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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Aatzenprinzessin

ginge" Wir zusammen nach Dölitz oder nach Raschwitz, und im Winter führte
ich sie in die "Drei Schwanen" zum "großen Konzert," >

Unter solchen Gedanken war er in seiner Stube angekommen und machte
sichs wegen der Schwüle des Tages bequem. Er entledigte sich seines Rocks
und streckte sich aufs Sofa, um sich von der Anstrengung des Spazier¬
ganges zu erholen und, wie es des Nachmittags seine Gewohnheit war, zu
lesen. Wider Willen verfiel er aber nach wenigen Minuten in eine Art von
Halbschlummer, den er vergebens zu bekämpfen suchte. Nur eine Weile gelang
es ihm, die Augen offen zu halten, und er bemerkte noch, wie die Katze nach
ihrer Gewohnheit an den Bücherregalen hinstrich. Dann sprang sie auf den
Tisch, auf dem ein aufgeschlagner Foliant lag. Es war ein grüner Pergament¬
band, der teils alte medizinische Rezepte, teils Zauberformeln in schöner ara¬
bischer Schrift enthielt. Dann fielen ihm die Augen wieder zu.

Aber plötzlich brachte ihn ein Geräusch wieder zum Bewußtsein. Es war
ihm, als ob die Blätter des Buches eins nach dem andern leise Hingewandt
würden, und als er die Augen öffnete und nach dem Tische blickte, sah er,
wie die Katze, die ihm den Rücken zukehrte, mit ihren weißen Pfötchen geschickt
Blatt für Blatt umschlug. Erstaunt richtete er sich auf und sah dem zier¬
lichen Spuk zu, den er nicht für möglich gehalten hätte, als ihn plötzlich ein
noch eigentümlicheres Benehmen der Katze veranlaßte, vom Sofa aufzuspringen.
Das Tier war mit einer wilden Bewegung aufgefahren und hatte, einen
schrillen Ton ausstoßend, beide Vorderpfoten in das Buch gekrallt, während
es heftig den Schweif bewegte und mit funkelnden Angen auf die Schriftzüge
blickte, in die es seine Krallen geschlagen hatte. Bei dem Geräusch, das Justus
durch fein Aufspringen verursachte, sprang die Katze mit einem Satze vom
Tisch herunter und unter den Bücherschrank. Aber bald kam sie wieder her¬
vor und näherte sich Justus unter Anzeichen der größten Unruhe, rieb ihren
Kopf an seiner Hand, sprang dann wieder auf den Tisch und starrte am
ganzen Leibe zitternd auf die Stelle im Texte des Buches, die die Spuren
ihrer Krallen zeigte. Justus wollte sie beiseite schieben, da er für sein Manu¬
skript Sorge trug, aber das Tier stieß ein klägliches Gewimmer aus und ver¬
suchte, das Buch mit den Pfötchen festzuhalten und ihn am Umwenden zu
verhindern. Dann wies sie -- Justus traute seinen Augen nicht -- auf einen
der Sprüche und wandte sich zu Justus, wobei sie ihn wie bittend anschaute.

Endlich verstand er, was das seltsame Tier wollte! Mit erregter Stimme
las er laut die Formel. Aber kaum hatte er das letzte Wort allsgesprochen, als
die Katze zu Boden stürzte und sich minutenlang unter grüßlichen Zuckungen
wand. Justus betrachtete sie, durch die sonderbare Erscheinung aufs höchste
erschüttert. Das Tier schien zu wachsen und seine Form zu ändern. Der
lange buschige Schweif schrumpfte ein, und das weiche, zottige Fell verwandelte
sich in ein blütenweißes wolliges Gewebe. Der Kopf verschwand unter einem


Leila die Aatzenprinzessin

ginge» Wir zusammen nach Dölitz oder nach Raschwitz, und im Winter führte
ich sie in die „Drei Schwanen" zum „großen Konzert," >

Unter solchen Gedanken war er in seiner Stube angekommen und machte
sichs wegen der Schwüle des Tages bequem. Er entledigte sich seines Rocks
und streckte sich aufs Sofa, um sich von der Anstrengung des Spazier¬
ganges zu erholen und, wie es des Nachmittags seine Gewohnheit war, zu
lesen. Wider Willen verfiel er aber nach wenigen Minuten in eine Art von
Halbschlummer, den er vergebens zu bekämpfen suchte. Nur eine Weile gelang
es ihm, die Augen offen zu halten, und er bemerkte noch, wie die Katze nach
ihrer Gewohnheit an den Bücherregalen hinstrich. Dann sprang sie auf den
Tisch, auf dem ein aufgeschlagner Foliant lag. Es war ein grüner Pergament¬
band, der teils alte medizinische Rezepte, teils Zauberformeln in schöner ara¬
bischer Schrift enthielt. Dann fielen ihm die Augen wieder zu.

