Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen die ihm dnrch die Gesetzgebung gesetzten
Schranken einhalten müssen, aber wo solche Schranken fehlten, sei eben das
dem Kaiser verfassungsmäßig gewährleistete Recht unbeschränkt.

Wäre dem anders, so würde die Folge die sein, daß, wenn aus irgend
einem Grunde das neue Gesetz über die Friedenspräsenzstärke nicht zu stände
käme, beim Ablauf der in dem bisherigen Gesetze gesetzten Frist das ganze
Reichsheer sofort aufgelöst werden müßte, und daß es kein verfassungsmäßiges
Mittel gäbe, es in irgend einem Präsenzstande zu erhalten. Ein so absurdes,
der politischen Vernichtung des Reichs gleichkommendes Ergebnis könne aber
die Verfassung unmöglich gewollt haben.

Gegenüber diesen klaren, vom Tagesstreite der Parteimeinungen nicht be¬
rührten Ausführungen treten die Richterschen Schlagworte in die richtige
Velenchtnng. Herr von Hume deutete an, daß der Kaiser, wenn bis zum
31. März 1894 eine Einigung zwischen Bundesrat und Reichstag über die
Friedenspräsenzstärke nicht zu stände komme, voraussichtlich unter Berufung
ans den Artikel 63 Absatz 4 der Verfassung den thatsächlichen Bestand des
deutschen Heeres selbständig bestimmen werde, und warnte den Reichstag davor,
es zu einem solchen, für die ruhige Weiterentwicklung unsrer Zustände sicher¬
lich unerwünschten Ergebnis kommen zu lassen. Dem gegenüber wagte es
Herr Richter, eine zweifelhafte Berfassungsfrage als in seinem Sinne ent¬
schieden zu behandeln, und die Mehrheit, die den beneidenswerten Mut besessen
hat, eine von der Heeresverwaltung für unbedingt erforderlich erklärte Ver¬
mehrung unsrer Streitkräfte deshalb für unnötig zu erklären, weil sie Herr
Richter für unnötig hält, ist kühn genug, sich von Herrn Richter über eine der
schwierigsten und bedenklichsten Fragen der Reichsverfassung mit einigen nichts¬
sagenden Redewendungen beruhigen zu lassen.

Es mag sein, ja wir glauben es sogar, daß Herr Richter und seine
klerikale und nichtklcrikale demokratische Gefolgschaft mit ihrem Kampfe gegen
die Militärvorlage dem Volkswohl zu dienen und den demokratischen Staats-
idealeu näher zu kommen glaubt. In Wahrheit besorgen sie aber nach außen
hin die Geschäfte der Feinde unsers Volkes, im Innern die Geschäfte einer
gegen das Unwesen eines mißleiteten Parlamentarismus energisch reagirenden
Persönlichen Herrschaft. Es wäre nicht das erstemal, daß die radikalen An¬
hänger der Parlamentsherrschaft durch ihre Maßlosigkeit die Möglichkeit einer
ruhigen verfassungsmüßigen Entwicklung vereitelt hätten.




gemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen die ihm dnrch die Gesetzgebung gesetzten
Schranken einhalten müssen, aber wo solche Schranken fehlten, sei eben das
dem Kaiser verfassungsmäßig gewährleistete Recht unbeschränkt.

Wäre dem anders, so würde die Folge die sein, daß, wenn aus irgend
einem Grunde das neue Gesetz über die Friedenspräsenzstärke nicht zu stände
käme, beim Ablauf der in dem bisherigen Gesetze gesetzten Frist das ganze
Reichsheer sofort aufgelöst werden müßte, und daß es kein verfassungsmäßiges
Mittel gäbe, es in irgend einem Präsenzstande zu erhalten. Ein so absurdes,
der politischen Vernichtung des Reichs gleichkommendes Ergebnis könne aber
die Verfassung unmöglich gewollt haben.

