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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Ratzenprinzessiu

scheint mir der "große" Sudermann unendlich klein. Der Rückschlag ist so
stark, daß ich den, dessen Kunstfertigkeit mich eben noch blendete, nun recht
geringschätze, weil ich die Hohlheit des Inhalts gewahr werde. Wäre es nicht
trostlos, wenn der Garten der deutschen Litteratur so wurmstichige Früchte
in Menge hervorbrächte? Würde das nicht vielleicht unser Verderben be¬
deuten ?




Leila die Katzenprinzessin
Julius Haarhaus Lin Märchen von
(Fortsetzung)

is sich Justus wieder in die Stube wandte, sah er das Mädchen
neben sich stehen. Sie hatte sich erhoben und den Schleier ganz
zurückgeschlagen, sodaß er nun auch den schönen Hals sehen
konnte, den ein Halsband von prächtigen Korallen schmückte.
Nimm meinen Dank dafür, daß du den Bann gebrochen
hast, sagte sie freundlich, und laß mich dir die Geschichte meiner Leiden er¬
zählen.

Justus wollte ihre Hand ergreifen. Aber sie wich schnell zurück, und ihre
Augen nah inen einen eigentümlich traurigen Ausdruck an. Du darfst mich
nie berühren, sonst bin ich dem alten Zauber wieder verfallen, und wer weiß
ob ich dann noch einmal erlöst werden kann! Also hüte dich!

Sie schritt auf das Sofa zu, schwang sich auf eine der hohen Armlehnen
und bat deu jungen Gelehrten, sich in seinem Sessel am Schreibtische nieder¬
zulassen. Dann begann sie:

Du siehst in mir die Prinzessin Leila, die Tochter des Sultans Achmed
von Alkonda, den man in den Ländern des Aufgangs den Glücklichen nennt.
Sicherlich ist der Ruhm seines Namens bis zu den Reichen der sinkenden
Sonne gedrungen.

Sultan Achmed? entgegnete Justus mit unverhohlenem Erstaunen. Ich
habe wohl von einem Herrscher dieses Namens gelesen, aber es ist länger als
ein Jahrhundert her, daß er gelebt hat.

Das Müdcheu seufzte. Länger als ein Jahrhundert? Ich hatte es ver¬
gessen! Und doch ist mir, als wäre der Aldebaran nur einmal aufgegangen
und wieder verblichen seit jenem Tage, da ich meinen teuern Vater im Hafen
von Jaffa zum letztenmale sah! Doch höre weiter. Ich war erst sechzehn
Jahre alt und hatte die Gurten des väterlichen Harems mit ihren Chpressen


Leila die Ratzenprinzessiu

scheint mir der „große" Sudermann unendlich klein. Der Rückschlag ist so
stark, daß ich den, dessen Kunstfertigkeit mich eben noch blendete, nun recht
geringschätze, weil ich die Hohlheit des Inhalts gewahr werde. Wäre es nicht
trostlos, wenn der Garten der deutschen Litteratur so wurmstichige Früchte
in Menge hervorbrächte? Würde das nicht vielleicht unser Verderben be¬
deuten ?




Leila die Katzenprinzessin
Julius Haarhaus Lin Märchen von
(Fortsetzung)

is sich Justus wieder in die Stube wandte, sah er das Mädchen
neben sich stehen. Sie hatte sich erhoben und den Schleier ganz
zurückgeschlagen, sodaß er nun auch den schönen Hals sehen
konnte, den ein Halsband von prächtigen Korallen schmückte.
Nimm meinen Dank dafür, daß du den Bann gebrochen
hast, sagte sie freundlich, und laß mich dir die Geschichte meiner Leiden er¬
zählen.

Justus wollte ihre Hand ergreifen. Aber sie wich schnell zurück, und ihre
Augen nah inen einen eigentümlich traurigen Ausdruck an. Du darfst mich
nie berühren, sonst bin ich dem alten Zauber wieder verfallen, und wer weiß
ob ich dann noch einmal erlöst werden kann! Also hüte dich!

