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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

seiner wunderbaren Persönlichkeit nicht lösen, so legen sie doch klar alle Fäden
dar, die von diesem Knoten auslaufen, und lassen uns die Rückwirkungen
einer großen Welt und einer bewegten Zeit auf einen Dichter erkennen, der
in frühester Jugend schon den Kreis seiner Teilnahme und seiner Darstellung
so weit spannte, wie es eben der große Dramatiker vermag, der "die Welt
mit allen Lebensströmen und von Gott an bis zum unseligsten Narren her¬
unter" umfassen wollte. Man kann im einzelnen kaum anfangen, den Wert
dieser Briefe zu charcikterisiren. Den vollen Genuß beim Lesen des Briefwechsels
werden natürlich nur die haben, die ein deutliches Bild der Litteraturentwicklung
und des litterarischen Lebens in Deutschland während des Menschenalters
zwischen 1830 und 1870 schon in sich tragen; die Mehrzahl der Briefe
Friedrich Hebbels selbst hingegen kann oder könnte taufenden lieb werden.
Denn was an tiefster Ursprünglichkeit, an Welt- und Kunsteinsicht, an Stim¬
mungskraft und echter Lebensweisheit in diesen Briefen waltet, die zugleich
großenteils stilistische Meisterstücke sind, das erhebt sich weit über den zufälligem
Anlaß der Aussprache, das hat Anspruch auf Dauer und lebendige Nach¬
wirkung, wie nur irgend ein Dichterwerk.

Das Lieblingsthema Hebbels in seinen Briefen war und blieb die Poesie,
mit der er selbst stand und fiel, und deren tiefste Geheimnisse zu ergründen er
niemals müde wurde. Durch ganze Briefreihen (an Felix Bamberg, an Emil
Kuh, an Siegmund Engländer, an Friedrich von Üchtritz, an diesen vorzugs¬
weise, an Fr. Th. Rötscher) und durch zahllose einzelne Briefe ziehen sich die
Erörterungen, die Winke, die kurzen schlagenden Äußerungen, die kraftvollen
Bilder, die wie emporflammende Lichter bald ein Stück seines eignen Schaffens
beleuchten, bald auf den tiefsten Grund fremder Schöpfungen hinabsehen lassen.
Hebbel war in jllngern Jahren geneigt -- seine Briefe bestätigen es hundert¬
fältig --, die Zweifel zu teilen, ob sich in Betrachtung der allgemeinen Welt¬
verhältnisse in unsrer Zeit ein Künstler völlig entwickeln könne. Von der
Idee des Absoluten beherrscht ("das Vorzüglichste ist in allen Kreisen gebracht,
es kann höchstens noch einmal gebracht werden, und das ist gar nicht not¬
wendig. Wem es um Selbstachtung zu thun ist. der muß strenger und un¬
nachsichtiger gegen sich sein, als es jemals ein Autor war. Versuche und
Experimente sind verächtlich in einer Zeit, wo selbst das Vorzügliche keinen
Anspruch machen darf"schien er sich das Verdammungsurteil über jeden
Anlauf, der mit kürzeren Atem als dem seinigen erfolgte, gleichsam vor¬
zubehalten, und noch um die Zeit seiner Niederlassung in Wien erklärte
^' "Ich bin überzeugt, daß es keiner, auch bei reichster Ausstattung,
weiter als bis zur monumentalen Bedeutung bringt. Wenn sie (Gervinus
und Bischer) aber behaupten, daß keine Künstler mehr vorhanden seien, daß



') An Elise Lensing; München, 12. Dezember 1838.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

seiner wunderbaren Persönlichkeit nicht lösen, so legen sie doch klar alle Fäden
dar, die von diesem Knoten auslaufen, und lassen uns die Rückwirkungen
einer großen Welt und einer bewegten Zeit auf einen Dichter erkennen, der
in frühester Jugend schon den Kreis seiner Teilnahme und seiner Darstellung
so weit spannte, wie es eben der große Dramatiker vermag, der „die Welt
mit allen Lebensströmen und von Gott an bis zum unseligsten Narren her¬
unter" umfassen wollte. Man kann im einzelnen kaum anfangen, den Wert
dieser Briefe zu charcikterisiren. Den vollen Genuß beim Lesen des Briefwechsels
werden natürlich nur die haben, die ein deutliches Bild der Litteraturentwicklung
und des litterarischen Lebens in Deutschland während des Menschenalters
zwischen 1830 und 1870 schon in sich tragen; die Mehrzahl der Briefe
Friedrich Hebbels selbst hingegen kann oder könnte taufenden lieb werden.
Denn was an tiefster Ursprünglichkeit, an Welt- und Kunsteinsicht, an Stim¬
mungskraft und echter Lebensweisheit in diesen Briefen waltet, die zugleich
großenteils stilistische Meisterstücke sind, das erhebt sich weit über den zufälligem
Anlaß der Aussprache, das hat Anspruch auf Dauer und lebendige Nach¬
wirkung, wie nur irgend ein Dichterwerk.