Gegenüber diesen klaren, vom Tagesstreite der Parteimeinungen nicht be¬
rührten Ausführungen treten die Richterschen Schlagworte in die richtige
Velenchtnng. Herr von Hume deutete an, daß der Kaiser, wenn bis zum
31. März 1894 eine Einigung zwischen Bundesrat und Reichstag über die
Friedenspräsenzstärke nicht zu stände komme, voraussichtlich unter Berufung
ans den Artikel 63 Absatz 4 der Verfassung den thatsächlichen Bestand des
deutschen Heeres selbständig bestimmen werde, und warnte den Reichstag davor,
es zu einem solchen, für die ruhige Weiterentwicklung unsrer Zustände sicher¬
lich unerwünschten Ergebnis kommen zu lassen. Dem gegenüber wagte es
Herr Richter, eine zweifelhafte Berfassungsfrage als in seinem Sinne ent¬
schieden zu behandeln, und die Mehrheit, die den beneidenswerten Mut besessen
hat, eine von der Heeresverwaltung für unbedingt erforderlich erklärte Ver¬
mehrung unsrer Streitkräfte deshalb für unnötig zu erklären, weil sie Herr
Richter für unnötig hält, ist kühn genug, sich von Herrn Richter über eine der
schwierigsten und bedenklichsten Fragen der Reichsverfassung mit einigen nichts¬
sagenden Redewendungen beruhigen zu lassen.

