Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Theodor von Bernhard!? Jugenderiimerungeil

Well ihm ein Zivilist, kein General den preußisch-italienischen Feldzugsplan
Moltkes verständlich machen sollte; handelt das deutsche Publikum nicht noch
schlimmer, wenn es die Schilderung der Schlacht bei Waterloo, die Bernhardt,
nach Moltke "der bedeutendste militärische Schriftsteller der Neuzeit," seiner Ge¬
schichte Rußlands einverleibt hat, ungelesen läßt?

Der Direktor des Friedrichs- lspäter Friedrichswerderschen) Gymnasiums
in Berlin, August Ferdinand Bernhardi, war mit Sophie, einer Schwester seines
Freundes Ludwig Tieck verheiratet. Warum die Ehe unglücklich war, sieht man
mit einiger Deutlichkeit aus den vor kurzem (im Verlage von S. Hirzel in Leipzig)
erschienenen Jugenderinnerungen Theodor von Bernhardis, ihres
jüngsten Sohnes. Bernhardi nahm einerseits teil an den litterarischen Bestre¬
bungen der Romantiker, andrerseits war er aber ein philosophisch und philo¬
logisch hochgebildeter Gelehrter. Was seine schöngeistigen Leistungen anlangt,
so mochte sich seine schreibselige Gattin ihm für ebenbürtig halten -- von
seiner wissenschaftlichen Bedeutung scheint sie keine Ahnung gehabt zu haben,
da sie, nach verschiednen Äußerungen des Sohnes in seinen Erinnerungen zu
urteilen, bei allem Geist und aller Gewandtheit doch eigentlich nur wenig Kennt¬
nisse hatte; hatte sie doch "eigentlich nie zusammenhängend gearbeitet, in ihrer
Lektüre nie einen bestimmten Zweck verfolgt, immer mir aufgenommen, was
ihr gefiel und zusagte; und wie einerseits die romantische Richtung, der man¬
gelnde Sinn für die Realität, hatte andrerseits wohl auch dieser Mangel an
Kenntnissen dahin geführt, daß sie sich eine solche willkürliche Welt der Phan¬
tasie schuf, in der sie lebte." So erklärt es sich denn leicht, daß ihr die Welt-
umseglung des Admirals Krusenstern zum Entsetzen des Sohnes nur ein un¬
nützes "Herumrntschen" war; "was kommt dabei heraus, ruft sie aus, wenn
einer nach dem andern um die Erde rutscht?"

Bernhardi selbst hatte freilich auch -- wenigstens im amtlichen Leben --
Eigenschaften, die ihn einer solchen Frau nicht sehr empfehlen mochten. Er
trug im linken Rockärmel stets einen Rohrstock, den er, wie einer seiner Schüler
erzählt, mit einer wahren Virtuosität gegen die empfindlichsten Teile des Ober¬
leibes handhabte; ja er erschien jeden Morgen, Winter wie Sommer, um sieben
Uhr im Konferenzzimmer des Gymnasiums und brachte den Rohrstock an den
Delinquenten des vorigen Tages in einer Art von Massenabprügelung zur
Anwendung.

Mau meint aus den Äußerungen der Mutter gegen den Sohn den Nach¬
klang ihrer Empfindungen dem Gelehrten gegenüber herauszuhören, den sie in
ihrer Oberflächlichkeit -- so hatte sie mit den andern Romantikern für Dante
geschwärmt, ohne je einen Buchstaben von ihm gelesen zu haben, und war, als
sie etwas von ihm kennen lernte, "nichts weniger als befriedigt" -- nicht ver¬
stand, und dessen rauhe Außenseite sie abstoßen konnte: sie schilderte dem
^ohne die Welt als bestehend aus brutalen Männern, die ihre Frauen alß-


Theodor von Bernhard!? Jugenderiimerungeil

Well ihm ein Zivilist, kein General den preußisch-italienischen Feldzugsplan
Moltkes verständlich machen sollte; handelt das deutsche Publikum nicht noch
schlimmer, wenn es die Schilderung der Schlacht bei Waterloo, die Bernhardt,
nach Moltke „der bedeutendste militärische Schriftsteller der Neuzeit," seiner Ge¬
schichte Rußlands einverleibt hat, ungelesen läßt?

