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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Erziehung zum Rachekrieg

duch für Volksschulen von Laloi (in siebenuudzwauzigster Auflage erschienen,
vom Ministerium empfohlen und, wie mehrere der schon genannten, von der
Stadt Paris den Gemeindeschulen unentgeltlich geliefert): "Wenn jeder von
euch seine Pflicht thut, wird die Republik stark sein, stark genug, uns eines
Tags die verlornen Brüder wieder zu schenken: (fett gedruckt) die Brüder in
Elsaß und Lothringen." In der darauf folgenden Zusammenfassung, die nach
Art des Katechismus auswendig zu lernen ist, steht der Satz: "Eine starke
Republik wird uns unsre Brüder in Elsaß und in Lothringen wiederbringen."
Diese Lehre wird bekräftigt durch eine Erzählung, die in einen flammenden
Aufruf zur Vergeltung ausgeht. Es ist der Schluß des Buches; also ge¬
wissermaßen der Schlußstein des ganzen Gebäudes der instruotion moruls se
eivicju?.

Ganz vergeblich werden diese Versuche, ans das jugendliche Gemüt ein¬
zuwirken, doch kaum sein. Es ist allerdings richtig, daß später die Not deö
Lebens wohl den meisten französischen Bürgern, wenn man so sagen darf, die
Köpfe wieder zurecht setzt. Auch muß anerkannt werden, daß es Lehrbücher
giebt, die nicht offen zum Nnchekrieg auffordern. Aber mit Blindheit müßte
der geschlagen sein, der sich da beruhigen wollte! Haben nicht erst die jüngsten
Vorgänge wieder aufs deutlichste bewiesen, wie unstet Frankreichs höchste Ge¬
walten sind? Erklärt würde der Krieg von wenigen werden; aber das ganze
Volk würde ihn ohne Zandern sichren. Möchte sich doch jeder Deutsche die
weise Festigkeit zum Vorbilde nehmen, die Jules Favre an Bismarck bewunderte,
als die beiden Minister um 20. September 1870 ans dem Schlosse Rothschilds
über einen Waffenstillstand verhandelten. Der Franzose malte in liberaler
Überschwenglichkeit (oder war es einfältige List?) die Friedensliebe der jungen
Republik, die nahe Verbrüderung der Völker. Aber die Beredsamkeit des
Advokaten glitt an BiSmnrck ab "wie Wasser am Entenflügel." Er entgegnete
kühl: "Sie täuschen sich. Und wenn wir Ihnen keinen Fuß breit Landes
nähmen, Sie könnten die Niederlage nicht verwinden und würden Tag und
Nacht auf Rache sinnen. Darum müssen wir unser Hans sichern."




Die Erziehung zum Rachekrieg

duch für Volksschulen von Laloi (in siebenuudzwauzigster Auflage erschienen,
vom Ministerium empfohlen und, wie mehrere der schon genannten, von der
Stadt Paris den Gemeindeschulen unentgeltlich geliefert): „Wenn jeder von
euch seine Pflicht thut, wird die Republik stark sein, stark genug, uns eines
Tags die verlornen Brüder wieder zu schenken: (fett gedruckt) die Brüder in
Elsaß und Lothringen." In der darauf folgenden Zusammenfassung, die nach
Art des Katechismus auswendig zu lernen ist, steht der Satz: „Eine starke
Republik wird uns unsre Brüder in Elsaß und in Lothringen wiederbringen."
Diese Lehre wird bekräftigt durch eine Erzählung, die in einen flammenden
Aufruf zur Vergeltung ausgeht. Es ist der Schluß des Buches; also ge¬
wissermaßen der Schlußstein des ganzen Gebäudes der instruotion moruls se
eivicju?.

