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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

harten dar: "Ruges deutsch-französische Jahrbücher sind gleich mit dem ersten
Heft wieder eingegangen, sie sind nicht in Deutschland hineinzubringen gewesen.
Ich sagte es ihm voraus. Übrigens ist dies erste Heft, das eben jetzt auf
meinem Tisch vor mir liegt, wahrhaft bövtisch. Ruges Ernst war ursprüng¬
lich ein lauterer, aber es hat sich so viel Bitterkeit hineingemischt, daß er
nicht allein kein Maß mehr hält, sondern auch kaum noch nach einem Ziele
fragt. So wenig Kunst und Wissenschaft als Religion soll noch bestehen, die
Geschichte soll bleiben und ihr Gehalt doch wegfallen -- ich könnte, obgleich
wir persönlich ganz gute Freunde sind, keine zwei Schritte mit diesen Leuten
gehen, denn sie treiben sich in lauter Widersprüchen herum und sehen gar nicht
ein, daß alles Politisiren und Weltbefreien doch nur Vorbereitung auf das
Leben, auf die Entwicklung der Kräfte und Organe für That und Genuß sein
kaun. Ich sagte ihm neulich: die Welt, die Sie aufbauen, wird über kurz
oder lang auch wieder in zwei Parteien zerfallen, in die der Gejagten und
der Jagenden, denn die Menschen werden sich in Ihrem Stande so vermehren,
daß sie sich notwendig selbst auffressen müssen, und dann haben wir wieder
eine Aristokratie, die frißt, und einen Pöbel, der gefressen wird. Doch ent¬
halten diese Jahrbücher zwei ausgezeichnete Aufsatze von einem Preußen,
Friedrich Engels in Manchester: die Lage Englands und Kritik der National¬
ökonomie, wovon namentlich der letztere die ungeheure Unstttlichkeit, worauf
aller Handel der Welt basirt ist, bloßlegt. Für mein letztes Drama "Zu
irgend einer Zeit" hatte ich mir nebst andern Konsequenzen, die mit
der Zeit aus der jetzigen Weltlage hervorgehen, auch die notirt, daß,
so wie jetzt die Kindesmvrdenuuen bestraft werden, sie dann eine Beloh¬
nung erhalte", und daß Staatsanstalten eristiren müßten, worin die Kinder
der Pauperisten getötet würden. Es steht in meiner Schreibtafel. Zu meinem
größten Erstaunen lernte ich nun aus dem Engelsschen Aufsatz, daß der be¬
rühmte Nationalökvnom Mnlthus dies schon wirklich in Vorschlag gebracht,
meine Phantasie ulsv zur Nachhinkeriu seines Verstandes gemacht hat. Es
war mir lieb, denn ich sehe doch daraus, daß ich unser jetziges soziales Prinzip
richtig gefaßt habe." ') Von diesen finstern und verzweifelten Phantasien war
es ein weiter Weg zu den mannhaften Worten des königlichen Kaufherrn in
.Mutter und Kind":


Man spricht von roten Gespenstern,
Die man mit Pulver und Blei verscheuchen müsse. Sie sind wohl
Noch viel leichter zu bannen: man gebe ihnen zu essen.
Und anstatt die Erde in unersättlicher Geldgier
AuSzuschmelzen und dann als Schlacke liegen zu lasse",
Wie es ein Rothschild thut, bestelle man Wüsten und weise
Ihnen die Äcker an! Das heißt sich selber beschützen!


' ') An Elise Lensing: Paris, den 2. April 1844.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

harten dar: „Ruges deutsch-französische Jahrbücher sind gleich mit dem ersten
Heft wieder eingegangen, sie sind nicht in Deutschland hineinzubringen gewesen.
Ich sagte es ihm voraus. Übrigens ist dies erste Heft, das eben jetzt auf
meinem Tisch vor mir liegt, wahrhaft bövtisch. Ruges Ernst war ursprüng¬
lich ein lauterer, aber es hat sich so viel Bitterkeit hineingemischt, daß er
nicht allein kein Maß mehr hält, sondern auch kaum noch nach einem Ziele
fragt. So wenig Kunst und Wissenschaft als Religion soll noch bestehen, die
Geschichte soll bleiben und ihr Gehalt doch wegfallen — ich könnte, obgleich
wir persönlich ganz gute Freunde sind, keine zwei Schritte mit diesen Leuten
gehen, denn sie treiben sich in lauter Widersprüchen herum und sehen gar nicht
ein, daß alles Politisiren und Weltbefreien doch nur Vorbereitung auf das
Leben, auf die Entwicklung der Kräfte und Organe für That und Genuß sein
kaun. Ich sagte ihm neulich: die Welt, die Sie aufbauen, wird über kurz
oder lang auch wieder in zwei Parteien zerfallen, in die der Gejagten und
der Jagenden, denn die Menschen werden sich in Ihrem Stande so vermehren,
daß sie sich notwendig selbst auffressen müssen, und dann haben wir wieder
eine Aristokratie, die frißt, und einen Pöbel, der gefressen wird. Doch ent¬
halten diese Jahrbücher zwei ausgezeichnete Aufsatze von einem Preußen,
Friedrich Engels in Manchester: die Lage Englands und Kritik der National¬
ökonomie, wovon namentlich der letztere die ungeheure Unstttlichkeit, worauf
aller Handel der Welt basirt ist, bloßlegt. Für mein letztes Drama »Zu
irgend einer Zeit« hatte ich mir nebst andern Konsequenzen, die mit
der Zeit aus der jetzigen Weltlage hervorgehen, auch die notirt, daß,
so wie jetzt die Kindesmvrdenuuen bestraft werden, sie dann eine Beloh¬
nung erhalte», und daß Staatsanstalten eristiren müßten, worin die Kinder
der Pauperisten getötet würden. Es steht in meiner Schreibtafel. Zu meinem
größten Erstaunen lernte ich nun aus dem Engelsschen Aufsatz, daß der be¬
rühmte Nationalökvnom Mnlthus dies schon wirklich in Vorschlag gebracht,
meine Phantasie ulsv zur Nachhinkeriu seines Verstandes gemacht hat. Es
war mir lieb, denn ich sehe doch daraus, daß ich unser jetziges soziales Prinzip
richtig gefaßt habe." ') Von diesen finstern und verzweifelten Phantasien war
es ein weiter Weg zu den mannhaften Worten des königlichen Kaufherrn in
.Mutter und Kind":


