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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich hebbels Briefwechsel

"Wenn ich gesund wäre, ich befände mich dann schon beim Herzog von
Augustenburg und würde mich ihm zur Verfügung gestellt haben." Nach
alledem unterliegt es nicht dein leisesten Zweifel, daß er, wenn nicht schon
186t>, so doch 1870 durch den Gang der Ereignisse nicht nur völlig befriedigt,
sondern im Innersten beglückt worden wäre, daß er, wenn er vollends den
Abschluß des neuen Bündnisses mit Österreich erlebt hätte, dem Fürsten Bis-
marck ein hochragendes poetisches Denkmal errichtet haben würde.

Von der Schärfe und Sicherheit seines Urteils über die augenblicklichen
Weltverhältnisse, wo ihm kein Nebel jahrelanger Umgebungen und lokaler
Traditionen das Auge trübte, sind mir ein paar lebendige Erinnerungen ge¬
blieben. Im Frühling 1861 fiel an fürstlicher Tafel die Rede auf die wenige
Mvnnte zuvor verkündigte österreichische Februarverfassnng. Hebbel verhielt
sich ausfallend schweigsam und ward zuletzt gedrängt, seine Meinung zu sagen.
Er suchte sich anfangs hinter der Versicherung zu verschanzen, daß er sich
über diese schwerwiegende Frage noch keine Meinung gebildet habe. Da man
ihm aber das Gegenteil ansah oder sonst abmerkte, so erhob er endlich die
Stimme und sagte in seiner eigentümlich eindringlichen Weise: "Niemals ist
ein Wechsel in so unbedingter Treue, ihn einlösen zu wollen, ausgestellt worden,
als diese Verfassung. Dennoch -- wird der Wechsel nicht eingelöst werden.
Zu einer rechtsgiltigeu Zahlung gehört nicht bloß die Solvenz des Ausstellers,
das ist in diesem Fall die Krone, sondern auch der Wille dessen, der bezahlt
werden soll. Wie ernst es auch dem Kaiser von Österreich sein mag, seinem
Reiche diese Verfassung zu gewähren, so ist es einem Teil der österreichischen
Völker noch viel mehr Ernst, die Verfassung nicht zu nehmen, also wird der
Wechsel uneingelöst bleiben." Im folgenden Herbst (Ende August 1862) war
ich mit Hebbel in einer Dresdner Gesellschaft, in der große Erregung über
Garibaldis eben angetretnen Freischarenzug auf Rom herrschte. "Sie werden
sehen, wie rasch die Komödie zu Ende geht," sagte Hebbel mit einem Lächeln,
hinter dem ein Wetter drohte. "Das heißt, Gnribaldi wird in einigen Tagen
nuf dem Kapitol sein?" fragte der Hausherr, dem dieser Ausgang mehr als
wünschenswert erschien. "Er wird das .Kapital nicht betreten!" versetzte Hebbel
mit Nachdruck. "Ich nehme an, daß der König von Italien ihm Truppen
entgegenschicken wird, für die der Fahneneid etwas andres bedeutet, als für
die erbärmlichen Soldaten des Königs von Neapel, die noch dazu von einem
Teil ihrer Offiziere verraten waren. Warten Sie einige Tage, und Sie werden
sehen, wie der große Römerzug Garibaldis endet." Es trat ein peinliches
Schweigen ein, und ich sah mehr als einen über den Glauben Hebbels an die
Fahnentreue der Soldaten Viktor Emanuels lächeln. Aber um folgenden
Mittag brachte der Telegraph die Kunde von dem Gefecht bei Aspromonte,
der Verwundung und Gefangennahme Garibaldis.

Schon die "Tagebücher" Hebbels hatten es klar gezeigt, daß er in einer


Grenzten it 189o
Friedrich hebbels Briefwechsel

„Wenn ich gesund wäre, ich befände mich dann schon beim Herzog von
Augustenburg und würde mich ihm zur Verfügung gestellt haben." Nach
alledem unterliegt es nicht dein leisesten Zweifel, daß er, wenn nicht schon
186t>, so doch 1870 durch den Gang der Ereignisse nicht nur völlig befriedigt,
sondern im Innersten beglückt worden wäre, daß er, wenn er vollends den
Abschluß des neuen Bündnisses mit Österreich erlebt hätte, dem Fürsten Bis-
marck ein hochragendes poetisches Denkmal errichtet haben würde.

