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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Uatzenprinzessin

Als das Geführt vorüber war, konnte sich Justus nicht versagen, den Thor¬
schreiber nach den: Namen des vornehmen Reisenden zu fragen. Des Fürsten
Orlowski Durchlaucht, von seinen Gütern in Polen kommend, auf der Durch¬
reise gestern hier eingetroffen, antwortete der Schreiber und beugte sich wieder
über sein Register.

Auf der Grimmischen Gasse nahm das Gedränge zu. Einige Fracht¬
wagen, mit Meßgütern beladen und von Reitern eskortirt, bewegte" sich lang¬
sam und schwerfällig gegen den Markt hin, die Fuhrleute schrieen und fluchten,
und der Weibcl der Stadtsoldaten hatte Mühe, die Ordnung aufrecht zu er¬
halten. An der Ecke des Marktes standen ein paar Türken, die Pfeifen,
Tabak, Dolche und Rosenöl feilboten und gerade überlegten, wo sie heute
ihren Sorbet schlürfen sollten. Justus trat auf sie zu und redete sie in ihrer
Sprache an. Beide machten große Augen, dann aber sprachen sie so lebhaft
auf ihn ein, daß es ihm unmöglich wurde, sie zu verstehen oder den Strom
der Unterhaltung in das schmale Flußbett seiner Sprachkenntnisfe zu leiten.
Er verabschiedete sich daher mit einer Redensart und schritt dnrch die Me߬
budenreihen des Marktes seiner Wohnung zu.

Am Thore von "Küchenmeisters Hof" traf er mit dem Professor zu¬
sammen. Ist es wahr, junger Freund, daß Sie sich als Privatdozent für
Orientalia an unsrer Universität habilitiren wollen? Es hat mich sehr ge¬
stellt, das zu hören. Abgesehen von einer gesicherten Lebensstellung und einer
geregelten Beschäftigung bietet die akademische Laufbahn so unendlich viele
Annehmlichkeiten, daß ich Ihnen zu Ihrem Entschlüsse nur aufrichtig Glück
wünschen kann. Haben Sie übrigens gehört, daß Fürst Orlowski, der zur
Messe hergekommen ist, die gesamten Professores und Magistri zu einem großen
Schmause eingeladen hat? Ich bin persönlich kein Freund von solchen Ge¬
lagen, aber diesmal werde ich doch hingehen -- dem Fürsten konnte ichs nicht
gut abschlagen.

Inzwischen waren sie die Treppe hinaufgestiegen, und Walther forderte
seinen jungen Begleiter auf, mit in seine Wohnung zu kommen, da er ihm
einen besonders schönen Kaktus zeigen müsse, der gerade eine Blüte geöffnet
habe. Justus trat ein, obwohl die Lieblingspflanzen des Professors eigentlich
nicht nach seinem Geschmack waren; im stillen dachte er: wenn ich in meiner
Wohnung ein Blumenbret hätte, dann dürften nur türkische Nelken, Levkoycn
und Goldlack draufstehen -- das sind meine Lieblingsblumen!

Walther zeigte ihm das seltsame Gewächs mit dem ganzen Stolze des
Liebhabers, dann ließ er sich schwer atmend auf seinem Sofa nieder. Ich
sauge an alt zu werden, sagte er seufzend, Spazierengehen und Treppensteigen
strengen mich an, und was am schlimmsten ist: mein Gedächtnis läßt mich, so
ost im Stich. Gestern Abend zum Exempel wollte ich mich auf einen Namen
besinnen, auf den Namen einer orientalischen Prinzessin, aber er wollte mir


Leila die Uatzenprinzessin

Als das Geführt vorüber war, konnte sich Justus nicht versagen, den Thor¬
schreiber nach den: Namen des vornehmen Reisenden zu fragen. Des Fürsten
Orlowski Durchlaucht, von seinen Gütern in Polen kommend, auf der Durch¬
reise gestern hier eingetroffen, antwortete der Schreiber und beugte sich wieder
über sein Register.

Auf der Grimmischen Gasse nahm das Gedränge zu. Einige Fracht¬
wagen, mit Meßgütern beladen und von Reitern eskortirt, bewegte» sich lang¬
sam und schwerfällig gegen den Markt hin, die Fuhrleute schrieen und fluchten,
und der Weibcl der Stadtsoldaten hatte Mühe, die Ordnung aufrecht zu er¬
halten. An der Ecke des Marktes standen ein paar Türken, die Pfeifen,
Tabak, Dolche und Rosenöl feilboten und gerade überlegten, wo sie heute
ihren Sorbet schlürfen sollten. Justus trat auf sie zu und redete sie in ihrer
Sprache an. Beide machten große Augen, dann aber sprachen sie so lebhaft
auf ihn ein, daß es ihm unmöglich wurde, sie zu verstehen oder den Strom
der Unterhaltung in das schmale Flußbett seiner Sprachkenntnisfe zu leiten.
Er verabschiedete sich daher mit einer Redensart und schritt dnrch die Me߬
budenreihen des Marktes seiner Wohnung zu.