Man spricht von roten Gespenstern,
Die man mit Pulver und Blei verscheuchen müsse. Sie sind wohl
Noch viel leichter zu bannen: man gebe ihnen zu essen.
Und anstatt die Erde in unersättlicher Geldgier
AuSzuschmelzen und dann als Schlacke liegen zu lasse»,
Wie es ein Rothschild thut, bestelle man Wüsten und weise
Ihnen die Äcker an! Das heißt sich selber beschützen!


' ') An Elise Lensing: Paris, den 2. April 1844.
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[0276] Friedrich Hebbels Briefwechsel harten dar: „Ruges deutsch-französische Jahrbücher sind gleich mit dem ersten Heft wieder eingegangen, sie sind nicht in Deutschland hineinzubringen gewesen. Ich sagte es ihm voraus. Übrigens ist dies erste Heft, das eben jetzt auf meinem Tisch vor mir liegt, wahrhaft bövtisch. Ruges Ernst war ursprüng¬ lich ein lauterer, aber es hat sich so viel Bitterkeit hineingemischt, daß er nicht allein kein Maß mehr hält, sondern auch kaum noch nach einem Ziele fragt. So wenig Kunst und Wissenschaft als Religion soll noch bestehen, die Geschichte soll bleiben und ihr Gehalt doch wegfallen — ich könnte, obgleich wir persönlich ganz gute Freunde sind, keine zwei Schritte mit diesen Leuten gehen, denn sie treiben sich in lauter Widersprüchen herum und sehen gar nicht ein, daß alles Politisiren und Weltbefreien doch nur Vorbereitung auf das Leben, auf die Entwicklung der Kräfte und Organe für That und Genuß sein kaun. Ich sagte ihm neulich: die Welt, die Sie aufbauen, wird über kurz oder lang auch wieder in zwei Parteien zerfallen, in die der Gejagten und der Jagenden, denn die Menschen werden sich in Ihrem Stande so vermehren, daß sie sich notwendig selbst auffressen müssen, und dann haben wir wieder eine Aristokratie, die frißt, und einen Pöbel, der gefressen wird. Doch ent¬ halten diese Jahrbücher zwei ausgezeichnete Aufsatze von einem Preußen, Friedrich Engels in Manchester: die Lage Englands und Kritik der National¬ ökonomie, wovon namentlich der letztere die ungeheure Unstttlichkeit, worauf aller Handel der Welt basirt ist, bloßlegt. Für mein letztes Drama »Zu irgend einer Zeit« hatte ich mir nebst andern Konsequenzen, die mit der Zeit aus der jetzigen Weltlage hervorgehen, auch die notirt, daß, so wie jetzt die Kindesmvrdenuuen bestraft werden, sie dann eine Beloh¬ nung erhalte», und daß Staatsanstalten eristiren müßten, worin die Kinder der Pauperisten getötet würden. Es steht in meiner Schreibtafel. Zu meinem größten Erstaunen lernte ich nun aus dem Engelsschen Aufsatz, daß der be¬ rühmte Nationalökvnom Mnlthus dies schon wirklich in Vorschlag gebracht, meine Phantasie ulsv zur Nachhinkeriu seines Verstandes gemacht hat. Es war mir lieb, denn ich sehe doch daraus, daß ich unser jetziges soziales Prinzip richtig gefaßt habe." ') Von diesen finstern und verzweifelten Phantasien war es ein weiter Weg zu den mannhaften Worten des königlichen Kaufherrn in .Mutter und Kind": Man spricht von roten Gespenstern, Die man mit Pulver und Blei verscheuchen müsse. Sie sind wohl Noch viel leichter zu bannen: man gebe ihnen zu essen. Und anstatt die Erde in unersättlicher Geldgier AuSzuschmelzen und dann als Schlacke liegen zu lasse», Wie es ein Rothschild thut, bestelle man Wüsten und weise Ihnen die Äcker an! Das heißt sich selber beschützen! ' ') An Elise Lensing: Paris, den 2. April 1844.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/276>, abgerufen am 23.07.2024.