Von der Schärfe und Sicherheit seines Urteils über die augenblicklichen
Weltverhältnisse, wo ihm kein Nebel jahrelanger Umgebungen und lokaler
Traditionen das Auge trübte, sind mir ein paar lebendige Erinnerungen ge¬
blieben. Im Frühling 1861 fiel an fürstlicher Tafel die Rede auf die wenige
Mvnnte zuvor verkündigte österreichische Februarverfassnng. Hebbel verhielt
sich ausfallend schweigsam und ward zuletzt gedrängt, seine Meinung zu sagen.
Er suchte sich anfangs hinter der Versicherung zu verschanzen, daß er sich
über diese schwerwiegende Frage noch keine Meinung gebildet habe. Da man
ihm aber das Gegenteil ansah oder sonst abmerkte, so erhob er endlich die
Stimme und sagte in seiner eigentümlich eindringlichen Weise: „Niemals ist
ein Wechsel in so unbedingter Treue, ihn einlösen zu wollen, ausgestellt worden,
als diese Verfassung. Dennoch — wird der Wechsel nicht eingelöst werden.
Zu einer rechtsgiltigeu Zahlung gehört nicht bloß die Solvenz des Ausstellers,
das ist in diesem Fall die Krone, sondern auch der Wille dessen, der bezahlt
werden soll. Wie ernst es auch dem Kaiser von Österreich sein mag, seinem
Reiche diese Verfassung zu gewähren, so ist es einem Teil der österreichischen
Völker noch viel mehr Ernst, die Verfassung nicht zu nehmen, also wird der
Wechsel uneingelöst bleiben." Im folgenden Herbst (Ende August 1862) war
ich mit Hebbel in einer Dresdner Gesellschaft, in der große Erregung über
Garibaldis eben angetretnen Freischarenzug auf Rom herrschte. „Sie werden
sehen, wie rasch die Komödie zu Ende geht," sagte Hebbel mit einem Lächeln,
hinter dem ein Wetter drohte. „Das heißt, Gnribaldi wird in einigen Tagen
nuf dem Kapitol sein?" fragte der Hausherr, dem dieser Ausgang mehr als
wünschenswert erschien. „Er wird das .Kapital nicht betreten!" versetzte Hebbel
mit Nachdruck. „Ich nehme an, daß der König von Italien ihm Truppen
entgegenschicken wird, für die der Fahneneid etwas andres bedeutet, als für
die erbärmlichen Soldaten des Königs von Neapel, die noch dazu von einem
Teil ihrer Offiziere verraten waren. Warten Sie einige Tage, und Sie werden
sehen, wie der große Römerzug Garibaldis endet." Es trat ein peinliches
Schweigen ein, und ich sah mehr als einen über den Glauben Hebbels an die
Fahnentreue der Soldaten Viktor Emanuels lächeln. Aber um folgenden
Mittag brachte der Telegraph die Kunde von dem Gefecht bei Aspromonte,
der Verwundung und Gefangennahme Garibaldis.

Schon die „Tagebücher" Hebbels hatten es klar gezeigt, daß er in einer


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[0274] Friedrich hebbels Briefwechsel „Wenn ich gesund wäre, ich befände mich dann schon beim Herzog von Augustenburg und würde mich ihm zur Verfügung gestellt haben." Nach alledem unterliegt es nicht dein leisesten Zweifel, daß er, wenn nicht schon 186t>, so doch 1870 durch den Gang der Ereignisse nicht nur völlig befriedigt, sondern im Innersten beglückt worden wäre, daß er, wenn er vollends den Abschluß des neuen Bündnisses mit Österreich erlebt hätte, dem Fürsten Bis- marck ein hochragendes poetisches Denkmal errichtet haben würde. Von der Schärfe und Sicherheit seines Urteils über die augenblicklichen Weltverhältnisse, wo ihm kein Nebel jahrelanger Umgebungen und lokaler Traditionen das Auge trübte, sind mir ein paar lebendige Erinnerungen ge¬ blieben. Im Frühling 1861 fiel an fürstlicher Tafel die Rede auf die wenige Mvnnte zuvor verkündigte österreichische Februarverfassnng. Hebbel verhielt sich ausfallend schweigsam und ward zuletzt gedrängt, seine Meinung zu sagen. Er suchte sich anfangs hinter der Versicherung zu verschanzen, daß er sich über diese schwerwiegende Frage noch keine Meinung gebildet habe. Da man ihm aber das Gegenteil ansah oder sonst abmerkte, so erhob er endlich die Stimme und sagte in seiner eigentümlich eindringlichen Weise: „Niemals ist ein Wechsel in so unbedingter Treue, ihn einlösen zu wollen, ausgestellt worden, als diese Verfassung. Dennoch — wird der Wechsel nicht eingelöst werden. Zu einer rechtsgiltigeu Zahlung gehört nicht bloß die Solvenz des Ausstellers, das ist in diesem Fall die Krone, sondern auch der Wille dessen, der bezahlt werden soll. Wie ernst es auch dem Kaiser von Österreich sein mag, seinem Reiche diese Verfassung zu gewähren, so ist es einem Teil der österreichischen Völker noch viel mehr Ernst, die Verfassung nicht zu nehmen, also wird der Wechsel uneingelöst bleiben." Im folgenden Herbst (Ende August 1862) war ich mit Hebbel in einer Dresdner Gesellschaft, in der große Erregung über Garibaldis eben angetretnen Freischarenzug auf Rom herrschte. „Sie werden sehen, wie rasch die Komödie zu Ende geht," sagte Hebbel mit einem Lächeln, hinter dem ein Wetter drohte. „Das heißt, Gnribaldi wird in einigen Tagen nuf dem Kapitol sein?" fragte der Hausherr, dem dieser Ausgang mehr als wünschenswert erschien. „Er wird das .Kapital nicht betreten!" versetzte Hebbel mit Nachdruck. „Ich nehme an, daß der König von Italien ihm Truppen entgegenschicken wird, für die der Fahneneid etwas andres bedeutet, als für die erbärmlichen Soldaten des Königs von Neapel, die noch dazu von einem Teil ihrer Offiziere verraten waren. Warten Sie einige Tage, und Sie werden sehen, wie der große Römerzug Garibaldis endet." Es trat ein peinliches Schweigen ein, und ich sah mehr als einen über den Glauben Hebbels an die Fahnentreue der Soldaten Viktor Emanuels lächeln. Aber um folgenden Mittag brachte der Telegraph die Kunde von dem Gefecht bei Aspromonte, der Verwundung und Gefangennahme Garibaldis. Schon die „Tagebücher" Hebbels hatten es klar gezeigt, daß er in einer Grenzten it 189o

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/274>, abgerufen am 23.07.2024.