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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

Noch eine Eigenschaft des Norddeutschen, gegen die sich ja sonst nichts
sagen läßt, trägt zu solchen Ärgernissen bei: daß er nämlich nicht so leichtherzig
und ohne alle Renommisterei ein paar Groschen mehr als nötig ausgiebt,
wie das der Süddeutsche thut, und daß er beim Bezahlen gern viel fragt und
nachfragt und wieder fragt und sich wundert, statt selber vorher zu rechnen, wie
es der des Landesbrauchs kundige Autochthone und jeder gewandtere Fremde
thut. Aber das würde noch nicht viel schaden, wenn nicht die infame Ge¬
wohnheit des Berliners dazukäme, dort, wo noch der Väter biedre Sitten und
Preise herrschen, zu fragen, aber wohlweislich immer erst, wenn er schon be¬
zahlt hat: Nu sagen Se mal, wie können Se eijentlich bei die Preise be¬
stehen? Dann ärgert sich natürlich der Herr Wirt zum Auerhahn oder zum
Rebstock oder zum goldnen Lamm, daß er nicht mehr gefordert hat, trägt aber
diesen Ärger dem Fremden nach und nimmt sich vor, das nächste Jahr seineu
Gästen nicht wieder so einfältig vorzukommen.

Das meiste offne Vergnügen an allem fremden Wesen und die ehrlichste,
oft freilich etwas komisch herauskommende Bemühung, sich ihm anzupassen,
findet man auf Reisen bei dem Sachsen. Wie mag das kommen? Am Ende
ist es wohl derselbe Zug, der die Sachsen auch zu so höflichen Leuten macht --
Ausnahmen bestätigen die Regel. Dagegen sind die Sachsen, wenigstens nach
unsern vielleicht unzulänglichen Beobachtungen, auch die, die am leichtesten
etwas kleinlich werden und ihren ganzen Reiseplan, die Wahl ihres Seebades
u. s. w. möglichst nach der Billigkeit und dem, was fürs Geld geboten wird,
einrichten.

Doch nun zu der Erklärung, weshalb gerade der Berliner so besonders
ungenießbar als Reisender ist. Daran ist, wir deuteten es schon an, zwar
auch sein Gefühl der Überlegenheit im allgemeinen schuld, dann aber als ob¬
jektive Ursache doch auch seine besondre Lage. Berlin ist eine große Stadt ge¬
worden; anderthalb Millionen Menschen leben dort mit gleicher Ausdrucksweise
und trotz aller sozialen Unterschiede, trotz aller Verschiedenheit des Anteils und
des ihnen zugänglichen Raffinements doch im ganzen mit den gleichen mate¬
riellen Begriffen und Neigungen. Dazu kommt, daß nicht bloß der geborne
Berliner Begriffe wie "Eisbein" oder "ein Echtes" mit der absolut gewähr¬
leisteten Sicherheit, verstanden zu werden, gebraucht, er hört auch fortwährend,
daß die zahllosen Ostpreußen, Mecklenburger u. f. w. und kaum minder auch
die West- und Süddeutsche" in Berlin diese Ausdrücke ohne weiteres mit¬
gebrauchen, er hört von ihnen selten einmal ein andres Wort. Ferner bringt
es die Eigentümlichkeit des Berliner Gasfenpublitums und Schusterbubeutums
mit sich, daß man auch in "Kreisen," denen feinere kulinarische Genüsse ver¬
schlossen bleiben, diese Genüsse doch vom Hörensagen recht genau kennt und
die aristokratischen oder bourgeoismüßigen Bezeichnungen dafür gern parodistisch
verwendet. Durch alles das muß sich dem Berliner die Meinung einprägen,


Grenzboten II 1"W 59
Allerlei vom Reisen

Noch eine Eigenschaft des Norddeutschen, gegen die sich ja sonst nichts
sagen läßt, trägt zu solchen Ärgernissen bei: daß er nämlich nicht so leichtherzig
und ohne alle Renommisterei ein paar Groschen mehr als nötig ausgiebt,
wie das der Süddeutsche thut, und daß er beim Bezahlen gern viel fragt und
nachfragt und wieder fragt und sich wundert, statt selber vorher zu rechnen, wie
es der des Landesbrauchs kundige Autochthone und jeder gewandtere Fremde
thut. Aber das würde noch nicht viel schaden, wenn nicht die infame Ge¬
wohnheit des Berliners dazukäme, dort, wo noch der Väter biedre Sitten und
Preise herrschen, zu fragen, aber wohlweislich immer erst, wenn er schon be¬
zahlt hat: Nu sagen Se mal, wie können Se eijentlich bei die Preise be¬
stehen? Dann ärgert sich natürlich der Herr Wirt zum Auerhahn oder zum
Rebstock oder zum goldnen Lamm, daß er nicht mehr gefordert hat, trägt aber
diesen Ärger dem Fremden nach und nimmt sich vor, das nächste Jahr seineu
Gästen nicht wieder so einfältig vorzukommen.

Das meiste offne Vergnügen an allem fremden Wesen und die ehrlichste,
oft freilich etwas komisch herauskommende Bemühung, sich ihm anzupassen,
findet man auf Reisen bei dem Sachsen. Wie mag das kommen? Am Ende
ist es wohl derselbe Zug, der die Sachsen auch zu so höflichen Leuten macht —
Ausnahmen bestätigen die Regel. Dagegen sind die Sachsen, wenigstens nach
unsern vielleicht unzulänglichen Beobachtungen, auch die, die am leichtesten
etwas kleinlich werden und ihren ganzen Reiseplan, die Wahl ihres Seebades
u. s. w. möglichst nach der Billigkeit und dem, was fürs Geld geboten wird,
einrichten.

