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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldatennot

reichender Geldmittel; aber dazu ist leider bei der augenblicklichen Finanzlage
keine Aussicht.

Ein Notstand für den Unteroffizier und den gemeinen Soldaten ist in
gewisser Beziehung auch dann vorhanden, wenn er das Unglück hat, krank zu
werden. Nicht daß etwa die Einrichtung unsrer Militärlazarette, die Fähig¬
keit der darin thätigen Ärzte bemängelt werden soll; wenn in letztrer Beziehung
noch immer manches bittere Wort im Volke gehört wird, so ist dazu wahrlich
keine Berechtigung mehr vorhanden. Gewissenlose Ärzte wird es auch hie und
da unter den Militärärzten geben, genau so wie es schlechte Juristen, Lehrer,
Geistliche giebt; aber mau verallgemeinere nicht, wenn ein einzelner Fall be¬
kannt geworden ist. Ein Punkt aber wird nur zu sehr auch von sonst tüchtigen
Ärzten übersehen: nämlich das; der Soldat nicht bloß einen Körper hat, der
möglichst bald zur Leistung des Dienstes wieder gesund zu machen ist, sondern
auch einen Geist, der Nahrung und Sättigung braucht. Zwar soll die Lange¬
weile des Kranken nach weit verbreiteter Meinung ein günstiges Zeichen der
nahenden Genesung sein; aber übertrieben darf sie sich nicht bemerklich machen.
Etwas Lektüre sollte jedem Kranken im Lazarett, wenn nicht ganz bestimmte
Gründe dagegen sprechen, unter allen Umstünden ermöglicht sein. Und in
dieser Beziehung spotten die Zustände in unsern größten Lazaretten jeder
Beschreibung! Ich bin durch mein Amt oft in die Krankensüle geführt worden,
fast ausnahmslos hatten die Soldaten nichts zu lesen. Auf die Frage, wie
lange das schon der Fall sei, wurde sehr oft geantwortet: seit mehreren Wochen!
Von zuständiger Seite wird hier ohne viel Besinnen erwidert werden: das ist
nicht wahr! Aber ebenso bestimmt erwidere ich: es ist buchstäblich wahr!
Eine Lazarettbibliothek ist allerdings vorhanden, denn die Friedenssanitäts¬
ordnung schreibt sie vor; aber es ist jammervoll, wie arm sie ist. Garnison¬
lazarette, die durchschnittlich hundert Kranke und mehr aufnehmen müssen,
erhalten nicht mehr als dreißig, höchstens fünfzig Mark jährlich aus Staats¬
mitteln zugewiesen, um ihre Bibliothek zu erhalten und zu vermehren. Es
liegt auf der Hand, daß dieser Betrag nicht ausreichen kann, wenn davon
einige wenige periodisch erscheinende Blätter bezahlt und das Einbinden der
schadhaft gewordnen Bände besorgt werden soll. Die Folge davon ist, daß
ängstlich darauf geachtet wird, daß ja kein Buch beschädigt wird. Aber das
ist doch nun einmal nicht zu vermeiden; denn das einzige Buch, das vielleicht
einmal von einem barmherzigen Stationsuntervffizier oder Lazarettgehilfen
einem Kranken gegeben wird, wandert dann von Bett zu Bett; nach acht
Tagen sieht es natürlich schlimm aus! Der Lazarettgehilfe, der den Umtausch
besorgt, wird vom Inspektor angefahren; die Folge haben die Kranken zu
tragen; denn dieser Lazarettgehilfe hat seine Erfahrungen gemacht und sein
Grundsatz heißt nun: von mir wird kein Buch wieder in Umlauf gesetzt.
Schließlich steht die kleine vorhcmdne Bibliothek schön geordnet im Schrank,


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reichender Geldmittel; aber dazu ist leider bei der augenblicklichen Finanzlage
keine Aussicht.

Ein Notstand für den Unteroffizier und den gemeinen Soldaten ist in
gewisser Beziehung auch dann vorhanden, wenn er das Unglück hat, krank zu
werden. Nicht daß etwa die Einrichtung unsrer Militärlazarette, die Fähig¬
keit der darin thätigen Ärzte bemängelt werden soll; wenn in letztrer Beziehung
noch immer manches bittere Wort im Volke gehört wird, so ist dazu wahrlich
keine Berechtigung mehr vorhanden. Gewissenlose Ärzte wird es auch hie und
da unter den Militärärzten geben, genau so wie es schlechte Juristen, Lehrer,
Geistliche giebt; aber mau verallgemeinere nicht, wenn ein einzelner Fall be¬
kannt geworden ist. Ein Punkt aber wird nur zu sehr auch von sonst tüchtigen
Ärzten übersehen: nämlich das; der Soldat nicht bloß einen Körper hat, der
möglichst bald zur Leistung des Dienstes wieder gesund zu machen ist, sondern
auch einen Geist, der Nahrung und Sättigung braucht. Zwar soll die Lange¬
weile des Kranken nach weit verbreiteter Meinung ein günstiges Zeichen der
nahenden Genesung sein; aber übertrieben darf sie sich nicht bemerklich machen.
Etwas Lektüre sollte jedem Kranken im Lazarett, wenn nicht ganz bestimmte
Gründe dagegen sprechen, unter allen Umstünden ermöglicht sein. Und in
dieser Beziehung spotten die Zustände in unsern größten Lazaretten jeder
Beschreibung! Ich bin durch mein Amt oft in die Krankensüle geführt worden,
fast ausnahmslos hatten die Soldaten nichts zu lesen. Auf die Frage, wie
lange das schon der Fall sei, wurde sehr oft geantwortet: seit mehreren Wochen!
Von zuständiger Seite wird hier ohne viel Besinnen erwidert werden: das ist
nicht wahr! Aber ebenso bestimmt erwidere ich: es ist buchstäblich wahr!
Eine Lazarettbibliothek ist allerdings vorhanden, denn die Friedenssanitäts¬
ordnung schreibt sie vor; aber es ist jammervoll, wie arm sie ist. Garnison¬
lazarette, die durchschnittlich hundert Kranke und mehr aufnehmen müssen,
erhalten nicht mehr als dreißig, höchstens fünfzig Mark jährlich aus Staats¬
mitteln zugewiesen, um ihre Bibliothek zu erhalten und zu vermehren. Es
liegt auf der Hand, daß dieser Betrag nicht ausreichen kann, wenn davon
einige wenige periodisch erscheinende Blätter bezahlt und das Einbinden der
schadhaft gewordnen Bände besorgt werden soll. Die Folge davon ist, daß
ängstlich darauf geachtet wird, daß ja kein Buch beschädigt wird. Aber das
ist doch nun einmal nicht zu vermeiden; denn das einzige Buch, das vielleicht
einmal von einem barmherzigen Stationsuntervffizier oder Lazarettgehilfen
einem Kranken gegeben wird, wandert dann von Bett zu Bett; nach acht
Tagen sieht es natürlich schlimm aus! Der Lazarettgehilfe, der den Umtausch
besorgt, wird vom Inspektor angefahren; die Folge haben die Kranken zu
tragen; denn dieser Lazarettgehilfe hat seine Erfahrungen gemacht und sein
Grundsatz heißt nun: von mir wird kein Buch wieder in Umlauf gesetzt.
Schließlich steht die kleine vorhcmdne Bibliothek schön geordnet im Schrank,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/18>, abgerufen am 03.07.2024.