Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage

Rittergutsbesitzer gerecht und billig ist, kann für die Barone der Großindustrie
nicht ungerecht sein. Wer das nicht vertragen kann, der mag seinen Betrieb
rechtzeitig einstellen -- ein Rat, den die Herren Richter und Nickert schon hundert¬
mal den klagenden Grundbesitzern des Ostens erteilt haben. Der Staat hat
ebenso wenig das Recht wie die Pflicht, die Menschenopfer, die die Gro߬
industrie schafft, ihr abzunehmen und auf die Schultern des Volks abzuwälzen.
Viel richtiger erscheint es uns, die Großindustrie der einzelnen Provinzen ge¬
setzlich zu einem gemeinsamen Arbeiterhilfsverband unter öffentlicher Kontrolle
zu vereinen und dadurch ihre Arbeitermassen gegen vorübergehende Arbeits¬
stockungen sicherzustellen.

Noch erübrigt es, die Frage zu untersuchen, ob und wie die bestehende
Kluft zwischen Kapital und Arbeit, zwischen "Arbeitgebern" und Arbeitern
überbrückt werden soll.

Herr Bebel wird mit dieser Frage leicht fertig, er konfiszirt das Kapital
und macht die Besitzer zu besitzlosen Arbeitern. Das bedeutet aber nichts
weniger, als die Lösung in einem allgemeinen Blutbad suchen, dessen Aus¬
gang die Welt auf die niedrigsten Kulturstufen zurückschrauben würde, denn
mit dem Eigentum hat jede Kultur erst begonnen. Herr Bebel leugnet dies
zwar und will alles von der "natürlichen Entwicklung" erwarten. Herr Lieb¬
knecht war ehrlich genug, einzugestehen, daß die natürliche Entwicklung einer
kleinen sozialdemokratischen Nachhilfe bedürfen würde, die selbstverständlich nur
darin bestehen kann, daß Besitzer, die ihr Eigentum nicht freiwillig hergeben
wollen, durch Gewalt davon befreit werden. Denn selbstverständlich ist kein
Sozialdemokrat so einfältig, anzunehmen, daß die Klasse der Besitzenden, die
Gott sei Dank die überwiegende Mehrheit des Volkes bilden, ihr mühsam er-
rungnes Eigentum gutwillig hergeben und um die Herren Nichtbesitzer über¬
lassen werden. Wer es haben will, der mag nur kommen, um es zu nehmen:
er wird mit blutigem Kopfe zurückgewiesen werden. Der Säbel und die Kugel
werden schließlich entscheiden. Wie diese Entscheidung aber ausfallen wird,
das kann bei dem Zahlenverhältnis der Besitzenden und der Nichtbesitzenden
nicht zweifelhaft sein. Den Besitzern kann es jederzeit recht sein, wenn der
Versuch gemacht wird -- er würde die besitzende Welt auf Menschenalter
hinaus von allen sozialdemokratischen Schmerzen befreien. Wenn daher die
besitzende Klasse ihre Lebensaufgabe daransetzt, den Kampf zu vermeiden, so
geschieht es wahrhaftig nicht in ihrem Interesse, sondern im Interesse der
armen Gimpel, die auf die Bebelsche Leimrute gegangen sind.

Das alles ist so selbstverständlich, daß es fast lächerlich erscheinen kann,
wenn man darüber noch ein Wort verliert. Die große reaktionäre Bande, wie
die Herren Svzialdemokmten die besitzenden Klassen zu tituliren belieben, müßte
wirklich bis ins letzte Mark verdorrt sein, wenn sie mit Herrn Bebel und seinen
jungen und alten Anhängern der neuesten Wissenschaft nicht leicht fertig werden


Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage

Rittergutsbesitzer gerecht und billig ist, kann für die Barone der Großindustrie
nicht ungerecht sein. Wer das nicht vertragen kann, der mag seinen Betrieb
rechtzeitig einstellen — ein Rat, den die Herren Richter und Nickert schon hundert¬
mal den klagenden Grundbesitzern des Ostens erteilt haben. Der Staat hat
ebenso wenig das Recht wie die Pflicht, die Menschenopfer, die die Gro߬
industrie schafft, ihr abzunehmen und auf die Schultern des Volks abzuwälzen.
Viel richtiger erscheint es uns, die Großindustrie der einzelnen Provinzen ge¬
setzlich zu einem gemeinsamen Arbeiterhilfsverband unter öffentlicher Kontrolle
zu vereinen und dadurch ihre Arbeitermassen gegen vorübergehende Arbeits¬
stockungen sicherzustellen.

Noch erübrigt es, die Frage zu untersuchen, ob und wie die bestehende
Kluft zwischen Kapital und Arbeit, zwischen „Arbeitgebern" und Arbeitern
überbrückt werden soll.

