Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Innere Kolonisation einerseits der Klassengegensatz gemildert, andrerseits jeder Arbeiter und kleine Kleine und mittlere Besitzungen sind aber eben zur Zeit im Osten nicht Innere Kolonisation einerseits der Klassengegensatz gemildert, andrerseits jeder Arbeiter und kleine Kleine und mittlere Besitzungen sind aber eben zur Zeit im Osten nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214711"/> <fw type="header" place="top"> Innere Kolonisation</fw><lb/> <p xml:id="ID_994" prev="#ID_993"> einerseits der Klassengegensatz gemildert, andrerseits jeder Arbeiter und kleine<lb/> Besitzer zur Anspannung aller seiner Kräfte getrieben und so die wirtschaftliche<lb/> und technische Entwicklung am wirksamsten gefördert werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_995" next="#ID_996"> Kleine und mittlere Besitzungen sind aber eben zur Zeit im Osten nicht<lb/> in genügender Zahl vorhanden. Die Statistik giebt nur über die Zahl der<lb/> Betriebe genaue Auskunft, uicht über die der Besitzer, unter denen sich doch<lb/> manche große befinden, denen mehrere oder viele Betriebe, verpachtete Güter,<lb/> gehören. Die kleinen und mittler» Betriebe (unter 100 Hektar) umfassen im<lb/> Westen 88,15, im Osten nur 55,98 Prozent der landwirtschaftlich benutzten Fläche.<lb/> Wenn der Verfasser meint, unter allen östlichen Provinzen erfreue sich Branden-<lb/> burg noch der gesündesten Besitzverteilnng, die von Schlesien aber sür ganz<lb/> besonders ungünstig hält, so scheint er einen Punkt übersehen zu haben, den<lb/> er beim Vergleich des Ostens mit dem Westen im allgemeinen ausdrücklich<lb/> hervorhebt. Er sagt ganz richtig, daß Besitzungen gleicher Ausdehnung des<lb/> intensivem Betriebes wegen im Westen eine ganz andre Bedeutung haben ath-<lb/> un Osten; nur würden wir lieber sagen, des bessern Bodens und Klimas wegen.<lb/> Deal nicht deswegen trägt der Boden im Rheingau Wein, weil er intensiver<lb/> bearbeitet wird als eine märkische Kiefernrodung, sondern deswegen wird er<lb/> intensiver bearbeitet, weil mau Wein und uicht bloß Kartoffeln darauf ziehen<lb/> kaun. Nun glaubt Gering, im Osten seien alle Wirtschaften unter 5 Hektar<lb/> uttselbständig, d. h. nicht hinreichend, ihren Besitzer ohne Nebenerwerb zu er¬<lb/> nähren. Das trifft aber für Schlesien nicht zu. Erst dieser Tage haben wir<lb/> einen kleinen Wirt kennen gelernt, der 4 Morgen, noch dazu uicht ganz schulden¬<lb/> freien, eignen Acker und 4 Morgen Pachtacker bearbeitet und ohne Neben¬<lb/> verdienst mit Frau und drei erwachsenen, noch im Hause befindlichen Kindern<lb/> anständig davon lebt. Er hat allerdings eine Stadt in der Nähe, wo er sein<lb/> Gemüse und die Milch seiner zwei Kühe verwerten kann, aber sein Gütchen<lb/> liegt noch nicht in der besten Gegend Schlesiens, wo das Gemüse von bester<lb/> Beschaffenheit ist und den höchsten Preis erzielt. Wenn Gering schreibt, in<lb/> Schlesien und Posen befänden sich unter den Stellen zwischen 5 und 20 Hektar<lb/> unverhältnismäßig viel unselbständige Wirtschaften, so kann das mit Be¬<lb/> gehung auf Schlesien höchstens für die rechte Oberseite zutreffen; auf der linken<lb/> ist gar nicht daran zu denken, daß ein Kleinbauer von 10 Hektar, der sich<lb/> schon ein Pferd hält, für eine Nebenbeschäftigung Zeit übrig hätte oder gar<lb/> auf Tagearbeit ginge. Die brandenburgischen Landwirte sind allerdings durch<lb/> die Nähe des besten Absatzmarktes der ganzen Monarchie vor allen andern<lb/> Provinzen bevorzugt, und Schlesien fängt an, unter der übermäßigen Aus¬<lb/> dehnung seiner stetig wachsenden Magnatenherrschaften zu leiden, aber wenn<lb/> der Verfasser rechnet: „Schlesien und Posen haben unter allen östlichen Pro¬<lb/> vinzen im Verhältnis zu ihrer landwirtschaftlichen Bevölkerung die geringste.<lb/> Brandenburg dagegen hat nächst Ostpreußen die höchste Zahl und Ausdehnung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0256]
Innere Kolonisation
einerseits der Klassengegensatz gemildert, andrerseits jeder Arbeiter und kleine
Besitzer zur Anspannung aller seiner Kräfte getrieben und so die wirtschaftliche
und technische Entwicklung am wirksamsten gefördert werden.
