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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Versammlung deutscher Historiker in München

geschätzter Kollege soll wieder die Leichtigkeit und Einfachheit der alten Ge¬
schichte betont haben. Auch von ihren bildenden Elementen scheint wieder die
Rede gewesen zu sein. Ich erkläre mich jetzt wie früher in dieser Sache so¬
fort für geschlagen, wenn man unter alter Geschichte den Cornelius Nepos
oder den Eutrop versteht. Wenn man aber zur alten Geschichte etwa auch
das neu gefundne Buch des Aristoteles mitrechnet, so kann doch vernünftiger¬
weise weder das Studium noch auch der Stoff, der behandelt wird, als etwas
"einfaches" bezeichnet werden, es wäre denn, daß an eine zurechtgemachte Ein¬
fachheit des Gegenstandes gedacht würde, die nicht in der Sache, sondern in
der Genügsamkeit des Lehrenden und des Lernenden liegt.

Indessen ist zuzugeben, daß die klassischen Autoren durch das Übergewicht
ihres Betriebes eine Unterlage für den Unterricht der alten Geschichte dar¬
bieten, und es ließe sich überhaupt gar nichts einwenden, wenn alles beim
alten geblieben wäre, wie es in dem hochgelahrten Gumnasio des Johannes
Sturm vor dreihundert Jahren war. Die Lehrer sprächen nach wie vor
von den Tugenden der guten republikanischen Zeit, von den scheußlichen
Umtrieben der mneedonischen Könige, von den Lastern der römischen
Kaiser -- wohlgemerkt im allgemeinen, denn die Kaiser im besondern sind
wegen der schwierigen Genealogie etwas unbeliebt. Wenn dieser Standpunkt
festgehalten würde, so erklärte ich für meine Person, mich auf die Gegenseite
schlagen zu müssen, aber es würde mir nie einfallen, den Liebhabern der alten
Geschichte meine aufrichtige Hochachtung zu versagen, namentlich wenn sie
dafür sorgten, daß die jungen Leute wenigstens in diesem Teile mit einem
recht gründlichen und festen Wissen ausgerüstet ins Leben träten. Zu meiner
Entschuldigung würde ich mir nur erlauben hinzuzufügen, daß ich mich bei
der Ansicht, für uns moderne Menschen lägen die Lebensschicksale der modernen
Völker und insbesondre der Deutschen näher, immerhin in recht guter und das
Gemüt beruhigender Gesellschaft befände. Goethe sagte: "Die römische Geschichte
ist für uns eigentlich nicht mehr an der Zeit. Wir sind zu human geworden,
mis daß uns die Triumphe des Cäsar uicht widerstehe" sollten. So auch die
griechische Geschichte bietet wenig erfreuliches. Wo sich dieses Volk gegen
äußere Feinde wendet, ist es zwar groß und glänzend, allein die Zerstücke¬
lung der Staaten und der ewige Krieg im Innern, wo der eine Grieche die
Waffe gegen den andern kehrt, ist auch desto unerträglicher. Zudem ist die Ge¬
schichte unsrer eignen Tage durchaus groß und bedeutend; die Schlachten von
Leipzig und Waterloo ragen so gewaltig hervor, daß jene von Marathon und
ähnliche andre nachgerade verdunkelt werden. Auch sind unsre einzelnen Helden
nicht zurückgeblieben: die französischen Marschülle und Blücher und Wellington
sind denen des Altertums völlig an die Seite zu setzen." Von Goethe kann
man gewiß uicht sagen, daß er ein Verächter des klassischen Altertums ge¬
wesen sei.


Greuzlivten II 189ij 50
Die Versammlung deutscher Historiker in München

geschätzter Kollege soll wieder die Leichtigkeit und Einfachheit der alten Ge¬
schichte betont haben. Auch von ihren bildenden Elementen scheint wieder die
Rede gewesen zu sein. Ich erkläre mich jetzt wie früher in dieser Sache so¬
fort für geschlagen, wenn man unter alter Geschichte den Cornelius Nepos
oder den Eutrop versteht. Wenn man aber zur alten Geschichte etwa auch
das neu gefundne Buch des Aristoteles mitrechnet, so kann doch vernünftiger¬
weise weder das Studium noch auch der Stoff, der behandelt wird, als etwas
„einfaches" bezeichnet werden, es wäre denn, daß an eine zurechtgemachte Ein¬
fachheit des Gegenstandes gedacht würde, die nicht in der Sache, sondern in
der Genügsamkeit des Lehrenden und des Lernenden liegt.

Indessen ist zuzugeben, daß die klassischen Autoren durch das Übergewicht
ihres Betriebes eine Unterlage für den Unterricht der alten Geschichte dar¬
bieten, und es ließe sich überhaupt gar nichts einwenden, wenn alles beim
alten geblieben wäre, wie es in dem hochgelahrten Gumnasio des Johannes
Sturm vor dreihundert Jahren war. Die Lehrer sprächen nach wie vor
von den Tugenden der guten republikanischen Zeit, von den scheußlichen
Umtrieben der mneedonischen Könige, von den Lastern der römischen
Kaiser — wohlgemerkt im allgemeinen, denn die Kaiser im besondern sind
wegen der schwierigen Genealogie etwas unbeliebt. Wenn dieser Standpunkt
festgehalten würde, so erklärte ich für meine Person, mich auf die Gegenseite
schlagen zu müssen, aber es würde mir nie einfallen, den Liebhabern der alten
Geschichte meine aufrichtige Hochachtung zu versagen, namentlich wenn sie
dafür sorgten, daß die jungen Leute wenigstens in diesem Teile mit einem
recht gründlichen und festen Wissen ausgerüstet ins Leben träten. Zu meiner
Entschuldigung würde ich mir nur erlauben hinzuzufügen, daß ich mich bei
der Ansicht, für uns moderne Menschen lägen die Lebensschicksale der modernen
Völker und insbesondre der Deutschen näher, immerhin in recht guter und das
Gemüt beruhigender Gesellschaft befände. Goethe sagte: „Die römische Geschichte
ist für uns eigentlich nicht mehr an der Zeit. Wir sind zu human geworden,
mis daß uns die Triumphe des Cäsar uicht widerstehe« sollten. So auch die
griechische Geschichte bietet wenig erfreuliches. Wo sich dieses Volk gegen
äußere Feinde wendet, ist es zwar groß und glänzend, allein die Zerstücke¬
lung der Staaten und der ewige Krieg im Innern, wo der eine Grieche die
Waffe gegen den andern kehrt, ist auch desto unerträglicher. Zudem ist die Ge¬
schichte unsrer eignen Tage durchaus groß und bedeutend; die Schlachten von
Leipzig und Waterloo ragen so gewaltig hervor, daß jene von Marathon und
ähnliche andre nachgerade verdunkelt werden. Auch sind unsre einzelnen Helden
nicht zurückgeblieben: die französischen Marschülle und Blücher und Wellington
sind denen des Altertums völlig an die Seite zu setzen." Von Goethe kann
man gewiß uicht sagen, daß er ein Verächter des klassischen Altertums ge¬
wesen sei.


Greuzlivten II 189ij 50
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/402>, abgerufen am 26.08.2024.