Am Thore von „Küchenmeisters Hof" traf er mit dem Professor zu¬
sammen. Ist es wahr, junger Freund, daß Sie sich als Privatdozent für
Orientalia an unsrer Universität habilitiren wollen? Es hat mich sehr ge¬
stellt, das zu hören. Abgesehen von einer gesicherten Lebensstellung und einer
geregelten Beschäftigung bietet die akademische Laufbahn so unendlich viele
Annehmlichkeiten, daß ich Ihnen zu Ihrem Entschlüsse nur aufrichtig Glück
wünschen kann. Haben Sie übrigens gehört, daß Fürst Orlowski, der zur
Messe hergekommen ist, die gesamten Professores und Magistri zu einem großen
Schmause eingeladen hat? Ich bin persönlich kein Freund von solchen Ge¬
lagen, aber diesmal werde ich doch hingehen — dem Fürsten konnte ichs nicht
gut abschlagen.

Inzwischen waren sie die Treppe hinaufgestiegen, und Walther forderte
seinen jungen Begleiter auf, mit in seine Wohnung zu kommen, da er ihm
einen besonders schönen Kaktus zeigen müsse, der gerade eine Blüte geöffnet
habe. Justus trat ein, obwohl die Lieblingspflanzen des Professors eigentlich
nicht nach seinem Geschmack waren; im stillen dachte er: wenn ich in meiner
Wohnung ein Blumenbret hätte, dann dürften nur türkische Nelken, Levkoycn
und Goldlack draufstehen — das sind meine Lieblingsblumen!

Walther zeigte ihm das seltsame Gewächs mit dem ganzen Stolze des
Liebhabers, dann ließ er sich schwer atmend auf seinem Sofa nieder. Ich
sauge an alt zu werden, sagte er seufzend, Spazierengehen und Treppensteigen
strengen mich an, und was am schlimmsten ist: mein Gedächtnis läßt mich, so
ost im Stich. Gestern Abend zum Exempel wollte ich mich auf einen Namen
besinnen, auf den Namen einer orientalischen Prinzessin, aber er wollte mir


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[0284] Leila die Uatzenprinzessin Als das Geführt vorüber war, konnte sich Justus nicht versagen, den Thor¬ schreiber nach den: Namen des vornehmen Reisenden zu fragen. Des Fürsten Orlowski Durchlaucht, von seinen Gütern in Polen kommend, auf der Durch¬ reise gestern hier eingetroffen, antwortete der Schreiber und beugte sich wieder über sein Register. Auf der Grimmischen Gasse nahm das Gedränge zu. Einige Fracht¬ wagen, mit Meßgütern beladen und von Reitern eskortirt, bewegte» sich lang¬ sam und schwerfällig gegen den Markt hin, die Fuhrleute schrieen und fluchten, und der Weibcl der Stadtsoldaten hatte Mühe, die Ordnung aufrecht zu er¬ halten. An der Ecke des Marktes standen ein paar Türken, die Pfeifen, Tabak, Dolche und Rosenöl feilboten und gerade überlegten, wo sie heute ihren Sorbet schlürfen sollten. Justus trat auf sie zu und redete sie in ihrer Sprache an. Beide machten große Augen, dann aber sprachen sie so lebhaft auf ihn ein, daß es ihm unmöglich wurde, sie zu verstehen oder den Strom der Unterhaltung in das schmale Flußbett seiner Sprachkenntnisfe zu leiten. Er verabschiedete sich daher mit einer Redensart und schritt dnrch die Me߬ budenreihen des Marktes seiner Wohnung zu. Am Thore von „Küchenmeisters Hof" traf er mit dem Professor zu¬ sammen. Ist es wahr, junger Freund, daß Sie sich als Privatdozent für Orientalia an unsrer Universität habilitiren wollen? Es hat mich sehr ge¬ stellt, das zu hören. Abgesehen von einer gesicherten Lebensstellung und einer geregelten Beschäftigung bietet die akademische Laufbahn so unendlich viele Annehmlichkeiten, daß ich Ihnen zu Ihrem Entschlüsse nur aufrichtig Glück wünschen kann. Haben Sie übrigens gehört, daß Fürst Orlowski, der zur Messe hergekommen ist, die gesamten Professores und Magistri zu einem großen Schmause eingeladen hat? Ich bin persönlich kein Freund von solchen Ge¬ lagen, aber diesmal werde ich doch hingehen — dem Fürsten konnte ichs nicht gut abschlagen. Inzwischen waren sie die Treppe hinaufgestiegen, und Walther forderte seinen jungen Begleiter auf, mit in seine Wohnung zu kommen, da er ihm einen besonders schönen Kaktus zeigen müsse, der gerade eine Blüte geöffnet habe. Justus trat ein, obwohl die Lieblingspflanzen des Professors eigentlich nicht nach seinem Geschmack waren; im stillen dachte er: wenn ich in meiner Wohnung ein Blumenbret hätte, dann dürften nur türkische Nelken, Levkoycn und Goldlack draufstehen — das sind meine Lieblingsblumen! Walther zeigte ihm das seltsame Gewächs mit dem ganzen Stolze des Liebhabers, dann ließ er sich schwer atmend auf seinem Sofa nieder. Ich sauge an alt zu werden, sagte er seufzend, Spazierengehen und Treppensteigen strengen mich an, und was am schlimmsten ist: mein Gedächtnis läßt mich, so ost im Stich. Gestern Abend zum Exempel wollte ich mich auf einen Namen besinnen, auf den Namen einer orientalischen Prinzessin, aber er wollte mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/284>, abgerufen am 23.07.2024.