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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

daß seine Terminologie und sein Geschmack im Essen, Trinken und in der
äußern Lebensweise das absolut richtige und sie nicht ohne weiteres zu ver¬
stehen und sich ihnen anzupassen ein Zeichen von Schwerfälligkeit und zurück¬
gebliebner Bildung sei. Und so hält er sich für vollkommen berechtigt, sich
über abweichendes nur lustig zu machen. Das übt er denn auch fleißig überall
in Deutschland; im Auslande ist er daran ja etwas gehindert, aber für Italien
hat das Berlinerinn diese heillose Manier auch schon anzuwenden begonnen.

Wir haben hier immer nur das Reisen in Deutschland und Italien, da¬
neben in Tirol und in der Schweiz im Auge, aus dem einfachen Grunde,
weil wir von dem reisenden deutschen Durchschnittspublikum reden, das sich
hauptsächlich über diese vier Länder ergießt. Bald wird freilich der skandina¬
vische Norden vor Italien zu nennen sein, und die Nordlandfahrten sind eine
Mode, die jeder Vernünftige aufs nachdrücklichste unterstützen sollte. Nicht bloß
um Italien zu bewahren (wenn es auch dortigen Gastwirten schweizerischer oder
deutscher Abkunft etwas Schaden bringt), sondern auch des reisenden Publikums
wegen, denn dieses hat von den Fjorden Norwegens und andern drastischen
und leichtverständlichen Schönheiten des Nordens unbedingt einen frohem Genuß,
als von dem Anblick der Campagna und der sixtinischen Kapelle. Wenigstens
so lange, als es für Italien so wenig reif ist wie jetzt. Ohne eine stärkere
Ablenkung des großen Neisestrvms nach dem Norden und vielleicht bald auch
nach England und Schottland werden wir sicherlich in Italien über kurz oder
lang dieselbe leidige Anpassung an das Berlinertum beginnen sehen, wie sie
jetzt München mit seinen neuen prunkvollen "Restaurants," seinen vernord-
deutschten Speisekarten und der immer fühlbarer werdenden Preissteigerung
vornimmt, und wie sie z. B. die deutschen Seebäder u. a. sogar durch die
Einführung der Berliner "Weißen" und ähnlicher Spezialitäten schon seit
einer Reihe von Jahren vorgenommen haben. Überdies scheint ja an den
Norwegern, wenigstens nach Ausweis ihrer Litteratur, nicht allzuviel zu ver¬
derben zu sein.

Was könnte nun aber geschehen, damit etwas vernünftiger und wieder
mit etwas mehr Erfolg für den Reisenden selber gereist würde? In einer der
alten methodischen Anleitungen zum Reisen, den: bei Weygand in Leipzig 1784
erschienenen "Handbuch sür Reisende aus allen Ständen," steht auf S. 4 der
Satz: "Nach meiner Meinung hat man nicht eher ein Recht, die Ausländer
aufzusuchen und ihnen Rechenschaft von ihren Denkmälern und Einsichten ab¬
zufordern, bis man ihnen selbst klare Begriffe von den Künstlern seiner eignen
Nation, von den Vorzügen seines Vaterlandes, von seinen Sitten und den
Grundsätzen seiner Staatsverwaltung in Tausch bieten kann." Es ließe sich
da noch manches hinzusetzen, aber eben das, wovor in dem Handbuche gewarnt
wird, daß man etwa zu früh und zu unvorbereitet in die Weite schweift, hat
die Übelstände hervorgebracht, und die schönen Eisenbahnen haben seitdem die


Allerlei vom Reisen

daß seine Terminologie und sein Geschmack im Essen, Trinken und in der
äußern Lebensweise das absolut richtige und sie nicht ohne weiteres zu ver¬
stehen und sich ihnen anzupassen ein Zeichen von Schwerfälligkeit und zurück¬
gebliebner Bildung sei. Und so hält er sich für vollkommen berechtigt, sich
über abweichendes nur lustig zu machen. Das übt er denn auch fleißig überall
in Deutschland; im Auslande ist er daran ja etwas gehindert, aber für Italien
hat das Berlinerinn diese heillose Manier auch schon anzuwenden begonnen.

Wir haben hier immer nur das Reisen in Deutschland und Italien, da¬
neben in Tirol und in der Schweiz im Auge, aus dem einfachen Grunde,
weil wir von dem reisenden deutschen Durchschnittspublikum reden, das sich
hauptsächlich über diese vier Länder ergießt. Bald wird freilich der skandina¬
vische Norden vor Italien zu nennen sein, und die Nordlandfahrten sind eine
Mode, die jeder Vernünftige aufs nachdrücklichste unterstützen sollte. Nicht bloß
um Italien zu bewahren (wenn es auch dortigen Gastwirten schweizerischer oder
deutscher Abkunft etwas Schaden bringt), sondern auch des reisenden Publikums
wegen, denn dieses hat von den Fjorden Norwegens und andern drastischen
und leichtverständlichen Schönheiten des Nordens unbedingt einen frohem Genuß,
als von dem Anblick der Campagna und der sixtinischen Kapelle. Wenigstens
so lange, als es für Italien so wenig reif ist wie jetzt. Ohne eine stärkere
Ablenkung des großen Neisestrvms nach dem Norden und vielleicht bald auch
nach England und Schottland werden wir sicherlich in Italien über kurz oder
lang dieselbe leidige Anpassung an das Berlinertum beginnen sehen, wie sie
jetzt München mit seinen neuen prunkvollen „Restaurants," seinen vernord-
deutschten Speisekarten und der immer fühlbarer werdenden Preissteigerung
vornimmt, und wie sie z. B. die deutschen Seebäder u. a. sogar durch die
Einführung der Berliner „Weißen" und ähnlicher Spezialitäten schon seit
einer Reihe von Jahren vorgenommen haben. Überdies scheint ja an den
Norwegern, wenigstens nach Ausweis ihrer Litteratur, nicht allzuviel zu ver¬
derben zu sein.