Sie schritt auf das Sofa zu, schwang sich auf eine der hohen Armlehnen
und bat deu jungen Gelehrten, sich in seinem Sessel am Schreibtische nieder¬
zulassen. Dann begann sie:

Du siehst in mir die Prinzessin Leila, die Tochter des Sultans Achmed
von Alkonda, den man in den Ländern des Aufgangs den Glücklichen nennt.
Sicherlich ist der Ruhm seines Namens bis zu den Reichen der sinkenden
Sonne gedrungen.

Sultan Achmed? entgegnete Justus mit unverhohlenem Erstaunen. Ich
habe wohl von einem Herrscher dieses Namens gelesen, aber es ist länger als
ein Jahrhundert her, daß er gelebt hat.

Das Müdcheu seufzte. Länger als ein Jahrhundert? Ich hatte es ver¬
gessen! Und doch ist mir, als wäre der Aldebaran nur einmal aufgegangen
und wieder verblichen seit jenem Tage, da ich meinen teuern Vater im Hafen
von Jaffa zum letztenmale sah! Doch höre weiter. Ich war erst sechzehn
Jahre alt und hatte die Gurten des väterlichen Harems mit ihren Chpressen


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[0332] Leila die Ratzenprinzessiu scheint mir der „große" Sudermann unendlich klein. Der Rückschlag ist so stark, daß ich den, dessen Kunstfertigkeit mich eben noch blendete, nun recht geringschätze, weil ich die Hohlheit des Inhalts gewahr werde. Wäre es nicht trostlos, wenn der Garten der deutschen Litteratur so wurmstichige Früchte in Menge hervorbrächte? Würde das nicht vielleicht unser Verderben be¬ deuten ? Leila die Katzenprinzessin Julius Haarhaus Lin Märchen von (Fortsetzung) is sich Justus wieder in die Stube wandte, sah er das Mädchen neben sich stehen. Sie hatte sich erhoben und den Schleier ganz zurückgeschlagen, sodaß er nun auch den schönen Hals sehen konnte, den ein Halsband von prächtigen Korallen schmückte. Nimm meinen Dank dafür, daß du den Bann gebrochen hast, sagte sie freundlich, und laß mich dir die Geschichte meiner Leiden er¬ zählen. Justus wollte ihre Hand ergreifen. Aber sie wich schnell zurück, und ihre Augen nah inen einen eigentümlich traurigen Ausdruck an. Du darfst mich nie berühren, sonst bin ich dem alten Zauber wieder verfallen, und wer weiß ob ich dann noch einmal erlöst werden kann! Also hüte dich! Sie schritt auf das Sofa zu, schwang sich auf eine der hohen Armlehnen und bat deu jungen Gelehrten, sich in seinem Sessel am Schreibtische nieder¬ zulassen. Dann begann sie: Du siehst in mir die Prinzessin Leila, die Tochter des Sultans Achmed von Alkonda, den man in den Ländern des Aufgangs den Glücklichen nennt. Sicherlich ist der Ruhm seines Namens bis zu den Reichen der sinkenden Sonne gedrungen. Sultan Achmed? entgegnete Justus mit unverhohlenem Erstaunen. Ich habe wohl von einem Herrscher dieses Namens gelesen, aber es ist länger als ein Jahrhundert her, daß er gelebt hat. Das Müdcheu seufzte. Länger als ein Jahrhundert? Ich hatte es ver¬ gessen! Und doch ist mir, als wäre der Aldebaran nur einmal aufgegangen und wieder verblichen seit jenem Tage, da ich meinen teuern Vater im Hafen von Jaffa zum letztenmale sah! Doch höre weiter. Ich war erst sechzehn Jahre alt und hatte die Gurten des väterlichen Harems mit ihren Chpressen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/332>, abgerufen am 27.08.2024.