Doch nun zu der Erklärung, weshalb gerade der Berliner so besonders
ungenießbar als Reisender ist. Daran ist, wir deuteten es schon an, zwar
auch sein Gefühl der Überlegenheit im allgemeinen schuld, dann aber als ob¬
jektive Ursache doch auch seine besondre Lage. Berlin ist eine große Stadt ge¬
worden; anderthalb Millionen Menschen leben dort mit gleicher Ausdrucksweise
und trotz aller sozialen Unterschiede, trotz aller Verschiedenheit des Anteils und
des ihnen zugänglichen Raffinements doch im ganzen mit den gleichen mate¬
riellen Begriffen und Neigungen. Dazu kommt, daß nicht bloß der geborne
Berliner Begriffe wie „Eisbein" oder „ein Echtes" mit der absolut gewähr¬
leisteten Sicherheit, verstanden zu werden, gebraucht, er hört auch fortwährend,
daß die zahllosen Ostpreußen, Mecklenburger u. f. w. und kaum minder auch
die West- und Süddeutsche» in Berlin diese Ausdrücke ohne weiteres mit¬
gebrauchen, er hört von ihnen selten einmal ein andres Wort. Ferner bringt
es die Eigentümlichkeit des Berliner Gasfenpublitums und Schusterbubeutums
mit sich, daß man auch in „Kreisen," denen feinere kulinarische Genüsse ver¬
schlossen bleiben, diese Genüsse doch vom Hörensagen recht genau kennt und
die aristokratischen oder bourgeoismüßigen Bezeichnungen dafür gern parodistisch
verwendet. Durch alles das muß sich dem Berliner die Meinung einprägen,


Grenzboten II 1»W 59
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[0474] Allerlei vom Reisen Noch eine Eigenschaft des Norddeutschen, gegen die sich ja sonst nichts sagen läßt, trägt zu solchen Ärgernissen bei: daß er nämlich nicht so leichtherzig und ohne alle Renommisterei ein paar Groschen mehr als nötig ausgiebt, wie das der Süddeutsche thut, und daß er beim Bezahlen gern viel fragt und nachfragt und wieder fragt und sich wundert, statt selber vorher zu rechnen, wie es der des Landesbrauchs kundige Autochthone und jeder gewandtere Fremde thut. Aber das würde noch nicht viel schaden, wenn nicht die infame Ge¬ wohnheit des Berliners dazukäme, dort, wo noch der Väter biedre Sitten und Preise herrschen, zu fragen, aber wohlweislich immer erst, wenn er schon be¬ zahlt hat: Nu sagen Se mal, wie können Se eijentlich bei die Preise be¬ stehen? Dann ärgert sich natürlich der Herr Wirt zum Auerhahn oder zum Rebstock oder zum goldnen Lamm, daß er nicht mehr gefordert hat, trägt aber diesen Ärger dem Fremden nach und nimmt sich vor, das nächste Jahr seineu Gästen nicht wieder so einfältig vorzukommen. Das meiste offne Vergnügen an allem fremden Wesen und die ehrlichste, oft freilich etwas komisch herauskommende Bemühung, sich ihm anzupassen, findet man auf Reisen bei dem Sachsen. Wie mag das kommen? Am Ende ist es wohl derselbe Zug, der die Sachsen auch zu so höflichen Leuten macht — Ausnahmen bestätigen die Regel. Dagegen sind die Sachsen, wenigstens nach unsern vielleicht unzulänglichen Beobachtungen, auch die, die am leichtesten etwas kleinlich werden und ihren ganzen Reiseplan, die Wahl ihres Seebades u. s. w. möglichst nach der Billigkeit und dem, was fürs Geld geboten wird, einrichten. Doch nun zu der Erklärung, weshalb gerade der Berliner so besonders ungenießbar als Reisender ist. Daran ist, wir deuteten es schon an, zwar auch sein Gefühl der Überlegenheit im allgemeinen schuld, dann aber als ob¬ jektive Ursache doch auch seine besondre Lage. Berlin ist eine große Stadt ge¬ worden; anderthalb Millionen Menschen leben dort mit gleicher Ausdrucksweise und trotz aller sozialen Unterschiede, trotz aller Verschiedenheit des Anteils und des ihnen zugänglichen Raffinements doch im ganzen mit den gleichen mate¬ riellen Begriffen und Neigungen. Dazu kommt, daß nicht bloß der geborne Berliner Begriffe wie „Eisbein" oder „ein Echtes" mit der absolut gewähr¬ leisteten Sicherheit, verstanden zu werden, gebraucht, er hört auch fortwährend, daß die zahllosen Ostpreußen, Mecklenburger u. f. w. und kaum minder auch die West- und Süddeutsche» in Berlin diese Ausdrücke ohne weiteres mit¬ gebrauchen, er hört von ihnen selten einmal ein andres Wort. Ferner bringt es die Eigentümlichkeit des Berliner Gasfenpublitums und Schusterbubeutums mit sich, daß man auch in „Kreisen," denen feinere kulinarische Genüsse ver¬ schlossen bleiben, diese Genüsse doch vom Hörensagen recht genau kennt und die aristokratischen oder bourgeoismüßigen Bezeichnungen dafür gern parodistisch verwendet. Durch alles das muß sich dem Berliner die Meinung einprägen, Grenzboten II 1»W 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/474>, abgerufen am 01.10.2024.