Der Direktor des Friedrichs- lspäter Friedrichswerderschen) Gymnasiums
in Berlin, August Ferdinand Bernhardi, war mit Sophie, einer Schwester seines
Freundes Ludwig Tieck verheiratet. Warum die Ehe unglücklich war, sieht man
mit einiger Deutlichkeit aus den vor kurzem (im Verlage von S. Hirzel in Leipzig)
erschienenen Jugenderinnerungen Theodor von Bernhardis, ihres
jüngsten Sohnes. Bernhardi nahm einerseits teil an den litterarischen Bestre¬
bungen der Romantiker, andrerseits war er aber ein philosophisch und philo¬
logisch hochgebildeter Gelehrter. Was seine schöngeistigen Leistungen anlangt,
so mochte sich seine schreibselige Gattin ihm für ebenbürtig halten — von
seiner wissenschaftlichen Bedeutung scheint sie keine Ahnung gehabt zu haben,
da sie, nach verschiednen Äußerungen des Sohnes in seinen Erinnerungen zu
urteilen, bei allem Geist und aller Gewandtheit doch eigentlich nur wenig Kennt¬
nisse hatte; hatte sie doch „eigentlich nie zusammenhängend gearbeitet, in ihrer
Lektüre nie einen bestimmten Zweck verfolgt, immer mir aufgenommen, was
ihr gefiel und zusagte; und wie einerseits die romantische Richtung, der man¬
gelnde Sinn für die Realität, hatte andrerseits wohl auch dieser Mangel an
Kenntnissen dahin geführt, daß sie sich eine solche willkürliche Welt der Phan¬
tasie schuf, in der sie lebte." So erklärt es sich denn leicht, daß ihr die Welt-
umseglung des Admirals Krusenstern zum Entsetzen des Sohnes nur ein un¬
nützes „Herumrntschen" war; „was kommt dabei heraus, ruft sie aus, wenn
einer nach dem andern um die Erde rutscht?"

Bernhardi selbst hatte freilich auch — wenigstens im amtlichen Leben —
Eigenschaften, die ihn einer solchen Frau nicht sehr empfehlen mochten. Er
trug im linken Rockärmel stets einen Rohrstock, den er, wie einer seiner Schüler
erzählt, mit einer wahren Virtuosität gegen die empfindlichsten Teile des Ober¬
leibes handhabte; ja er erschien jeden Morgen, Winter wie Sommer, um sieben
Uhr im Konferenzzimmer des Gymnasiums und brachte den Rohrstock an den
Delinquenten des vorigen Tages in einer Art von Massenabprügelung zur
Anwendung.