Es mag sein, ja wir glauben es sogar, daß Herr Richter und seine
klerikale und nichtklcrikale demokratische Gefolgschaft mit ihrem Kampfe gegen
die Militärvorlage dem Volkswohl zu dienen und den demokratischen Staats-
idealeu näher zu kommen glaubt. In Wahrheit besorgen sie aber nach außen
hin die Geschäfte der Feinde unsers Volkes, im Innern die Geschäfte einer
gegen das Unwesen eines mißleiteten Parlamentarismus energisch reagirenden
Persönlichen Herrschaft. Es wäre nicht das erstemal, daß die radikalen An¬
hänger der Parlamentsherrschaft durch ihre Maßlosigkeit die Möglichkeit einer
ruhigen verfassungsmüßigen Entwicklung vereitelt hätten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214809"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1394" prev="#ID_1393"> gemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen die ihm dnrch die Gesetzgebung gesetzten<lb/>
Schranken einhalten müssen, aber wo solche Schranken fehlten, sei eben das<lb/>
dem Kaiser verfassungsmäßig gewährleistete Recht unbeschränkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1395"> Wäre dem anders, so würde die Folge die sein, daß, wenn aus irgend<lb/>
einem Grunde das neue Gesetz über die Friedenspräsenzstärke nicht zu stände<lb/>
käme, beim Ablauf der in dem bisherigen Gesetze gesetzten Frist das ganze<lb/>
Reichsheer sofort aufgelöst werden müßte, und daß es kein verfassungsmäßiges<lb/>
Mittel gäbe, es in irgend einem Präsenzstande zu erhalten. Ein so absurdes,<lb/>
der politischen Vernichtung des Reichs gleichkommendes Ergebnis könne aber<lb/>
die Verfassung unmöglich gewollt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1396"> Gegenüber diesen klaren, vom Tagesstreite der Parteimeinungen nicht be¬<lb/>
rührten Ausführungen treten die Richterschen Schlagworte in die richtige<lb/>
Velenchtnng. Herr von Hume deutete an, daß der Kaiser, wenn bis zum<lb/>
31. März 1894 eine Einigung zwischen Bundesrat und Reichstag über die<lb/>
Friedenspräsenzstärke nicht zu stände komme, voraussichtlich unter Berufung<lb/>
ans den Artikel 63 Absatz 4 der Verfassung den thatsächlichen Bestand des<lb/>
deutschen Heeres selbständig bestimmen werde, und warnte den Reichstag davor,<lb/>
es zu einem solchen, für die ruhige Weiterentwicklung unsrer Zustände sicher¬<lb/>
lich unerwünschten Ergebnis kommen zu lassen. Dem gegenüber wagte es<lb/>
Herr Richter, eine zweifelhafte Berfassungsfrage als in seinem Sinne ent¬<lb/>
schieden zu behandeln, und die Mehrheit, die den beneidenswerten Mut besessen<lb/>
hat, eine von der Heeresverwaltung für unbedingt erforderlich erklärte Ver¬<lb/>
mehrung unsrer Streitkräfte deshalb für unnötig zu erklären, weil sie Herr<lb/>
Richter für unnötig hält, ist kühn genug, sich von Herrn Richter über eine der<lb/>
schwierigsten und bedenklichsten Fragen der Reichsverfassung mit einigen nichts¬<lb/>
sagenden Redewendungen beruhigen zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1397"> Es mag sein, ja wir glauben es sogar, daß Herr Richter und seine<lb/>
klerikale und nichtklcrikale demokratische Gefolgschaft mit ihrem Kampfe gegen<lb/>
die Militärvorlage dem Volkswohl zu dienen und den demokratischen Staats-<lb/>
idealeu näher zu kommen glaubt. In Wahrheit besorgen sie aber nach außen<lb/>
hin die Geschäfte der Feinde unsers Volkes, im Innern die Geschäfte einer<lb/>
gegen das Unwesen eines mißleiteten Parlamentarismus energisch reagirenden<lb/>
Persönlichen Herrschaft. Es wäre nicht das erstemal, daß die radikalen An¬<lb/>
hänger der Parlamentsherrschaft durch ihre Maßlosigkeit die Möglichkeit einer<lb/>
ruhigen verfassungsmüßigen Entwicklung vereitelt hätten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] gemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen die ihm dnrch die Gesetzgebung gesetzten Schranken einhalten müssen, aber wo solche Schranken fehlten, sei eben das dem Kaiser verfassungsmäßig gewährleistete Recht unbeschränkt. Wäre dem anders, so würde die Folge die sein, daß, wenn aus irgend einem Grunde das neue Gesetz über die Friedenspräsenzstärke nicht zu stände käme, beim Ablauf der in dem bisherigen Gesetze gesetzten Frist das ganze Reichsheer sofort aufgelöst werden müßte, und daß es kein verfassungsmäßiges Mittel gäbe, es in irgend einem Präsenzstande zu erhalten. Ein so absurdes, der politischen Vernichtung des Reichs gleichkommendes Ergebnis könne aber die Verfassung unmöglich gewollt haben. Gegenüber diesen klaren, vom Tagesstreite der Parteimeinungen nicht be¬ rührten Ausführungen treten die Richterschen Schlagworte in die richtige Velenchtnng. Herr von Hume deutete an, daß der Kaiser, wenn bis zum 31. März 1894 eine Einigung zwischen Bundesrat und Reichstag über die Friedenspräsenzstärke nicht zu stände komme, voraussichtlich unter Berufung ans den Artikel 63 Absatz 4 der Verfassung den thatsächlichen Bestand des deutschen Heeres selbständig bestimmen werde, und warnte den Reichstag davor, es zu einem solchen, für die ruhige Weiterentwicklung unsrer Zustände sicher¬ lich unerwünschten Ergebnis kommen zu lassen. Dem gegenüber wagte es Herr Richter, eine zweifelhafte Berfassungsfrage als in seinem Sinne ent¬ schieden zu behandeln, und die Mehrheit, die den beneidenswerten Mut besessen hat, eine von der Heeresverwaltung für unbedingt erforderlich erklärte Ver¬ mehrung unsrer Streitkräfte deshalb für unnötig zu erklären, weil sie Herr Richter für unnötig hält, ist kühn genug, sich von Herrn Richter über eine der schwierigsten und bedenklichsten Fragen der Reichsverfassung mit einigen nichts¬ sagenden Redewendungen beruhigen zu lassen. Es mag sein, ja wir glauben es sogar, daß Herr Richter und seine klerikale und nichtklcrikale demokratische Gefolgschaft mit ihrem Kampfe gegen die Militärvorlage dem Volkswohl zu dienen und den demokratischen Staats- idealeu näher zu kommen glaubt. In Wahrheit besorgen sie aber nach außen hin die Geschäfte der Feinde unsers Volkes, im Innern die Geschäfte einer gegen das Unwesen eines mißleiteten Parlamentarismus energisch reagirenden Persönlichen Herrschaft. Es wäre nicht das erstemal, daß die radikalen An¬ hänger der Parlamentsherrschaft durch ihre Maßlosigkeit die Möglichkeit einer ruhigen verfassungsmüßigen Entwicklung vereitelt hätten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/354>, abgerufen am 22.07.2024.