Das Lieblingsthema Hebbels in seinen Briefen war und blieb die Poesie,
mit der er selbst stand und fiel, und deren tiefste Geheimnisse zu ergründen er
niemals müde wurde. Durch ganze Briefreihen (an Felix Bamberg, an Emil
Kuh, an Siegmund Engländer, an Friedrich von Üchtritz, an diesen vorzugs¬
weise, an Fr. Th. Rötscher) und durch zahllose einzelne Briefe ziehen sich die
Erörterungen, die Winke, die kurzen schlagenden Äußerungen, die kraftvollen
Bilder, die wie emporflammende Lichter bald ein Stück seines eignen Schaffens
beleuchten, bald auf den tiefsten Grund fremder Schöpfungen hinabsehen lassen.
Hebbel war in jllngern Jahren geneigt — seine Briefe bestätigen es hundert¬
fältig —, die Zweifel zu teilen, ob sich in Betrachtung der allgemeinen Welt¬
verhältnisse in unsrer Zeit ein Künstler völlig entwickeln könne. Von der
Idee des Absoluten beherrscht („das Vorzüglichste ist in allen Kreisen gebracht,
es kann höchstens noch einmal gebracht werden, und das ist gar nicht not¬
wendig. Wem es um Selbstachtung zu thun ist. der muß strenger und un¬
nachsichtiger gegen sich sein, als es jemals ein Autor war. Versuche und
Experimente sind verächtlich in einer Zeit, wo selbst das Vorzügliche keinen
Anspruch machen darf"schien er sich das Verdammungsurteil über jeden
Anlauf, der mit kürzeren Atem als dem seinigen erfolgte, gleichsam vor¬
zubehalten, und noch um die Zeit seiner Niederlassung in Wien erklärte
^' „Ich bin überzeugt, daß es keiner, auch bei reichster Ausstattung,
weiter als bis zur monumentalen Bedeutung bringt. Wenn sie (Gervinus
und Bischer) aber behaupten, daß keine Künstler mehr vorhanden seien, daß



') An Elise Lensing; München, 12. Dezember 1838.
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[0228] Friedrich Hebbels Briefwechsel seiner wunderbaren Persönlichkeit nicht lösen, so legen sie doch klar alle Fäden dar, die von diesem Knoten auslaufen, und lassen uns die Rückwirkungen einer großen Welt und einer bewegten Zeit auf einen Dichter erkennen, der in frühester Jugend schon den Kreis seiner Teilnahme und seiner Darstellung so weit spannte, wie es eben der große Dramatiker vermag, der „die Welt mit allen Lebensströmen und von Gott an bis zum unseligsten Narren her¬ unter" umfassen wollte. Man kann im einzelnen kaum anfangen, den Wert dieser Briefe zu charcikterisiren. Den vollen Genuß beim Lesen des Briefwechsels werden natürlich nur die haben, die ein deutliches Bild der Litteraturentwicklung und des litterarischen Lebens in Deutschland während des Menschenalters zwischen 1830 und 1870 schon in sich tragen; die Mehrzahl der Briefe Friedrich Hebbels selbst hingegen kann oder könnte taufenden lieb werden. Denn was an tiefster Ursprünglichkeit, an Welt- und Kunsteinsicht, an Stim¬ mungskraft und echter Lebensweisheit in diesen Briefen waltet, die zugleich großenteils stilistische Meisterstücke sind, das erhebt sich weit über den zufälligem Anlaß der Aussprache, das hat Anspruch auf Dauer und lebendige Nach¬ wirkung, wie nur irgend ein Dichterwerk. Das Lieblingsthema Hebbels in seinen Briefen war und blieb die Poesie, mit der er selbst stand und fiel, und deren tiefste Geheimnisse zu ergründen er niemals müde wurde. Durch ganze Briefreihen (an Felix Bamberg, an Emil Kuh, an Siegmund Engländer, an Friedrich von Üchtritz, an diesen vorzugs¬ weise, an Fr. Th. Rötscher) und durch zahllose einzelne Briefe ziehen sich die Erörterungen, die Winke, die kurzen schlagenden Äußerungen, die kraftvollen Bilder, die wie emporflammende Lichter bald ein Stück seines eignen Schaffens beleuchten, bald auf den tiefsten Grund fremder Schöpfungen hinabsehen lassen. Hebbel war in jllngern Jahren geneigt — seine Briefe bestätigen es hundert¬ fältig —, die Zweifel zu teilen, ob sich in Betrachtung der allgemeinen Welt¬ verhältnisse in unsrer Zeit ein Künstler völlig entwickeln könne. Von der Idee des Absoluten beherrscht („das Vorzüglichste ist in allen Kreisen gebracht, es kann höchstens noch einmal gebracht werden, und das ist gar nicht not¬ wendig. Wem es um Selbstachtung zu thun ist. der muß strenger und un¬ nachsichtiger gegen sich sein, als es jemals ein Autor war. Versuche und Experimente sind verächtlich in einer Zeit, wo selbst das Vorzügliche keinen Anspruch machen darf"schien er sich das Verdammungsurteil über jeden Anlauf, der mit kürzeren Atem als dem seinigen erfolgte, gleichsam vor¬ zubehalten, und noch um die Zeit seiner Niederlassung in Wien erklärte ^' „Ich bin überzeugt, daß es keiner, auch bei reichster Ausstattung, weiter als bis zur monumentalen Bedeutung bringt. Wenn sie (Gervinus und Bischer) aber behaupten, daß keine Künstler mehr vorhanden seien, daß ') An Elise Lensing; München, 12. Dezember 1838.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/228>, abgerufen am 23.07.2024.