Ganz vergeblich werden diese Versuche, ans das jugendliche Gemüt ein¬
zuwirken, doch kaum sein. Es ist allerdings richtig, daß später die Not deö
Lebens wohl den meisten französischen Bürgern, wenn man so sagen darf, die
Köpfe wieder zurecht setzt. Auch muß anerkannt werden, daß es Lehrbücher
giebt, die nicht offen zum Nnchekrieg auffordern. Aber mit Blindheit müßte
der geschlagen sein, der sich da beruhigen wollte! Haben nicht erst die jüngsten
Vorgänge wieder aufs deutlichste bewiesen, wie unstet Frankreichs höchste Ge¬
walten sind? Erklärt würde der Krieg von wenigen werden; aber das ganze
Volk würde ihn ohne Zandern sichren. Möchte sich doch jeder Deutsche die
weise Festigkeit zum Vorbilde nehmen, die Jules Favre an Bismarck bewunderte,
als die beiden Minister um 20. September 1870 ans dem Schlosse Rothschilds
über einen Waffenstillstand verhandelten. Der Franzose malte in liberaler
Überschwenglichkeit (oder war es einfältige List?) die Friedensliebe der jungen
Republik, die nahe Verbrüderung der Völker. Aber die Beredsamkeit des
Advokaten glitt an BiSmnrck ab „wie Wasser am Entenflügel." Er entgegnete
kühl: „Sie täuschen sich. Und wenn wir Ihnen keinen Fuß breit Landes
nähmen, Sie könnten die Niederlage nicht verwinden und würden Tag und
Nacht auf Rache sinnen. Darum müssen wir unser Hans sichern."




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[0397] Die Erziehung zum Rachekrieg duch für Volksschulen von Laloi (in siebenuudzwauzigster Auflage erschienen, vom Ministerium empfohlen und, wie mehrere der schon genannten, von der Stadt Paris den Gemeindeschulen unentgeltlich geliefert): „Wenn jeder von euch seine Pflicht thut, wird die Republik stark sein, stark genug, uns eines Tags die verlornen Brüder wieder zu schenken: (fett gedruckt) die Brüder in Elsaß und Lothringen." In der darauf folgenden Zusammenfassung, die nach Art des Katechismus auswendig zu lernen ist, steht der Satz: „Eine starke Republik wird uns unsre Brüder in Elsaß und in Lothringen wiederbringen." Diese Lehre wird bekräftigt durch eine Erzählung, die in einen flammenden Aufruf zur Vergeltung ausgeht. Es ist der Schluß des Buches; also ge¬ wissermaßen der Schlußstein des ganzen Gebäudes der instruotion moruls se eivicju?. Ganz vergeblich werden diese Versuche, ans das jugendliche Gemüt ein¬ zuwirken, doch kaum sein. Es ist allerdings richtig, daß später die Not deö Lebens wohl den meisten französischen Bürgern, wenn man so sagen darf, die Köpfe wieder zurecht setzt. Auch muß anerkannt werden, daß es Lehrbücher giebt, die nicht offen zum Nnchekrieg auffordern. Aber mit Blindheit müßte der geschlagen sein, der sich da beruhigen wollte! Haben nicht erst die jüngsten Vorgänge wieder aufs deutlichste bewiesen, wie unstet Frankreichs höchste Ge¬ walten sind? Erklärt würde der Krieg von wenigen werden; aber das ganze Volk würde ihn ohne Zandern sichren. Möchte sich doch jeder Deutsche die weise Festigkeit zum Vorbilde nehmen, die Jules Favre an Bismarck bewunderte, als die beiden Minister um 20. September 1870 ans dem Schlosse Rothschilds über einen Waffenstillstand verhandelten. Der Franzose malte in liberaler Überschwenglichkeit (oder war es einfältige List?) die Friedensliebe der jungen Republik, die nahe Verbrüderung der Völker. Aber die Beredsamkeit des Advokaten glitt an BiSmnrck ab „wie Wasser am Entenflügel." Er entgegnete kühl: „Sie täuschen sich. Und wenn wir Ihnen keinen Fuß breit Landes nähmen, Sie könnten die Niederlage nicht verwinden und würden Tag und Nacht auf Rache sinnen. Darum müssen wir unser Hans sichern."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/397>, abgerufen am 23.07.2024.