Mau meint aus den Äußerungen der Mutter gegen den Sohn den Nach¬
klang ihrer Empfindungen dem Gelehrten gegenüber herauszuhören, den sie in
ihrer Oberflächlichkeit — so hatte sie mit den andern Romantikern für Dante
geschwärmt, ohne je einen Buchstaben von ihm gelesen zu haben, und war, als
sie etwas von ihm kennen lernte, „nichts weniger als befriedigt" — nicht ver¬
stand, und dessen rauhe Außenseite sie abstoßen konnte: sie schilderte dem
^ohne die Welt als bestehend aus brutalen Männern, die ihre Frauen alß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214717"/>
          <fw type="header" place="top"> Theodor von Bernhard!? Jugenderiimerungeil</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" prev="#ID_1009"> Well ihm ein Zivilist, kein General den preußisch-italienischen Feldzugsplan<lb/>
Moltkes verständlich machen sollte; handelt das deutsche Publikum nicht noch<lb/>
schlimmer, wenn es die Schilderung der Schlacht bei Waterloo, die Bernhardt,<lb/>
nach Moltke &#x201E;der bedeutendste militärische Schriftsteller der Neuzeit," seiner Ge¬<lb/>
schichte Rußlands einverleibt hat, ungelesen läßt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011"> Der Direktor des Friedrichs- lspäter Friedrichswerderschen) Gymnasiums<lb/>
in Berlin, August Ferdinand Bernhardi, war mit Sophie, einer Schwester seines<lb/>
Freundes Ludwig Tieck verheiratet. Warum die Ehe unglücklich war, sieht man<lb/>
mit einiger Deutlichkeit aus den vor kurzem (im Verlage von S. Hirzel in Leipzig)<lb/>
erschienenen Jugenderinnerungen Theodor von Bernhardis, ihres<lb/>
jüngsten Sohnes. Bernhardi nahm einerseits teil an den litterarischen Bestre¬<lb/>
bungen der Romantiker, andrerseits war er aber ein philosophisch und philo¬<lb/>
logisch hochgebildeter Gelehrter. Was seine schöngeistigen Leistungen anlangt,<lb/>
so mochte sich seine schreibselige Gattin ihm für ebenbürtig halten &#x2014; von<lb/>
seiner wissenschaftlichen Bedeutung scheint sie keine Ahnung gehabt zu haben,<lb/>
da sie, nach verschiednen Äußerungen des Sohnes in seinen Erinnerungen zu<lb/>
urteilen, bei allem Geist und aller Gewandtheit doch eigentlich nur wenig Kennt¬<lb/>
nisse hatte; hatte sie doch &#x201E;eigentlich nie zusammenhängend gearbeitet, in ihrer<lb/>
Lektüre nie einen bestimmten Zweck verfolgt, immer mir aufgenommen, was<lb/>
ihr gefiel und zusagte; und wie einerseits die romantische Richtung, der man¬<lb/>
gelnde Sinn für die Realität, hatte andrerseits wohl auch dieser Mangel an<lb/>
Kenntnissen dahin geführt, daß sie sich eine solche willkürliche Welt der Phan¬<lb/>
tasie schuf, in der sie lebte." So erklärt es sich denn leicht, daß ihr die Welt-<lb/>
umseglung des Admirals Krusenstern zum Entsetzen des Sohnes nur ein un¬<lb/>
nützes &#x201E;Herumrntschen" war; &#x201E;was kommt dabei heraus, ruft sie aus, wenn<lb/>
einer nach dem andern um die Erde rutscht?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Bernhardi selbst hatte freilich auch &#x2014; wenigstens im amtlichen Leben &#x2014;<lb/>
Eigenschaften, die ihn einer solchen Frau nicht sehr empfehlen mochten. Er<lb/>
trug im linken Rockärmel stets einen Rohrstock, den er, wie einer seiner Schüler<lb/>
erzählt, mit einer wahren Virtuosität gegen die empfindlichsten Teile des Ober¬<lb/>
leibes handhabte; ja er erschien jeden Morgen, Winter wie Sommer, um sieben<lb/>
Uhr im Konferenzzimmer des Gymnasiums und brachte den Rohrstock an den<lb/>
Delinquenten des vorigen Tages in einer Art von Massenabprügelung zur<lb/>
Anwendung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> Mau meint aus den Äußerungen der Mutter gegen den Sohn den Nach¬<lb/>
