ihn
totzuschlagen, was die alten juristischen Herren doch auch nicht gut konnten,
so blieb er das schwarze Schaf des Stammtisches.

Man kann sich denken, daß dieser Stammtisch über die Ankunft des Etats¬
rates große Freude empfand. Ein Mann mit so hübschem Titel ist für jeden
Stammtisch eine angenehme Bereicherung, und in der kleinen Stadt fühlte man
gerade damals das Bedürfnis nach einer neuen Erscheinung. Als daher Peter
Lauritzen mit seiner glattgekämmten Perücke und in tadellos würdiger Haltung
in der Weinstube erschien, wurde er aufs freundlichste willkommen geheißen.
Jeder der alten Herren stellte sich ihm vor, schüttelte ihm die Hand, gelobte
ihm ewige Freundschaft und forderte ihn auf, ein Glas Punsch mit ihm zu
trinken. Selbst der Pastor smsriws schwang sich zu dieser Einladung auf,
da er hoffte, daß sie doch nicht angenommen werden würde, und so saß nun
Peter Lauritzen mitten im Kreise der neuen Freunde und fühlte sich unmäßig
glücklich. '

Nicht des freundlichen Empfanges wegen -- als Etatsrat dritter Klasse
konnte er das beanspruchen --, sondern deswegen, weil mitten unter den andern
Herren und gekleidet wie ein gewöhnlicher Mensch eine wirkliche, wahrhaftige
Excellenz saß. Es war fast zu schön, um es zu glauben; aber es war doch
so. Ein geheimer Kvnferenzrat mit dem Prädikat Excellenz saß mit ihm an
einem Tische und sprach ganz freundschaftlich mit ihm!

Der Etatsrat hatte sein Leben lang große Sehnsucht nach hohen Titeln und


Die Geschichte des Ltatsrats

Städtchens nicht bloß als vornehmer Spaziergänger, sondern auch als
Mensch zu zeigen. Dazu begab er sich in die Weinstube und dort an deu
Stammtisch.

In jeder kleinen Stadt giebt es natürlich eine Weinstube und darin einen
Stammtisch. Nur daß heutzutage die Weinstube Bierhalle heißt, und daß die
Mitglieder des Stammtisches aus großen Seideln ganz gewöhnliches Bier trinken.
Als aber noch König Friedrich der Siebente als Herzog Holstein regierte,
da war das bairische Bier ein plebejisches Getränk; wer etwas auf sich hielt,
der trank jeden Abend sein Glas Punsch. Man konnte es auch Grog nennen,
die Mischung war dieselbe.

Der Stammtisch, an den sich der Etatsrat eines Abends begab, hielt viel
auf sich, und das konnte er auch. Denn er bestand fast nur aus pensionirten
höhern Beamten, aus einigen adlichen Herren und aus einem schwarzen Schaf»
das eigentlich nicht mitzählen sollte, aber doch immer da war. Dieses schwarze
Schaf hatte ehemals der Geistlichkeit angehört und war nur ein Pastor «zinöriwSi
der allen Grund hatte, seine Pfennige zusammenzuhalten und keinen teuern
Grog zu trinken. Daher richtete er es auch immer so ein, daß er verstohlen
das Glas eines andern Stammgastes austrank. Das war nun nicht hübsch
von ihm; aber da der Pastor hin und wieder eine ganz nette Geschichte er¬
zählen konnte, und es doch keine Möglichkeit gab, ihn loszuwerden, ohne ihn
totzuschlagen, was die alten juristischen Herren doch auch nicht gut konnten,
so blieb er das schwarze Schaf des Stammtisches.

Man kann sich denken, daß dieser Stammtisch über die Ankunft des Etats¬
rates große Freude empfand. Ein Mann mit so hübschem Titel ist für jeden
Stammtisch eine angenehme Bereicherung, und in der kleinen Stadt fühlte man
gerade damals das Bedürfnis nach einer neuen Erscheinung. Als daher Peter
Lauritzen mit seiner glattgekämmten Perücke und in tadellos würdiger Haltung
in der Weinstube erschien, wurde er aufs freundlichste willkommen geheißen.
Jeder der alten Herren stellte sich ihm vor, schüttelte ihm die Hand, gelobte
ihm ewige Freundschaft und forderte ihn auf, ein Glas Punsch mit ihm zu
trinken. Selbst der Pastor smsriws schwang sich zu dieser Einladung auf,
da er hoffte, daß sie doch nicht angenommen werden würde, und so saß nun
Peter Lauritzen mitten im Kreise der neuen Freunde und fühlte sich unmäßig
glücklich. '

