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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Versammlung deutscher Historiker in München

Ich komme NUN auf die Hauptfrage der Münchner Versammlung zurück,
wozu die Geschichte dienen soll. Professor Grauert soll mit seinen Be¬
merkungen eine gewisse Unruhe erregt haben. Nach den Berichten hat er
gesagt, daß, wenn von der Dienstbarkeit der Geschichtswissenschaft die Rede
sei, er sich noch zu viel höhern Dingen erbieten müßte. Ich weiß nicht, welche
Kardinaltugenden da aufgezählt worden sind, zu deren Beförderung die Ge¬
schichte jedenfalls auch noch dienen könnte, aber ich finde diese Auffassung
ganz gerechtfertigt. Fragt man einmal, wozu der Geschichtsunterricht diene
oder dienen solle, so bin ich mit Schiller der Meinung, daß der Zweck, "zu
welchem Ende man Universalgeschichte studire," gar nicht vielseitig genug ge¬
faßt werden kann. Eins wäre vielleicht geeignet gewesen, bei der Abstimmung
eine einstimmige Bejahung herbeizuführen, wenn man nämlich gefragt hätte:
Dient der Geschichtsunterricht dazu, daß die Lernenden etwas rechtes und
tüchtiges über die Vergangenheit von Staaten und Völkern erfahren und wissen?
Würde dieser Satz bejaht, so Hütte ich mich auch noch mit einem ander"
Redner sehr gut verständigen können, der behauptete, es brauche in diesen
Dingen überhaupt nichts besser zu werden, als es ohnehin schon sei, weil die
neuesten Thaten der Nation den Beweis geliefert hätten, daß unser nationales
Geschichtsbewußtsein den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht habe.
Ich wurde durch diese Äuszernug um ein Gespräch mit Giesebrecht erinnert,
der mir nach der Schlacht bei Gravelotte im Angesicht der eroberten Kanonen
von Wörth, die in München aufgestellt waren, eine ganz ähnliche Bemerkung
machte. Er hatte in der Sache ohne Zweifel Recht. Die Begeisterung da¬
mals durfte uns stolz machen. Er hatte aber offenbar die entgegengesetzte
Meinung wie der Historikertag; denn er meinte damals und bei andern Ge¬
legenheiten, und auch mit vollem Recht, daß seine Kaisergeschichte eben des¬
halb so wertvoll sei, weil sie ein wahrhaft patriotisches, nationales, aus seinem
echt deutschen Herzen hervorgegangnes Buch ist, das, weil es aus dieser Ge¬
sinnung entsprungen ist, auch wieder Vaterlandsliebe, deutsche Gesinnung und
vor allein Begeisterung für Reich und Kaisertum erweckt habe. Das war
Giesebrechts Meinung. Ich zweifle nicht, daß die Herrn, die in München die
Vaterlandsliebe betreffs der Geschichte niedergestimmt haben, in ihrem Innersten
ähnliche Gedanken hegen; sie scheinen sie nur nicht so geschickt ans Tageslicht
bringen zu können, wie es durch die Kaisergeschichte Giesebrechts geschehen ist.
Doch glaube ich nicht, daß sich Giesebrecht dafür ausgesprochen Hütte, man
müsse allerlei großartige schulrütliche und ministerielle Veranstaltungen treffen,
um beim Geschichtsunterricht vaterländische und staatliche Gesinnung zu wecken;
er wird genau derselben Ansicht gewesen sein, der auch ich schou einige male
Ausdruck gegeben habe, daß die Geschichte, wenn sie nur überhaupt mitgeteilt
oder ich will lieber sagen, einfach erzühlt wird, den historischen Sinn weckt,
und dieser historische Sinn wieder, wenn er nur vorhanden ist, der Hauptsache