Kleine und mittlere Besitzungen sind aber eben zur Zeit im Osten nicht
in genügender Zahl vorhanden. Die Statistik giebt nur über die Zahl der
Betriebe genaue Auskunft, uicht über die der Besitzer, unter denen sich doch
manche große befinden, denen mehrere oder viele Betriebe, verpachtete Güter,
gehören. Die kleinen und mittler» Betriebe (unter 100 Hektar) umfassen im
Westen 88,15, im Osten nur 55,98 Prozent der landwirtschaftlich benutzten Fläche.
Wenn der Verfasser meint, unter allen östlichen Provinzen erfreue sich Branden-
burg noch der gesündesten Besitzverteilnng, die von Schlesien aber sür ganz
besonders ungünstig hält, so scheint er einen Punkt übersehen zu haben, den
er beim Vergleich des Ostens mit dem Westen im allgemeinen ausdrücklich
hervorhebt. Er sagt ganz richtig, daß Besitzungen gleicher Ausdehnung des
intensivem Betriebes wegen im Westen eine ganz andre Bedeutung haben ath-
un Osten; nur würden wir lieber sagen, des bessern Bodens und Klimas wegen.
Deal nicht deswegen trägt der Boden im Rheingau Wein, weil er intensiver
bearbeitet wird als eine märkische Kiefernrodung, sondern deswegen wird er
intensiver bearbeitet, weil mau Wein und uicht bloß Kartoffeln darauf ziehen
kaun. Nun glaubt Gering, im Osten seien alle Wirtschaften unter 5 Hektar
uttselbständig, d. h. nicht hinreichend, ihren Besitzer ohne Nebenerwerb zu er¬
nähren. Das trifft aber für Schlesien nicht zu. Erst dieser Tage haben wir
einen kleinen Wirt kennen gelernt, der 4 Morgen, noch dazu uicht ganz schulden¬
freien, eignen Acker und 4 Morgen Pachtacker bearbeitet und ohne Neben¬
verdienst mit Frau und drei erwachsenen, noch im Hause befindlichen Kindern
anständig davon lebt. Er hat allerdings eine Stadt in der Nähe, wo er sein
Gemüse und die Milch seiner zwei Kühe verwerten kann, aber sein Gütchen
liegt noch nicht in der besten Gegend Schlesiens, wo das Gemüse von bester
Beschaffenheit ist und den höchsten Preis erzielt. Wenn Gering schreibt, in
Schlesien und Posen befänden sich unter den Stellen zwischen 5 und 20 Hektar
unverhältnismäßig viel unselbständige Wirtschaften, so kann das mit Be¬
gehung auf Schlesien höchstens für die rechte Oberseite zutreffen; auf der linken
ist gar nicht daran zu denken, daß ein Kleinbauer von 10 Hektar, der sich
schon ein Pferd hält, für eine Nebenbeschäftigung Zeit übrig hätte oder gar
auf Tagearbeit ginge. Die brandenburgischen Landwirte sind allerdings durch
die Nähe des besten Absatzmarktes der ganzen Monarchie vor allen andern
Provinzen bevorzugt, und Schlesien fängt an, unter der übermäßigen Aus¬
dehnung seiner stetig wachsenden Magnatenherrschaften zu leiden, aber wenn
der Verfasser rechnet: „Schlesien und Posen haben unter allen östlichen Pro¬
vinzen im Verhältnis zu ihrer landwirtschaftlichen Bevölkerung die geringste.
Brandenburg dagegen hat nächst Ostpreußen die höchste Zahl und Ausdehnung
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