Was könnte nun aber geschehen, damit etwas vernünftiger und wieder
mit etwas mehr Erfolg für den Reisenden selber gereist würde? In einer der
alten methodischen Anleitungen zum Reisen, den: bei Weygand in Leipzig 1784
erschienenen „Handbuch sür Reisende aus allen Ständen," steht auf S. 4 der
Satz: „Nach meiner Meinung hat man nicht eher ein Recht, die Ausländer
aufzusuchen und ihnen Rechenschaft von ihren Denkmälern und Einsichten ab¬
zufordern, bis man ihnen selbst klare Begriffe von den Künstlern seiner eignen
Nation, von den Vorzügen seines Vaterlandes, von seinen Sitten und den
Grundsätzen seiner Staatsverwaltung in Tausch bieten kann." Es ließe sich
da noch manches hinzusetzen, aber eben das, wovor in dem Handbuche gewarnt
wird, daß man etwa zu früh und zu unvorbereitet in die Weite schweift, hat
die Übelstände hervorgebracht, und die schönen Eisenbahnen haben seitdem die


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[0475] Allerlei vom Reisen daß seine Terminologie und sein Geschmack im Essen, Trinken und in der äußern Lebensweise das absolut richtige und sie nicht ohne weiteres zu ver¬ stehen und sich ihnen anzupassen ein Zeichen von Schwerfälligkeit und zurück¬ gebliebner Bildung sei. Und so hält er sich für vollkommen berechtigt, sich über abweichendes nur lustig zu machen. Das übt er denn auch fleißig überall in Deutschland; im Auslande ist er daran ja etwas gehindert, aber für Italien hat das Berlinerinn diese heillose Manier auch schon anzuwenden begonnen. Wir haben hier immer nur das Reisen in Deutschland und Italien, da¬ neben in Tirol und in der Schweiz im Auge, aus dem einfachen Grunde, weil wir von dem reisenden deutschen Durchschnittspublikum reden, das sich hauptsächlich über diese vier Länder ergießt. Bald wird freilich der skandina¬ vische Norden vor Italien zu nennen sein, und die Nordlandfahrten sind eine Mode, die jeder Vernünftige aufs nachdrücklichste unterstützen sollte. Nicht bloß um Italien zu bewahren (wenn es auch dortigen Gastwirten schweizerischer oder deutscher Abkunft etwas Schaden bringt), sondern auch des reisenden Publikums wegen, denn dieses hat von den Fjorden Norwegens und andern drastischen und leichtverständlichen Schönheiten des Nordens unbedingt einen frohem Genuß, als von dem Anblick der Campagna und der sixtinischen Kapelle. Wenigstens so lange, als es für Italien so wenig reif ist wie jetzt. Ohne eine stärkere Ablenkung des großen Neisestrvms nach dem Norden und vielleicht bald auch nach England und Schottland werden wir sicherlich in Italien über kurz oder lang dieselbe leidige Anpassung an das Berlinertum beginnen sehen, wie sie jetzt München mit seinen neuen prunkvollen „Restaurants," seinen vernord- deutschten Speisekarten und der immer fühlbarer werdenden Preissteigerung vornimmt, und wie sie z. B. die deutschen Seebäder u. a. sogar durch die Einführung der Berliner „Weißen" und ähnlicher Spezialitäten schon seit einer Reihe von Jahren vorgenommen haben. Überdies scheint ja an den Norwegern, wenigstens nach Ausweis ihrer Litteratur, nicht allzuviel zu ver¬ derben zu sein. Was könnte nun aber geschehen, damit etwas vernünftiger und wieder mit etwas mehr Erfolg für den Reisenden selber gereist würde? In einer der alten methodischen Anleitungen zum Reisen, den: bei Weygand in Leipzig 1784 erschienenen „Handbuch sür Reisende aus allen Ständen," steht auf S. 4 der Satz: „Nach meiner Meinung hat man nicht eher ein Recht, die Ausländer aufzusuchen und ihnen Rechenschaft von ihren Denkmälern und Einsichten ab¬ zufordern, bis man ihnen selbst klare Begriffe von den Künstlern seiner eignen Nation, von den Vorzügen seines Vaterlandes, von seinen Sitten und den Grundsätzen seiner Staatsverwaltung in Tausch bieten kann." Es ließe sich da noch manches hinzusetzen, aber eben das, wovor in dem Handbuche gewarnt wird, daß man etwa zu früh und zu unvorbereitet in die Weite schweift, hat die Übelstände hervorgebracht, und die schönen Eisenbahnen haben seitdem die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/475>, abgerufen am 01.07.2024.