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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Diesmal haben Sie die beste Gelegenheit, Ihre Praxis auszudehnen, be¬
gann er. Diesmal sagen Sie nicht nein, wie sonst immer. So werden
Sie nie eine ordentliche Kundschaft bekommen. Da habe ich dem Bcmdagisteu
oben fünfundzwanzig neue Kunden besorgt, Kinder vom Lande mit Klumpfüßen,
mit Brüchen, was weiß ich, alles muß zu ihm, und wenn Sie wollen, ver¬
schafft er Ihnen wieder mindestens ein halbes Dutzend davon zur Weiter¬
behandlung. Kompagniegeschäft! Aber es ist auch nicht jedermanns Sache, die
Leute in den Landstädtchen aufzutreiben. Man muß wissen, wies gemacht wird.
Kommt ein andrer hin, so sieht es wohl aus, als ob es gar nichts sür einen
in dem Neste zu thun gäbe. Mich aber kennen sie schon von früher, wie ich
noch mit den zwölf Doktoren zusammcnreiste, auch als Doktor. Ich heiße
dort nur "der Doktor." Als wir in Kompagnie reisten und den Leuten
Patentmedizinen aufschwatzten, da machten wir sogar Operationen; wenn es
nichts nützte, so schadete es doch auch nicht viel, und Geld hats gekostet, so
viel, daß sie noch lange an uns dachten. Darum mußte es doch auch was wert
sein. Denn das gestehen sie sich nicht ein, daß sie so dumm gewesen sind, ihr
Geld für reinen Unsinn zum Fenster hinaus zu werfen. So wirds gemacht! Nun
habe ich jedesmal, wenn ich von Argentine oder von Sedalia komme, Kunden
für die berühmten Zwölf an alleu Fingern, und ich bin erbötig, auch Ihnen,
wiewohl Sie noch kein Spezialist sind, Kunden zuzuführen, aber Sie müssen sich
schnell mit Ihren Aufträgen entschließen, denn übermorgen geht es schon wieder
auf die Reise. Ich kann mich hier nicht länger aufhalten. Zeit ist Geld.

Dabei machte er aber keine Miene, uns von seiner Gegenwart zu be¬
freien, wie wir bei den letzten Worten gehofft hatten, sondern stopfte sich ge¬
mächlich einen neuen Prim zwischen Zähne und Backen, und indem er eine Liste
aus der Vrusttasche zog, zeigte er uns, welche Tour er diesmal zu machen
und wo er für den Chirurgen chirurgische Fälle, für den Nervenspezialisten
Epileptiker und Hysterische, sür deu Augenarzt Staare und für den Ohren- und
Rachenarzt Polypen aufzutreiben gedächte.

Als ihm aber Kollege Brand deutlich machte, daß er leider keine Auf¬
träge für ihn habe, da er sich überhaupt aus derartige Sachen nicht einlasse,
so hieß es: Dann können Sie hier nie Geschäfte machen. Nur so, durch
Agenten, treiben sich die Doktorgesellschaften ihr Publikum zusammen, wie Sie
es seit vierzehn Tagen hier gegenüber sehen. Solch einer Gesellschaft hätten
Sie sich schon längst anschließen sollen, wenn Sie nicht für sich allein einen
Geschäftsreisenden anstellen wollen. Diese Gesellschaften haben eine Zukunft.
Wie manche Universität ist schon aus solchen ärztlichen Kompagniegeschäften
hervorgegangen, die jetzt, über jede Konkurrenz erhaben, alljährlich neue Ärzte
ernennt und Doktordiplome ausstellt! Jedenfalls überlegen Sie sich die Sache
noch einmal, ehe Sie mich mit ganz negativem Bescheid entlassen; denn wenn
Sie anch vielleicht augenblicklich meine Hilfe nicht nötig zu haben glauben,


Diesmal haben Sie die beste Gelegenheit, Ihre Praxis auszudehnen, be¬
gann er. Diesmal sagen Sie nicht nein, wie sonst immer. So werden
Sie nie eine ordentliche Kundschaft bekommen. Da habe ich dem Bcmdagisteu
oben fünfundzwanzig neue Kunden besorgt, Kinder vom Lande mit Klumpfüßen,
mit Brüchen, was weiß ich, alles muß zu ihm, und wenn Sie wollen, ver¬
schafft er Ihnen wieder mindestens ein halbes Dutzend davon zur Weiter¬
behandlung. Kompagniegeschäft! Aber es ist auch nicht jedermanns Sache, die
Leute in den Landstädtchen aufzutreiben. Man muß wissen, wies gemacht wird.
Kommt ein andrer hin, so sieht es wohl aus, als ob es gar nichts sür einen
in dem Neste zu thun gäbe. Mich aber kennen sie schon von früher, wie ich
noch mit den zwölf Doktoren zusammcnreiste, auch als Doktor. Ich heiße
dort nur „der Doktor." Als wir in Kompagnie reisten und den Leuten
Patentmedizinen aufschwatzten, da machten wir sogar Operationen; wenn es
nichts nützte, so schadete es doch auch nicht viel, und Geld hats gekostet, so
viel, daß sie noch lange an uns dachten. Darum mußte es doch auch was wert
sein. Denn das gestehen sie sich nicht ein, daß sie so dumm gewesen sind, ihr
Geld für reinen Unsinn zum Fenster hinaus zu werfen. So wirds gemacht! Nun
habe ich jedesmal, wenn ich von Argentine oder von Sedalia komme, Kunden
für die berühmten Zwölf an alleu Fingern, und ich bin erbötig, auch Ihnen,
wiewohl Sie noch kein Spezialist sind, Kunden zuzuführen, aber Sie müssen sich
schnell mit Ihren Aufträgen entschließen, denn übermorgen geht es schon wieder
auf die Reise. Ich kann mich hier nicht länger aufhalten. Zeit ist Geld.

Dabei machte er aber keine Miene, uns von seiner Gegenwart zu be¬
freien, wie wir bei den letzten Worten gehofft hatten, sondern stopfte sich ge¬
mächlich einen neuen Prim zwischen Zähne und Backen, und indem er eine Liste
aus der Vrusttasche zog, zeigte er uns, welche Tour er diesmal zu machen
und wo er für den Chirurgen chirurgische Fälle, für den Nervenspezialisten
Epileptiker und Hysterische, sür deu Augenarzt Staare und für den Ohren- und
Rachenarzt Polypen aufzutreiben gedächte.

Als ihm aber Kollege Brand deutlich machte, daß er leider keine Auf¬
träge für ihn habe, da er sich überhaupt aus derartige Sachen nicht einlasse,
so hieß es: Dann können Sie hier nie Geschäfte machen. Nur so, durch
Agenten, treiben sich die Doktorgesellschaften ihr Publikum zusammen, wie Sie
es seit vierzehn Tagen hier gegenüber sehen. Solch einer Gesellschaft hätten
Sie sich schon längst anschließen sollen, wenn Sie nicht für sich allein einen
Geschäftsreisenden anstellen wollen. Diese Gesellschaften haben eine Zukunft.
Wie manche Universität ist schon aus solchen ärztlichen Kompagniegeschäften
hervorgegangen, die jetzt, über jede Konkurrenz erhaben, alljährlich neue Ärzte
ernennt und Doktordiplome ausstellt! Jedenfalls überlegen Sie sich die Sache
noch einmal, ehe Sie mich mit ganz negativem Bescheid entlassen; denn wenn
Sie anch vielleicht augenblicklich meine Hilfe nicht nötig zu haben glauben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/317>, abgerufen am 23.07.2024.