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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Iolanthes Hochzeit

er ist auch hier wieder dezent, "riesig" dezent, so dezent, wie es sich für
unsereiner gehört. Denn ans dem Ehebruche wird nichts, es kommt viel
rührender.

Hanckel sagt zu Lothar, er möge heimgehen. Da fällt Jvlanthe Lothar zu
Füßen und schreit: "Du darfst nicht sterben." Sie hatten sich schon immer
geliebt, aber sich wegen des Prozesses Krakow e-onem Putz nicht sehen, nicht
sprechen und uicht heiraten können. Nun, am Schluß der Geschichte, läßt
Sudermann seinen Lothar doch so viel Charakter haben, daß er beabsichtigt,
sich zu töten. Jolanthe hatte sich hernach ebenfalls getötet. Aber womit?
Mit Blausäure. El, der Deiwel! sagt Hanckel. Großartig ist es, auf welche
Weise Sudermann die junge Dame vom Lande in den Besitz von Blausäure
zu setzen weiß. Blausäure mußte es unbedingt sein, nichts andres, denn sonst
wäre die Geschichte nicht "scheußlich sein," sondern ganz gewöhnlich gewesen.
"Ein Tanzstundenfreund, welcher (!) Chemiker war, und dem (!) sie den Kopf
verdreht hatte, hatte ihr auf ihre Bitten das angenehme Wässerchen vor
Jahren zum Geschenk gemacht." Wieder ein Zuwachs meiner Kenntnisse:
Blausäure verdirbt in Jahren uicht.

Was thut nun der edle Hanckel? "Du Aaströt'," sagt er zu Lothar,
"mach du, daß du uach Hause kommst!" Darauf kutschirt er Jolauthe uoch
in selbiger Nacht zu seiner Schwester auf ein Nachbargut, wo sie verweilen
soll, bis die Scheidung vollzogen ist. Er selbst schläft dann in seinem Bett
allein, wie der Papst in dem Studentenliede.

Welch ein idealer Schluß! Was hat Sudermann aus einem im Grunde
doch recht dürftigen Stoff, den ein Reporter in zwanzig Zeilen abgethan
Hütte, zu machen verstanden. Ich bewundre ihn. Aber Genie ist eben Genie;
warf hat, der hats. Wie es ein solches Genie macht, das ist natürlich sein
Geschäftsgeheimnis. Gewöhnliche Sterbliche können so etwas wie Jolanthes
Hochzeit nicht machen. --

Die Hochzeit ist aus, der Tanz auch, und das Buch auch. Rasch stecke
ich es ein, denn das Publikum räumt schon das Parkett, die Range und
Galerien und drängt hinaus auf die nüchtern blickende Straße. Ich glaube
fast, es ist ein Glück, daß solche Bücher so kurz sind. Zuweilen überfüllt
mich, ich weiß nicht wie, ein Ekel vor dein öden Zeitvertreib des Gesellschafts¬
lebens; ich möchte nicht immer Jolanthe und dergleichen lesen und sehen, denn
der Nachgeschmack ist gar zu schlecht. Ich staune die modernen Propheten an,
die ihre Sachen so schön herauszuputzen verstehn, aber ich frage mich manch¬
mal unwillkürlich, ob die Sachen nicht lauter unechte, verfälschte Ware sind.
Wenn mich hinterher der Ekel überkommt, ist es mir, als ob mich die Suder¬
manns mit aller Gewalt trotz meines Sträubens in finstre Tiefen hinunter¬
zerren wollten, während ich doch eine unvertilgbare Sehnsucht nach lichten
Höhen in mir verspüre. In dieser Stimmung, ich kann mir uicht helfen, er-


Iolanthes Hochzeit

er ist auch hier wieder dezent, „riesig" dezent, so dezent, wie es sich für
unsereiner gehört. Denn ans dem Ehebruche wird nichts, es kommt viel
rührender.

Hanckel sagt zu Lothar, er möge heimgehen. Da fällt Jvlanthe Lothar zu
Füßen und schreit: „Du darfst nicht sterben." Sie hatten sich schon immer
geliebt, aber sich wegen des Prozesses Krakow e-onem Putz nicht sehen, nicht
sprechen und uicht heiraten können. Nun, am Schluß der Geschichte, läßt
Sudermann seinen Lothar doch so viel Charakter haben, daß er beabsichtigt,
sich zu töten. Jolanthe hatte sich hernach ebenfalls getötet. Aber womit?
Mit Blausäure. El, der Deiwel! sagt Hanckel. Großartig ist es, auf welche
Weise Sudermann die junge Dame vom Lande in den Besitz von Blausäure
zu setzen weiß. Blausäure mußte es unbedingt sein, nichts andres, denn sonst
wäre die Geschichte nicht „scheußlich sein," sondern ganz gewöhnlich gewesen.
„Ein Tanzstundenfreund, welcher (!) Chemiker war, und dem (!) sie den Kopf
verdreht hatte, hatte ihr auf ihre Bitten das angenehme Wässerchen vor
Jahren zum Geschenk gemacht." Wieder ein Zuwachs meiner Kenntnisse:
Blausäure verdirbt in Jahren uicht.

Was thut nun der edle Hanckel? „Du Aaströt'," sagt er zu Lothar,
„mach du, daß du uach Hause kommst!" Darauf kutschirt er Jolauthe uoch
in selbiger Nacht zu seiner Schwester auf ein Nachbargut, wo sie verweilen
soll, bis die Scheidung vollzogen ist. Er selbst schläft dann in seinem Bett
allein, wie der Papst in dem Studentenliede.

