Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Zwei Bücher über Politik sich jedoch von den fanatischen Radikalen und Kommunisten nur dadurch, daß Auf solche Gewohnheiten also, die unter dem Druck der Nöte des Lebens Grenzboten II 1893 S6
Zwei Bücher über Politik sich jedoch von den fanatischen Radikalen und Kommunisten nur dadurch, daß Auf solche Gewohnheiten also, die unter dem Druck der Nöte des Lebens Grenzboten II 1893 S6
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214905"/> <fw type="header" place="top"> Zwei Bücher über Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1775" prev="#ID_1774"> sich jedoch von den fanatischen Radikalen und Kommunisten nur dadurch, daß<lb/> sie die Freiheit, deren sie sich selber erfreuen, mit Gewalt behaupten, während<lb/> die andern jederzeit bereit sind, Gewalt anzuwenden, um die Freiheit, die sie<lb/> fordern, zu erobern. Die zwischen den Extremen hin- und herschwankenden<lb/> Mittelparteien nehmen zur Gewalt ihre Zuflucht, solange sie sich am Ruder<lb/> befinden, und schreien nach Freiheit, solange sie nicht im Besitz der Gewalt<lb/> sind. Das Gebiet des politischen Lebens ist zu weit, als daß es erlaubt wäre,<lb/> es von einem so kindlichen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Die beiden Pole,<lb/> um die sich die Politik bewegt, sind nicht Macht und Freiheit, sondern per¬<lb/> sönliche und öffentliche Moral." Der Verfasser legt dar, wie sich seiner Ansicht<lb/> nach die Sprache entwickelt, und fährt fort: „Genau auf dieselbe Weise haben<lb/> sich die Menschen ihre politischen Einrichtungen geschaffen. Kleine gesellschaft¬<lb/> liche Gruppen bildeten ebenso viele Kerne gesellschaftlicher Organisation. Diese<lb/> Gruppen entstanden und erhielten sich dadurch, daß einer auf die Neigungen<lb/> des andern verständnisvoll einging, daß sie sich zur Befriedigung ihrer Be-<lb/> dürfnisse vereinigten und sich dabei einer gemeinsamen Leitung unterwarfen.<lb/> Diese Leitung ermangelt anfänglich, ganz wie die im Entstehen begriffene<lb/> Sprache, der Sicherheit und Festigkeit, wird aber mit der Zeit zur regel¬<lb/> mäßigen Gewohnheit, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt, und<lb/> aus der sich die öffentlichen Einrichtungen entwickeln." (S. 9.) „Wollen zwei<lb/> Menschen durch gemeinsames Handeln einen Zweck erreichen, etwa einen Baum<lb/> fallen oder einen großen Stein wälzen, so muß der eine die Arbeit leiten und<lb/> der andre sich leiten lassen; handelt jeder nach seinem eignen 5köpfe, so bringen<lb/> sie nichts fertig. Diese Vereinigung zu gemeinsamem Handeln ist nur eine<lb/> einfache Erfüllung des sittlichen Gebots: liebet einander und helfet einander!<lb/> Sollen aber aus dem gemeinsamen Handeln bleibende Rechte und Pflichten<lb/> entstehen, so muß es selbst zur dauernden Gewohnheit werden. Nur dann<lb/> kann jeder von beiden auf den andern rechnen, wenn dem ersten die Leitung<lb/> als sein natürliches Recht, dem zweiten der Gehorsam als seine natürliche<lb/> Pflicht erscheint. An dein Tage, wo der zweite widerspenstig oder der erste<lb/> lässig wird, werden sie mit einander in Streit geraten und zur Gewalt ihre<lb/> Zuflucht nehmen, der eine, um seine Autorität, wie er es nennt, aufrecht zu<lb/> erhalten, der andre, um wieder zu gewinnen, was er seine Freiheit nennt.<lb/> Dieser einfache Fall veranschaulicht, welche Rolle die Moral, die Gewalt und<lb/> die Freiheit in den Beziehungen der Menschen zu einander spielen." (S. 11.)<lb/> Die Freiheit wird hier doch ein wenig zu niedrig geschätzt und zu dürftig<lb/> aufgefaßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1776" next="#ID_1777"> Auf solche Gewohnheiten also, die unter dem Druck der Nöte des Lebens<lb/> aus einfacher sittlicher Empfindung hervorgehen, beruhen die Sitten, beruhen<lb/> alle Rechte und Pflichten, beruhen die Staatseinrichtungen. Nur darf daraus<lb/> nicht die falsche Folgerung gezogen werden, daß der Staat, weil er aus der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1893 S6</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Zwei Bücher über Politik