Aber plötzlich brachte ihn ein Geräusch wieder zum Bewußtsein. Es war
ihm, als ob die Blätter des Buches eins nach dem andern leise Hingewandt
würden, und als er die Augen öffnete und nach dem Tische blickte, sah er,
wie die Katze, die ihm den Rücken zukehrte, mit ihren weißen Pfötchen geschickt
Blatt für Blatt umschlug. Erstaunt richtete er sich auf und sah dem zier¬
lichen Spuk zu, den er nicht für möglich gehalten hätte, als ihn plötzlich ein
noch eigentümlicheres Benehmen der Katze veranlaßte, vom Sofa aufzuspringen.
Das Tier war mit einer wilden Bewegung aufgefahren und hatte, einen
schrillen Ton ausstoßend, beide Vorderpfoten in das Buch gekrallt, während
es heftig den Schweif bewegte und mit funkelnden Angen auf die Schriftzüge
blickte, in die es seine Krallen geschlagen hatte. Bei dem Geräusch, das Justus
durch fein Aufspringen verursachte, sprang die Katze mit einem Satze vom
Tisch herunter und unter den Bücherschrank. Aber bald kam sie wieder her¬
vor und näherte sich Justus unter Anzeichen der größten Unruhe, rieb ihren
Kopf an seiner Hand, sprang dann wieder auf den Tisch und starrte am
ganzen Leibe zitternd auf die Stelle im Texte des Buches, die die Spuren
ihrer Krallen zeigte. Justus wollte sie beiseite schieben, da er für sein Manu¬
skript Sorge trug, aber das Tier stieß ein klägliches Gewimmer aus und ver¬
suchte, das Buch mit den Pfötchen festzuhalten und ihn am Umwenden zu
verhindern. Dann wies sie — Justus traute seinen Augen nicht — auf einen
der Sprüche und wandte sich zu Justus, wobei sie ihn wie bittend anschaute.

Endlich verstand er, was das seltsame Tier wollte! Mit erregter Stimme
las er laut die Formel. Aber kaum hatte er das letzte Wort allsgesprochen, als
die Katze zu Boden stürzte und sich minutenlang unter grüßlichen Zuckungen
wand. Justus betrachtete sie, durch die sonderbare Erscheinung aufs höchste
erschüttert. Das Tier schien zu wachsen und seine Form zu ändern. Der
lange buschige Schweif schrumpfte ein, und das weiche, zottige Fell verwandelte
sich in ein blütenweißes wolliges Gewebe. Der Kopf verschwand unter einem


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[0287] Leila die Aatzenprinzessin ginge» Wir zusammen nach Dölitz oder nach Raschwitz, und im Winter führte ich sie in die „Drei Schwanen" zum „großen Konzert," > Unter solchen Gedanken war er in seiner Stube angekommen und machte sichs wegen der Schwüle des Tages bequem. Er entledigte sich seines Rocks und streckte sich aufs Sofa, um sich von der Anstrengung des Spazier¬ ganges zu erholen und, wie es des Nachmittags seine Gewohnheit war, zu lesen. Wider Willen verfiel er aber nach wenigen Minuten in eine Art von Halbschlummer, den er vergebens zu bekämpfen suchte. Nur eine Weile gelang es ihm, die Augen offen zu halten, und er bemerkte noch, wie die Katze nach ihrer Gewohnheit an den Bücherregalen hinstrich. Dann sprang sie auf den Tisch, auf dem ein aufgeschlagner Foliant lag. Es war ein grüner Pergament¬ band, der teils alte medizinische Rezepte, teils Zauberformeln in schöner ara¬ bischer Schrift enthielt. Dann fielen ihm die Augen wieder zu. Aber plötzlich brachte ihn ein Geräusch wieder zum Bewußtsein. Es war ihm, als ob die Blätter des Buches eins nach dem andern leise Hingewandt würden, und als er die Augen öffnete und nach dem Tische blickte, sah er, wie die Katze, die ihm den Rücken zukehrte, mit ihren weißen Pfötchen geschickt Blatt für Blatt umschlug. Erstaunt richtete er sich auf und sah dem zier¬ lichen Spuk zu, den er nicht für möglich gehalten hätte, als ihn plötzlich ein noch eigentümlicheres Benehmen der Katze veranlaßte, vom Sofa aufzuspringen. Das Tier war mit einer wilden Bewegung aufgefahren und hatte, einen schrillen Ton ausstoßend, beide Vorderpfoten in das Buch gekrallt, während es heftig den Schweif bewegte und mit funkelnden Angen auf die Schriftzüge blickte, in die es seine Krallen geschlagen hatte. Bei dem Geräusch, das Justus durch fein Aufspringen verursachte, sprang die Katze mit einem Satze vom Tisch herunter und unter den Bücherschrank. Aber bald kam sie wieder her¬ vor und näherte sich Justus unter Anzeichen der größten Unruhe, rieb ihren Kopf an seiner Hand, sprang dann wieder auf den Tisch und starrte am ganzen Leibe zitternd auf die Stelle im Texte des Buches, die die Spuren ihrer Krallen zeigte. Justus wollte sie beiseite schieben, da er für sein Manu¬ skript Sorge trug, aber das Tier stieß ein klägliches Gewimmer aus und ver¬ suchte, das Buch mit den Pfötchen festzuhalten und ihn am Umwenden zu verhindern. Dann wies sie — Justus traute seinen Augen nicht — auf einen der Sprüche und wandte sich zu Justus, wobei sie ihn wie bittend anschaute. Endlich verstand er, was das seltsame Tier wollte! Mit erregter Stimme las er laut die Formel. Aber kaum hatte er das letzte Wort allsgesprochen, als die Katze zu Boden stürzte und sich minutenlang unter grüßlichen Zuckungen wand. Justus betrachtete sie, durch die sonderbare Erscheinung aufs höchste erschüttert. Das Tier schien zu wachsen und seine Form zu ändern. Der lange buschige Schweif schrumpfte ein, und das weiche, zottige Fell verwandelte sich in ein blütenweißes wolliges Gewebe. Der Kopf verschwand unter einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/287>, abgerufen am 23.07.2024.