Welch ein idealer Schluß! Was hat Sudermann aus einem im Grunde
doch recht dürftigen Stoff, den ein Reporter in zwanzig Zeilen abgethan
Hütte, zu machen verstanden. Ich bewundre ihn. Aber Genie ist eben Genie;
warf hat, der hats. Wie es ein solches Genie macht, das ist natürlich sein
Geschäftsgeheimnis. Gewöhnliche Sterbliche können so etwas wie Jolanthes
Hochzeit nicht machen. —

Die Hochzeit ist aus, der Tanz auch, und das Buch auch. Rasch stecke
ich es ein, denn das Publikum räumt schon das Parkett, die Range und
Galerien und drängt hinaus auf die nüchtern blickende Straße. Ich glaube
fast, es ist ein Glück, daß solche Bücher so kurz sind. Zuweilen überfüllt
mich, ich weiß nicht wie, ein Ekel vor dein öden Zeitvertreib des Gesellschafts¬
lebens; ich möchte nicht immer Jolanthe und dergleichen lesen und sehen, denn
der Nachgeschmack ist gar zu schlecht. Ich staune die modernen Propheten an,
die ihre Sachen so schön herauszuputzen verstehn, aber ich frage mich manch¬
mal unwillkürlich, ob die Sachen nicht lauter unechte, verfälschte Ware sind.
Wenn mich hinterher der Ekel überkommt, ist es mir, als ob mich die Suder¬
manns mit aller Gewalt trotz meines Sträubens in finstre Tiefen hinunter¬
zerren wollten, während ich doch eine unvertilgbare Sehnsucht nach lichten
Höhen in mir verspüre. In dieser Stimmung, ich kann mir uicht helfen, er-


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[0331] Iolanthes Hochzeit er ist auch hier wieder dezent, „riesig" dezent, so dezent, wie es sich für unsereiner gehört. Denn ans dem Ehebruche wird nichts, es kommt viel rührender. Hanckel sagt zu Lothar, er möge heimgehen. Da fällt Jvlanthe Lothar zu Füßen und schreit: „Du darfst nicht sterben." Sie hatten sich schon immer geliebt, aber sich wegen des Prozesses Krakow e-onem Putz nicht sehen, nicht sprechen und uicht heiraten können. Nun, am Schluß der Geschichte, läßt Sudermann seinen Lothar doch so viel Charakter haben, daß er beabsichtigt, sich zu töten. Jolanthe hatte sich hernach ebenfalls getötet. Aber womit? Mit Blausäure. El, der Deiwel! sagt Hanckel. Großartig ist es, auf welche Weise Sudermann die junge Dame vom Lande in den Besitz von Blausäure zu setzen weiß. Blausäure mußte es unbedingt sein, nichts andres, denn sonst wäre die Geschichte nicht „scheußlich sein," sondern ganz gewöhnlich gewesen. „Ein Tanzstundenfreund, welcher (!) Chemiker war, und dem (!) sie den Kopf verdreht hatte, hatte ihr auf ihre Bitten das angenehme Wässerchen vor Jahren zum Geschenk gemacht." Wieder ein Zuwachs meiner Kenntnisse: Blausäure verdirbt in Jahren uicht. Was thut nun der edle Hanckel? „Du Aaströt'," sagt er zu Lothar, „mach du, daß du uach Hause kommst!" Darauf kutschirt er Jolauthe uoch in selbiger Nacht zu seiner Schwester auf ein Nachbargut, wo sie verweilen soll, bis die Scheidung vollzogen ist. Er selbst schläft dann in seinem Bett allein, wie der Papst in dem Studentenliede. Welch ein idealer Schluß! Was hat Sudermann aus einem im Grunde doch recht dürftigen Stoff, den ein Reporter in zwanzig Zeilen abgethan Hütte, zu machen verstanden. Ich bewundre ihn. Aber Genie ist eben Genie; warf hat, der hats. Wie es ein solches Genie macht, das ist natürlich sein Geschäftsgeheimnis. Gewöhnliche Sterbliche können so etwas wie Jolanthes Hochzeit nicht machen. — Die Hochzeit ist aus, der Tanz auch, und das Buch auch. Rasch stecke ich es ein, denn das Publikum räumt schon das Parkett, die Range und Galerien und drängt hinaus auf die nüchtern blickende Straße. Ich glaube fast, es ist ein Glück, daß solche Bücher so kurz sind. Zuweilen überfüllt mich, ich weiß nicht wie, ein Ekel vor dein öden Zeitvertreib des Gesellschafts¬ lebens; ich möchte nicht immer Jolanthe und dergleichen lesen und sehen, denn der Nachgeschmack ist gar zu schlecht. Ich staune die modernen Propheten an, die ihre Sachen so schön herauszuputzen verstehn, aber ich frage mich manch¬ mal unwillkürlich, ob die Sachen nicht lauter unechte, verfälschte Ware sind. Wenn mich hinterher der Ekel überkommt, ist es mir, als ob mich die Suder¬ manns mit aller Gewalt trotz meines Sträubens in finstre Tiefen hinunter¬ zerren wollten, während ich doch eine unvertilgbare Sehnsucht nach lichten Höhen in mir verspüre. In dieser Stimmung, ich kann mir uicht helfen, er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/331>, abgerufen am 27.08.2024.