Nicht des freundlichen Empfanges wegen — als Etatsrat dritter Klasse
konnte er das beanspruchen —, sondern deswegen, weil mitten unter den andern
Herren und gekleidet wie ein gewöhnlicher Mensch eine wirkliche, wahrhaftige
Excellenz saß. Es war fast zu schön, um es zu glauben; aber es war doch
so. Ein geheimer Kvnferenzrat mit dem Prädikat Excellenz saß mit ihm an
einem Tische und sprach ganz freundschaftlich mit ihm!

Der Etatsrat hatte sein Leben lang große Sehnsucht nach hohen Titeln und


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[0048] Die Geschichte des Ltatsrats Städtchens nicht bloß als vornehmer Spaziergänger, sondern auch als Mensch zu zeigen. Dazu begab er sich in die Weinstube und dort an deu Stammtisch. In jeder kleinen Stadt giebt es natürlich eine Weinstube und darin einen Stammtisch. Nur daß heutzutage die Weinstube Bierhalle heißt, und daß die Mitglieder des Stammtisches aus großen Seideln ganz gewöhnliches Bier trinken. Als aber noch König Friedrich der Siebente als Herzog Holstein regierte, da war das bairische Bier ein plebejisches Getränk; wer etwas auf sich hielt, der trank jeden Abend sein Glas Punsch. Man konnte es auch Grog nennen, die Mischung war dieselbe. Der Stammtisch, an den sich der Etatsrat eines Abends begab, hielt viel auf sich, und das konnte er auch. Denn er bestand fast nur aus pensionirten höhern Beamten, aus einigen adlichen Herren und aus einem schwarzen Schaf» das eigentlich nicht mitzählen sollte, aber doch immer da war. Dieses schwarze Schaf hatte ehemals der Geistlichkeit angehört und war nur ein Pastor «zinöriwSi der allen Grund hatte, seine Pfennige zusammenzuhalten und keinen teuern Grog zu trinken. Daher richtete er es auch immer so ein, daß er verstohlen das Glas eines andern Stammgastes austrank. Das war nun nicht hübsch von ihm; aber da der Pastor hin und wieder eine ganz nette Geschichte er¬ zählen konnte, und es doch keine Möglichkeit gab, ihn loszuwerden, ohne ihn totzuschlagen, was die alten juristischen Herren doch auch nicht gut konnten, so blieb er das schwarze Schaf des Stammtisches. Man kann sich denken, daß dieser Stammtisch über die Ankunft des Etats¬ rates große Freude empfand. Ein Mann mit so hübschem Titel ist für jeden Stammtisch eine angenehme Bereicherung, und in der kleinen Stadt fühlte man gerade damals das Bedürfnis nach einer neuen Erscheinung. Als daher Peter Lauritzen mit seiner glattgekämmten Perücke und in tadellos würdiger Haltung in der Weinstube erschien, wurde er aufs freundlichste willkommen geheißen. Jeder der alten Herren stellte sich ihm vor, schüttelte ihm die Hand, gelobte ihm ewige Freundschaft und forderte ihn auf, ein Glas Punsch mit ihm zu trinken. Selbst der Pastor smsriws schwang sich zu dieser Einladung auf, da er hoffte, daß sie doch nicht angenommen werden würde, und so saß nun Peter Lauritzen mitten im Kreise der neuen Freunde und fühlte sich unmäßig glücklich. ' Nicht des freundlichen Empfanges wegen — als Etatsrat dritter Klasse konnte er das beanspruchen —, sondern deswegen, weil mitten unter den andern Herren und gekleidet wie ein gewöhnlicher Mensch eine wirkliche, wahrhaftige Excellenz saß. Es war fast zu schön, um es zu glauben; aber es war doch so. Ein geheimer Kvnferenzrat mit dem Prädikat Excellenz saß mit ihm an einem Tische und sprach ganz freundschaftlich mit ihm! Der Etatsrat hatte sein Leben lang große Sehnsucht nach hohen Titeln und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/48>, abgerufen am 23.07.2024.