Herr Bebel wird mit dieser Frage leicht fertig, er konfiszirt das Kapital
und macht die Besitzer zu besitzlosen Arbeitern. Das bedeutet aber nichts
weniger, als die Lösung in einem allgemeinen Blutbad suchen, dessen Aus¬
gang die Welt auf die niedrigsten Kulturstufen zurückschrauben würde, denn
mit dem Eigentum hat jede Kultur erst begonnen. Herr Bebel leugnet dies
zwar und will alles von der „natürlichen Entwicklung" erwarten. Herr Lieb¬
knecht war ehrlich genug, einzugestehen, daß die natürliche Entwicklung einer
kleinen sozialdemokratischen Nachhilfe bedürfen würde, die selbstverständlich nur
darin bestehen kann, daß Besitzer, die ihr Eigentum nicht freiwillig hergeben
wollen, durch Gewalt davon befreit werden. Denn selbstverständlich ist kein
Sozialdemokrat so einfältig, anzunehmen, daß die Klasse der Besitzenden, die
Gott sei Dank die überwiegende Mehrheit des Volkes bilden, ihr mühsam er-
rungnes Eigentum gutwillig hergeben und um die Herren Nichtbesitzer über¬
lassen werden. Wer es haben will, der mag nur kommen, um es zu nehmen:
er wird mit blutigem Kopfe zurückgewiesen werden. Der Säbel und die Kugel
werden schließlich entscheiden. Wie diese Entscheidung aber ausfallen wird,
das kann bei dem Zahlenverhältnis der Besitzenden und der Nichtbesitzenden
nicht zweifelhaft sein. Den Besitzern kann es jederzeit recht sein, wenn der
Versuch gemacht wird — er würde die besitzende Welt auf Menschenalter
hinaus von allen sozialdemokratischen Schmerzen befreien. Wenn daher die
besitzende Klasse ihre Lebensaufgabe daransetzt, den Kampf zu vermeiden, so
geschieht es wahrhaftig nicht in ihrem Interesse, sondern im Interesse der
armen Gimpel, die auf die Bebelsche Leimrute gegangen sind.