sich jedoch von den fanatischen Radikalen und Kommunisten nur dadurch, daß
sie die Freiheit, deren sie sich selber erfreuen, mit Gewalt behaupten, während
die andern jederzeit bereit sind, Gewalt anzuwenden, um die Freiheit, die sie
fordern, zu erobern. Die zwischen den Extremen hin- und herschwankenden
Mittelparteien nehmen zur Gewalt ihre Zuflucht, solange sie sich am Ruder
befinden, und schreien nach Freiheit, solange sie nicht im Besitz der Gewalt
sind. Das Gebiet des politischen Lebens ist zu weit, als daß es erlaubt wäre,
es von einem so kindlichen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Die beiden Pole,
um die sich die Politik bewegt, sind nicht Macht und Freiheit, sondern per¬
sönliche und öffentliche Moral." Der Verfasser legt dar, wie sich seiner Ansicht
nach die Sprache entwickelt, und fährt fort: „Genau auf dieselbe Weise haben
sich die Menschen ihre politischen Einrichtungen geschaffen. Kleine gesellschaft¬
liche Gruppen bildeten ebenso viele Kerne gesellschaftlicher Organisation. Diese
Gruppen entstanden und erhielten sich dadurch, daß einer auf die Neigungen
des andern verständnisvoll einging, daß sie sich zur Befriedigung ihrer Be-
dürfnisse vereinigten und sich dabei einer gemeinsamen Leitung unterwarfen.
Diese Leitung ermangelt anfänglich, ganz wie die im Entstehen begriffene
Sprache, der Sicherheit und Festigkeit, wird aber mit der Zeit zur regel¬
mäßigen Gewohnheit, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt, und
aus der sich die öffentlichen Einrichtungen entwickeln." (S. 9.) „Wollen zwei
Menschen durch gemeinsames Handeln einen Zweck erreichen, etwa einen Baum
fallen oder einen großen Stein wälzen, so muß der eine die Arbeit leiten und
der andre sich leiten lassen; handelt jeder nach seinem eignen 5köpfe, so bringen
sie nichts fertig. Diese Vereinigung zu gemeinsamem Handeln ist nur eine
einfache Erfüllung des sittlichen Gebots: liebet einander und helfet einander!
Sollen aber aus dem gemeinsamen Handeln bleibende Rechte und Pflichten
entstehen, so muß es selbst zur dauernden Gewohnheit werden. Nur dann
kann jeder von beiden auf den andern rechnen, wenn dem ersten die Leitung
als sein natürliches Recht, dem zweiten der Gehorsam als seine natürliche
Pflicht erscheint. An dein Tage, wo der zweite widerspenstig oder der erste
lässig wird, werden sie mit einander in Streit geraten und zur Gewalt ihre
Zuflucht nehmen, der eine, um seine Autorität, wie er es nennt, aufrecht zu
erhalten, der andre, um wieder zu gewinnen, was er seine Freiheit nennt.
Dieser einfache Fall veranschaulicht, welche Rolle die Moral, die Gewalt und
die Freiheit in den Beziehungen der Menschen zu einander spielen." (S. 11.)
Die Freiheit wird hier doch ein wenig zu niedrig geschätzt und zu dürftig
aufgefaßt.
Auf solche Gewohnheiten also, die unter dem Druck der Nöte des Lebens
aus einfacher sittlicher Empfindung hervorgehen, beruhen die Sitten, beruhen
alle Rechte und Pflichten, beruhen die Staatseinrichtungen. Nur darf daraus
nicht die falsche Folgerung gezogen werden, daß der Staat, weil er aus der
Grenzboten II 1893 S6
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |