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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Herr Richter und die Reichsverfassung

Herr Richter etwa folgendes: "Was heißt denn das, Herr Freiherr von Hume!
Wir stehen vor einem Konflikte? Wenn der Reichstag wiederholt von seinem
verfassungsmäßigen Rechte Gebrauch macht, so hat eine Maßregel zu unter¬
bleiben, die nur mit der Genehmigung des Reichstags ins Leben treten kaun.
(Lebhafter Beifall.) Und wenn man dn von einem Konflikte spricht, so würde
das nichts weiter bedeute", als daß Gewalt und Macht vor Recht gehen sollen.
(Erneuter Beifall.) Das heißt die Möglichkeit hinstellen, als ob die Regie¬
rung die Verfassung brechen, einen Staatsstreich begehen, eine Revolution von
oben ins Werk setzen könnte. (Lebhafter, anhaltender Beifall.) Gott beschütze
die Regierung vor ihren Freunden und am meisten vor dem Freiherrn von
Hueue, der dem Reichskanzler damit zu dienen glaubt, wenn er ihm die Mög¬
lichkeit substituirt (!), er könne sich in seinem Gewissen veranlaßt fühlen, die
Verfassung zu brechen, Gewalt zu üben, eine Revolution zu begehen." (Leb¬
hafter Beifall.)

Der große Erfolg, den Herr Richter mit diesen plumpen Schlagworten
nicht etwa in einer fortschrittlichen Wählervcrsaminlung, sondern im deutscheu
Reichstage erzielt hat, ist, wie so vieles aus den letzten Wochen, uicht geeignet,
das Ansehen des Reichstags zu erhöhen. Weiß Herr Richter und wissen die,
die ihm zugejubelt haben, wirklich nicht, was Herr von Hume gemeint hat,
und daß es sich keineswegs um eine mit einigen demagogischen Redensarten
abzufertigende Frage handelt? oder geben sich die Herren nur den Anschein,
als wüßten sie es nicht? Im erster" Falle würde es Zeit, daß sie sich, statt
immer "ur vo" ihren Verfassungsmäßigel: Rechten zu sprechen, auch einmal an
der Hand der Reichsverfassung und unter Benutzung irgend eines Kommentars
zur Verfassung über den Umfang ihrer Rechte, sowie der Rechte des Kaisers
und des Bundesrath unterrichteten; vielleicht gelänge es ihnen dann zu ver¬
stehen, was Herr von Hume gemeint hat, und vielleicht würden sie aus diesem
Verständnis, ebenso wie Herr von Hume, ernste Gründe entnehmen für die
Notwendigkeit, mit der Regierung zu eiuer Verständigung zu gelangen- Wissen
die Herren aber, was Herr von Hume gemeint hat, als er von der Möglich¬
keit eines schweren innern Konflikts sprach, und geberden sie sich gleichwohl
so, als handelte es sich um eine klare, zweifellose Frage, in der das Recht mir
auf selten des Reichstags sein kön"e, welche Bezeichnung verdienen dann diese
Volksvertreter, die dem Volke die sich aus unsrer Verfassung ergebenden Zweifel
verbergen und leichten Herzens ein von innen und außen schwer bedrängtes
Reich nun auch uoch in einen Znständigkeitsstreit zwischen den verfassungs¬
mäßigen Gewalten zu treiben suchen?

Der innere Konflikt, den Herr von Hueue als möglich hinstellte, würde
keineswegs anknüpfen an einen Staatsstreich, an einen Bruch der Verfassung,
um eine Revolution von oben, sondern er würde seinen Ausgangspunkt nehmen
von der ganz außerordentlich streitigen Frage der Auslegung des Art. 63


Herr Richter und die Reichsverfassung

Herr Richter etwa folgendes: „Was heißt denn das, Herr Freiherr von Hume!
Wir stehen vor einem Konflikte? Wenn der Reichstag wiederholt von seinem
verfassungsmäßigen Rechte Gebrauch macht, so hat eine Maßregel zu unter¬
bleiben, die nur mit der Genehmigung des Reichstags ins Leben treten kaun.
(Lebhafter Beifall.) Und wenn man dn von einem Konflikte spricht, so würde
das nichts weiter bedeute», als daß Gewalt und Macht vor Recht gehen sollen.
(Erneuter Beifall.) Das heißt die Möglichkeit hinstellen, als ob die Regie¬
rung die Verfassung brechen, einen Staatsstreich begehen, eine Revolution von
oben ins Werk setzen könnte. (Lebhafter, anhaltender Beifall.) Gott beschütze
die Regierung vor ihren Freunden und am meisten vor dem Freiherrn von
Hueue, der dem Reichskanzler damit zu dienen glaubt, wenn er ihm die Mög¬
lichkeit substituirt (!), er könne sich in seinem Gewissen veranlaßt fühlen, die
Verfassung zu brechen, Gewalt zu üben, eine Revolution zu begehen." (Leb¬
hafter Beifall.)

Der große Erfolg, den Herr Richter mit diesen plumpen Schlagworten
nicht etwa in einer fortschrittlichen Wählervcrsaminlung, sondern im deutscheu
Reichstage erzielt hat, ist, wie so vieles aus den letzten Wochen, uicht geeignet,
das Ansehen des Reichstags zu erhöhen. Weiß Herr Richter und wissen die,
die ihm zugejubelt haben, wirklich nicht, was Herr von Hume gemeint hat,
und daß es sich keineswegs um eine mit einigen demagogischen Redensarten
abzufertigende Frage handelt? oder geben sich die Herren nur den Anschein,
als wüßten sie es nicht? Im erster» Falle würde es Zeit, daß sie sich, statt
immer »ur vo» ihren Verfassungsmäßigel: Rechten zu sprechen, auch einmal an
der Hand der Reichsverfassung und unter Benutzung irgend eines Kommentars
zur Verfassung über den Umfang ihrer Rechte, sowie der Rechte des Kaisers
und des Bundesrath unterrichteten; vielleicht gelänge es ihnen dann zu ver¬
stehen, was Herr von Hume gemeint hat, und vielleicht würden sie aus diesem
Verständnis, ebenso wie Herr von Hume, ernste Gründe entnehmen für die
Notwendigkeit, mit der Regierung zu eiuer Verständigung zu gelangen- Wissen
die Herren aber, was Herr von Hume gemeint hat, als er von der Möglich¬
keit eines schweren innern Konflikts sprach, und geberden sie sich gleichwohl
so, als handelte es sich um eine klare, zweifellose Frage, in der das Recht mir
auf selten des Reichstags sein kön»e, welche Bezeichnung verdienen dann diese
Volksvertreter, die dem Volke die sich aus unsrer Verfassung ergebenden Zweifel
verbergen und leichten Herzens ein von innen und außen schwer bedrängtes
Reich nun auch uoch in einen Znständigkeitsstreit zwischen den verfassungs¬
mäßigen Gewalten zu treiben suchen?

Der innere Konflikt, den Herr von Hueue als möglich hinstellte, würde
keineswegs anknüpfen an einen Staatsstreich, an einen Bruch der Verfassung,
um eine Revolution von oben, sondern er würde seinen Ausgangspunkt nehmen
von der ganz außerordentlich streitigen Frage der Auslegung des Art. 63


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[0352] Herr Richter und die Reichsverfassung Herr Richter etwa folgendes: „Was heißt denn das, Herr Freiherr von Hume! Wir stehen vor einem Konflikte? Wenn der Reichstag wiederholt von seinem verfassungsmäßigen Rechte Gebrauch macht, so hat eine Maßregel zu unter¬ bleiben, die nur mit der Genehmigung des Reichstags ins Leben treten kaun. (Lebhafter Beifall.) Und wenn man dn von einem Konflikte spricht, so würde das nichts weiter bedeute», als daß Gewalt und Macht vor Recht gehen sollen. (Erneuter Beifall.) Das heißt die Möglichkeit hinstellen, als ob die Regie¬ rung die Verfassung brechen, einen Staatsstreich begehen, eine Revolution von oben ins Werk setzen könnte. (Lebhafter, anhaltender Beifall.) Gott beschütze die Regierung vor ihren Freunden und am meisten vor dem Freiherrn von Hueue, der dem Reichskanzler damit zu dienen glaubt, wenn er ihm die Mög¬ lichkeit substituirt (!), er könne sich in seinem Gewissen veranlaßt fühlen, die Verfassung zu brechen, Gewalt zu üben, eine Revolution zu begehen." (Leb¬ hafter Beifall.) Der große Erfolg, den Herr Richter mit diesen plumpen Schlagworten nicht etwa in einer fortschrittlichen Wählervcrsaminlung, sondern im deutscheu Reichstage erzielt hat, ist, wie so vieles aus den letzten Wochen, uicht geeignet, das Ansehen des Reichstags zu erhöhen. Weiß Herr Richter und wissen die, die ihm zugejubelt haben, wirklich nicht, was Herr von Hume gemeint hat, und daß es sich keineswegs um eine mit einigen demagogischen Redensarten abzufertigende Frage handelt? oder geben sich die Herren nur den Anschein, als wüßten sie es nicht? Im erster» Falle würde es Zeit, daß sie sich, statt immer »ur vo» ihren Verfassungsmäßigel: Rechten zu sprechen, auch einmal an der Hand der Reichsverfassung und unter Benutzung irgend eines Kommentars zur Verfassung über den Umfang ihrer Rechte, sowie der Rechte des Kaisers und des Bundesrath unterrichteten; vielleicht gelänge es ihnen dann zu ver¬ stehen, was Herr von Hume gemeint hat, und vielleicht würden sie aus diesem Verständnis, ebenso wie Herr von Hume, ernste Gründe entnehmen für die Notwendigkeit, mit der Regierung zu eiuer Verständigung zu gelangen- Wissen die Herren aber, was Herr von Hume gemeint hat, als er von der Möglich¬ keit eines schweren innern Konflikts sprach, und geberden sie sich gleichwohl so, als handelte es sich um eine klare, zweifellose Frage, in der das Recht mir auf selten des Reichstags sein kön»e, welche Bezeichnung verdienen dann diese Volksvertreter, die dem Volke die sich aus unsrer Verfassung ergebenden Zweifel verbergen und leichten Herzens ein von innen und außen schwer bedrängtes Reich nun auch uoch in einen Znständigkeitsstreit zwischen den verfassungs¬ mäßigen Gewalten zu treiben suchen? Der innere Konflikt, den Herr von Hueue als möglich hinstellte, würde keineswegs anknüpfen an einen Staatsstreich, an einen Bruch der Verfassung, um eine Revolution von oben, sondern er würde seinen Ausgangspunkt nehmen von der ganz außerordentlich streitigen Frage der Auslegung des Art. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/352>, abgerufen am 01.07.2024.