Das alles ist so selbstverständlich, daß es fast lächerlich erscheinen kann,
wenn man darüber noch ein Wort verliert. Die große reaktionäre Bande, wie
die Herren Svzialdemokmten die besitzenden Klassen zu tituliren belieben, müßte
wirklich bis ins letzte Mark verdorrt sein, wenn sie mit Herrn Bebel und seinen
jungen und alten Anhängern der neuesten Wissenschaft nicht leicht fertig werden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214625"/>
          <fw type="header" place="top"> Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659"> Rittergutsbesitzer gerecht und billig ist, kann für die Barone der Großindustrie<lb/>
nicht ungerecht sein. Wer das nicht vertragen kann, der mag seinen Betrieb<lb/>
rechtzeitig einstellen &#x2014; ein Rat, den die Herren Richter und Nickert schon hundert¬<lb/>
mal den klagenden Grundbesitzern des Ostens erteilt haben. Der Staat hat<lb/>
ebenso wenig das Recht wie die Pflicht, die Menschenopfer, die die Gro߬<lb/>
industrie schafft, ihr abzunehmen und auf die Schultern des Volks abzuwälzen.<lb/>
Viel richtiger erscheint es uns, die Großindustrie der einzelnen Provinzen ge¬<lb/>
setzlich zu einem gemeinsamen Arbeiterhilfsverband unter öffentlicher Kontrolle<lb/>
zu vereinen und dadurch ihre Arbeitermassen gegen vorübergehende Arbeits¬<lb/>
stockungen sicherzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661"> Noch erübrigt es, die Frage zu untersuchen, ob und wie die bestehende<lb/>
Kluft zwischen Kapital und Arbeit, zwischen &#x201E;Arbeitgebern" und Arbeitern<lb/>
überbrückt werden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662"> Herr Bebel wird mit dieser Frage leicht fertig, er konfiszirt das Kapital<lb/>
und macht die Besitzer zu besitzlosen Arbeitern. Das bedeutet aber nichts<lb/>
weniger, als die Lösung in einem allgemeinen Blutbad suchen, dessen Aus¬<lb/>
gang die Welt auf die niedrigsten Kulturstufen zurückschrauben würde, denn<lb/>
mit dem Eigentum hat jede Kultur erst begonnen. Herr Bebel leugnet dies<lb/>
zwar und will alles von der &#x201E;natürlichen Entwicklung" erwarten. Herr Lieb¬<lb/>
knecht war ehrlich genug, einzugestehen, daß die natürliche Entwicklung einer<lb/>
kleinen sozialdemokratischen Nachhilfe bedürfen würde, die selbstverständlich nur<lb/>
darin bestehen kann, daß Besitzer, die ihr Eigentum nicht freiwillig hergeben<lb/>
wollen, durch Gewalt davon befreit werden. Denn selbstverständlich ist kein<lb/>
Sozialdemokrat so einfältig, anzunehmen, daß die Klasse der Besitzenden, die<lb/>
Gott sei Dank die überwiegende Mehrheit des Volkes bilden, ihr mühsam er-<lb/>
rungnes Eigentum gutwillig hergeben und um die Herren Nichtbesitzer über¬<lb/>
lassen werden. Wer es haben will, der mag nur kommen, um es zu nehmen:<lb/>
er wird mit blutigem Kopfe zurückgewiesen werden. Der Säbel und die Kugel<lb/>
werden schließlich entscheiden. Wie diese Entscheidung aber ausfallen wird,<lb/>
das kann bei dem Zahlenverhältnis der Besitzenden und der Nichtbesitzenden<lb/>
nicht zweifelhaft sein. Den Besitzern kann es jederzeit recht sein, wenn der<lb/>
Versuch gemacht wird &#x2014; er würde die besitzende Welt auf Menschenalter<lb/>
hinaus von allen sozialdemokratischen Schmerzen befreien. Wenn daher die<lb/>
besitzende Klasse ihre Lebensaufgabe daransetzt, den Kampf zu vermeiden, so<lb/>
geschieht es wahrhaftig nicht in ihrem Interesse, sondern im Interesse der<lb/>
armen Gimpel, die auf die Bebelsche Leimrute gegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_663" next="#ID_664"> Das alles ist so selbstverständlich, daß es fast lächerlich erscheinen kann,<lb/>
wenn man darüber noch ein Wort verliert. Die große reaktionäre Bande, wie<lb/>
die Herren Svzialdemokmten die besitzenden Klassen zu tituliren belieben, müßte<lb/>
wirklich bis ins letzte Mark verdorrt sein, wenn sie mit Herrn Bebel und seinen<lb/>
jungen und alten Anhängern der neuesten Wissenschaft nicht leicht fertig werden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage Rittergutsbesitzer gerecht und billig ist, kann für die Barone der Großindustrie nicht ungerecht sein. Wer das nicht vertragen kann, der mag seinen Betrieb rechtzeitig einstellen — ein Rat, den die Herren Richter und Nickert schon hundert¬ mal den klagenden Grundbesitzern des Ostens erteilt haben. Der Staat hat ebenso wenig das Recht wie die Pflicht, die Menschenopfer, die die Gro߬ industrie schafft, ihr abzunehmen und auf die Schultern des Volks abzuwälzen. Viel richtiger erscheint es uns, die Großindustrie der einzelnen Provinzen ge¬ setzlich zu einem gemeinsamen Arbeiterhilfsverband unter öffentlicher Kontrolle zu vereinen und dadurch ihre Arbeitermassen gegen vorübergehende Arbeits¬ stockungen sicherzustellen. Noch erübrigt es, die Frage zu untersuchen, ob und wie die bestehende Kluft zwischen Kapital und Arbeit, zwischen „Arbeitgebern" und Arbeitern überbrückt werden soll. Herr Bebel wird mit dieser Frage leicht fertig, er konfiszirt das Kapital und macht die Besitzer zu besitzlosen Arbeitern. Das bedeutet aber nichts weniger, als die Lösung in einem allgemeinen Blutbad suchen, dessen Aus¬ gang die Welt auf die niedrigsten Kulturstufen zurückschrauben würde, denn mit dem Eigentum hat jede Kultur erst begonnen. Herr Bebel leugnet dies zwar und will alles von der „natürlichen Entwicklung" erwarten. Herr Lieb¬ knecht war ehrlich genug, einzugestehen, daß die natürliche Entwicklung einer kleinen sozialdemokratischen Nachhilfe bedürfen würde, die selbstverständlich nur darin bestehen kann, daß Besitzer, die ihr Eigentum nicht freiwillig hergeben wollen, durch Gewalt davon befreit werden. Denn selbstverständlich ist kein Sozialdemokrat so einfältig, anzunehmen, daß die Klasse der Besitzenden, die Gott sei Dank die überwiegende Mehrheit des Volkes bilden, ihr mühsam er- rungnes Eigentum gutwillig hergeben und um die Herren Nichtbesitzer über¬ lassen werden. Wer es haben will, der mag nur kommen, um es zu nehmen: er wird mit blutigem Kopfe zurückgewiesen werden. Der Säbel und die Kugel werden schließlich entscheiden. Wie diese Entscheidung aber ausfallen wird, das kann bei dem Zahlenverhältnis der Besitzenden und der Nichtbesitzenden nicht zweifelhaft sein. Den Besitzern kann es jederzeit recht sein, wenn der Versuch gemacht wird — er würde die besitzende Welt auf Menschenalter hinaus von allen sozialdemokratischen Schmerzen befreien. Wenn daher die besitzende Klasse ihre Lebensaufgabe daransetzt, den Kampf zu vermeiden, so geschieht es wahrhaftig nicht in ihrem Interesse, sondern im Interesse der armen Gimpel, die auf die Bebelsche Leimrute gegangen sind. Das alles ist so selbstverständlich, daß es fast lächerlich erscheinen kann, wenn man darüber noch ein Wort verliert. Die große reaktionäre Bande, wie die Herren Svzialdemokmten die besitzenden Klassen zu tituliren belieben, müßte wirklich bis ins letzte Mark verdorrt sein, wenn sie mit Herrn Bebel und seinen jungen und alten Anhängern der neuesten Wissenschaft nicht leicht fertig werden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/169>, abgerufen am 03.07.2024.