klang ihrer Empfindungen dem Gelehrten gegenüber herauszuhören, den sie in<lb/>
ihrer Oberflächlichkeit &#x2014; so hatte sie mit den andern Romantikern für Dante<lb/>
geschwärmt, ohne je einen Buchstaben von ihm gelesen zu haben, und war, als<lb/>
sie etwas von ihm kennen lernte, &#x201E;nichts weniger als befriedigt" &#x2014; nicht ver¬<lb/>
stand, und dessen rauhe Außenseite sie abstoßen konnte: sie schilderte dem<lb/>
^ohne die Welt als bestehend aus brutalen Männern, die ihre Frauen alß-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Theodor von Bernhard!? Jugenderiimerungeil Well ihm ein Zivilist, kein General den preußisch-italienischen Feldzugsplan Moltkes verständlich machen sollte; handelt das deutsche Publikum nicht noch schlimmer, wenn es die Schilderung der Schlacht bei Waterloo, die Bernhardt, nach Moltke „der bedeutendste militärische Schriftsteller der Neuzeit," seiner Ge¬ schichte Rußlands einverleibt hat, ungelesen läßt? Der Direktor des Friedrichs- lspäter Friedrichswerderschen) Gymnasiums in Berlin, August Ferdinand Bernhardi, war mit Sophie, einer Schwester seines Freundes Ludwig Tieck verheiratet. Warum die Ehe unglücklich war, sieht man mit einiger Deutlichkeit aus den vor kurzem (im Verlage von S. Hirzel in Leipzig) erschienenen Jugenderinnerungen Theodor von Bernhardis, ihres jüngsten Sohnes. Bernhardi nahm einerseits teil an den litterarischen Bestre¬ bungen der Romantiker, andrerseits war er aber ein philosophisch und philo¬ logisch hochgebildeter Gelehrter. Was seine schöngeistigen Leistungen anlangt, so mochte sich seine schreibselige Gattin ihm für ebenbürtig halten — von seiner wissenschaftlichen Bedeutung scheint sie keine Ahnung gehabt zu haben, da sie, nach verschiednen Äußerungen des Sohnes in seinen Erinnerungen zu urteilen, bei allem Geist und aller Gewandtheit doch eigentlich nur wenig Kennt¬ nisse hatte; hatte sie doch „eigentlich nie zusammenhängend gearbeitet, in ihrer Lektüre nie einen bestimmten Zweck verfolgt, immer mir aufgenommen, was ihr gefiel und zusagte; und wie einerseits die romantische Richtung, der man¬ gelnde Sinn für die Realität, hatte andrerseits wohl auch dieser Mangel an Kenntnissen dahin geführt, daß sie sich eine solche willkürliche Welt der Phan¬ tasie schuf, in der sie lebte." So erklärt es sich denn leicht, daß ihr die Welt- umseglung des Admirals Krusenstern zum Entsetzen des Sohnes nur ein un¬ nützes „Herumrntschen" war; „was kommt dabei heraus, ruft sie aus, wenn einer nach dem andern um die Erde rutscht?" Bernhardi selbst hatte freilich auch — wenigstens im amtlichen Leben — Eigenschaften, die ihn einer solchen Frau nicht sehr empfehlen mochten. Er trug im linken Rockärmel stets einen Rohrstock, den er, wie einer seiner Schüler erzählt, mit einer wahren Virtuosität gegen die empfindlichsten Teile des Ober¬ leibes handhabte; ja er erschien jeden Morgen, Winter wie Sommer, um sieben Uhr im Konferenzzimmer des Gymnasiums und brachte den Rohrstock an den Delinquenten des vorigen Tages in einer Art von Massenabprügelung zur Anwendung. Mau meint aus den Äußerungen der Mutter gegen den Sohn den Nach¬ klang ihrer Empfindungen dem Gelehrten gegenüber herauszuhören, den sie in ihrer Oberflächlichkeit — so hatte sie mit den andern Romantikern für Dante geschwärmt, ohne je einen Buchstaben von ihm gelesen zu haben, und war, als sie etwas von ihm kennen lernte, „nichts weniger als befriedigt" — nicht ver¬ stand, und dessen rauhe Außenseite sie abstoßen konnte: sie schilderte dem ^ohne die Welt als bestehend aus brutalen Männern, die ihre Frauen alß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/262>, abgerufen am 26.08.2024.