Die Versammlung deutscher Historiker in München

Ich komme NUN auf die Hauptfrage der Münchner Versammlung zurück,
wozu die Geschichte dienen soll. Professor Grauert soll mit seinen Be¬
merkungen eine gewisse Unruhe erregt haben. Nach den Berichten hat er
gesagt, daß, wenn von der Dienstbarkeit der Geschichtswissenschaft die Rede
sei, er sich noch zu viel höhern Dingen erbieten müßte. Ich weiß nicht, welche
Kardinaltugenden da aufgezählt worden sind, zu deren Beförderung die Ge¬
schichte jedenfalls auch noch dienen könnte, aber ich finde diese Auffassung
ganz gerechtfertigt. Fragt man einmal, wozu der Geschichtsunterricht diene
oder dienen solle, so bin ich mit Schiller der Meinung, daß der Zweck, „zu
welchem Ende man Universalgeschichte studire," gar nicht vielseitig genug ge¬
faßt werden kann. Eins wäre vielleicht geeignet gewesen, bei der Abstimmung
eine einstimmige Bejahung herbeizuführen, wenn man nämlich gefragt hätte:
Dient der Geschichtsunterricht dazu, daß die Lernenden etwas rechtes und
tüchtiges über die Vergangenheit von Staaten und Völkern erfahren und wissen?
Würde dieser Satz bejaht, so Hütte ich mich auch noch mit einem ander»
Redner sehr gut verständigen können, der behauptete, es brauche in diesen
Dingen überhaupt nichts besser zu werden, als es ohnehin schon sei, weil die
neuesten Thaten der Nation den Beweis geliefert hätten, daß unser nationales
Geschichtsbewußtsein den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht habe.
Ich wurde durch diese Äuszernug um ein Gespräch mit Giesebrecht erinnert,
der mir nach der Schlacht bei Gravelotte im Angesicht der eroberten Kanonen
von Wörth, die in München aufgestellt waren, eine ganz ähnliche Bemerkung
machte. Er hatte in der Sache ohne Zweifel Recht. Die Begeisterung da¬
mals durfte uns stolz machen. Er hatte aber offenbar die entgegengesetzte
Meinung wie der Historikertag; denn er meinte damals und bei andern Ge¬
legenheiten, und auch mit vollem Recht, daß seine Kaisergeschichte eben des¬
halb so wertvoll sei, weil sie ein wahrhaft patriotisches, nationales, aus seinem
echt deutschen Herzen hervorgegangnes Buch ist, das, weil es aus dieser Ge¬
sinnung entsprungen ist, auch wieder Vaterlandsliebe, deutsche Gesinnung und
vor allein Begeisterung für Reich und Kaisertum erweckt habe. Das war
Giesebrechts Meinung. Ich zweifle nicht, daß die Herrn, die in München die
Vaterlandsliebe betreffs der Geschichte niedergestimmt haben, in ihrem Innersten
ähnliche Gedanken hegen; sie scheinen sie nur nicht so geschickt ans Tageslicht
bringen zu können, wie es durch die Kaisergeschichte Giesebrechts geschehen ist.
Doch glaube ich nicht, daß sich Giesebrecht dafür ausgesprochen Hütte, man
müsse allerlei großartige schulrütliche und ministerielle Veranstaltungen treffen,
um beim Geschichtsunterricht vaterländische und staatliche Gesinnung zu wecken;
er wird genau derselben Ansicht gewesen sein, der auch ich schou einige male
Ausdruck gegeben habe, daß die Geschichte, wenn sie nur überhaupt mitgeteilt
oder ich will lieber sagen, einfach erzühlt wird, den historischen Sinn weckt,
und dieser historische Sinn wieder, wenn er nur vorhanden ist, der Hauptsache


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[0403] Die Versammlung deutscher Historiker in München Ich komme NUN auf die Hauptfrage der Münchner Versammlung zurück, wozu die Geschichte dienen soll. Professor Grauert soll mit seinen Be¬ merkungen eine gewisse Unruhe erregt haben. Nach den Berichten hat er gesagt, daß, wenn von der Dienstbarkeit der Geschichtswissenschaft die Rede sei, er sich noch zu viel höhern Dingen erbieten müßte. Ich weiß nicht, welche Kardinaltugenden da aufgezählt worden sind, zu deren Beförderung die Ge¬ schichte jedenfalls auch noch dienen könnte, aber ich finde diese Auffassung ganz gerechtfertigt. Fragt man einmal, wozu der Geschichtsunterricht diene oder dienen solle, so bin ich mit Schiller der Meinung, daß der Zweck, „zu welchem Ende man Universalgeschichte studire," gar nicht vielseitig genug ge¬ faßt werden kann. Eins wäre vielleicht geeignet gewesen, bei der Abstimmung eine einstimmige Bejahung herbeizuführen, wenn man nämlich gefragt hätte: Dient der Geschichtsunterricht dazu, daß die Lernenden etwas rechtes und tüchtiges über die Vergangenheit von Staaten und Völkern erfahren und wissen? Würde dieser Satz bejaht, so Hütte ich mich auch noch mit einem ander» Redner sehr gut verständigen können, der behauptete, es brauche in diesen Dingen überhaupt nichts besser zu werden, als es ohnehin schon sei, weil die neuesten Thaten der Nation den Beweis geliefert hätten, daß unser nationales Geschichtsbewußtsein den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht habe. Ich wurde durch diese Äuszernug um ein Gespräch mit Giesebrecht erinnert, der mir nach der Schlacht bei Gravelotte im Angesicht der eroberten Kanonen von Wörth, die in München aufgestellt waren, eine ganz ähnliche Bemerkung machte. Er hatte in der Sache ohne Zweifel Recht. Die Begeisterung da¬ mals durfte uns stolz machen. Er hatte aber offenbar die entgegengesetzte Meinung wie der Historikertag; denn er meinte damals und bei andern Ge¬ legenheiten, und auch mit vollem Recht, daß seine Kaisergeschichte eben des¬ halb so wertvoll sei, weil sie ein wahrhaft patriotisches, nationales, aus seinem echt deutschen Herzen hervorgegangnes Buch ist, das, weil es aus dieser Ge¬ sinnung entsprungen ist, auch wieder Vaterlandsliebe, deutsche Gesinnung und vor allein Begeisterung für Reich und Kaisertum erweckt habe. Das war Giesebrechts Meinung. Ich zweifle nicht, daß die Herrn, die in München die Vaterlandsliebe betreffs der Geschichte niedergestimmt haben, in ihrem Innersten ähnliche Gedanken hegen; sie scheinen sie nur nicht so geschickt ans Tageslicht bringen zu können, wie es durch die Kaisergeschichte Giesebrechts geschehen ist. Doch glaube ich nicht, daß sich Giesebrecht dafür ausgesprochen Hütte, man müsse allerlei großartige schulrütliche und ministerielle Veranstaltungen treffen, um beim Geschichtsunterricht vaterländische und staatliche Gesinnung zu wecken; er wird genau derselben Ansicht gewesen sein, der auch ich schou einige male Ausdruck gegeben habe, daß die Geschichte, wenn sie nur überhaupt mitgeteilt oder ich will lieber sagen, einfach erzühlt wird, den historischen Sinn weckt, und dieser historische Sinn wieder, wenn er nur vorhanden ist, der Hauptsache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/403>, abgerufen am 26.08.2024.