Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage jener Thatsache kann vielmehr nur dahin führen, daß man den jetzigen poli¬ Wir fragen nun: Ist es möglich, an Stelle des gegenwärtigen Konsti¬ Wir erinnern zunächst an die frühere ständische Verfassung fast aller Inzwischen ist die soziale Entwicklung des Volkes so riesenhaft fort¬ Es liegt uns fern, auf diese ungeheuer wichtige Frage hier näher einzu¬ Die Monarchie wird durch diesen Gedanken in keiner Weise berührt. Viel¬ Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage jener Thatsache kann vielmehr nur dahin führen, daß man den jetzigen poli¬ Wir fragen nun: Ist es möglich, an Stelle des gegenwärtigen Konsti¬ Wir erinnern zunächst an die frühere ständische Verfassung fast aller Inzwischen ist die soziale Entwicklung des Volkes so riesenhaft fort¬ Es liegt uns fern, auf diese ungeheuer wichtige Frage hier näher einzu¬ Die Monarchie wird durch diesen Gedanken in keiner Weise berührt. Viel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214620"/> <fw type="header" place="top"> Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_639" prev="#ID_638"> jener Thatsache kann vielmehr nur dahin führen, daß man den jetzigen poli¬<lb/> tischen Scheinkonstitutionalismus beseitigt und zu einer wirklichen Volks¬<lb/> vertretung umgestaltet. Dann wird ihr auch das vom Fürsten Bismarck<lb/> vermißte feste Rückgrat nicht fehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_640"> Wir fragen nun: Ist es möglich, an Stelle des gegenwärtigen Konsti¬<lb/> tutionalismus eine wirksame Interessenvertretung des Volkes auf Grund der<lb/> heutige» Gesellschaftsklassen zu schaffen, und wie müßte diese beschaffen sein?<lb/> Wir glauben, daß mau diese Fragen ohne große Schwierigkeit mit ja beant¬<lb/> worte!? kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_641"> Wir erinnern zunächst an die frühere ständische Verfassung fast aller<lb/> dentschen Staate», deren Nachklänge sich auch heute noch in den verschiednen<lb/> Provinziell- und Kreisordnungen Preußens erkennen lassen. Alle diese ständischen<lb/> Verfassungen hatten zu ihrer Grundlage Interessenvertretung der damaligen<lb/> wirtschaftlichen Hauptgesellschnftsklasfcu: Ritterschaft, gewerbtreibende Städte<lb/> und landbautreibende Landbevölkerung. Diese alten Stände haben sich aller¬<lb/> dings überlebt, und es wäre unsinnig, ihren abgestorbnen Leib galvanisiren<lb/> und zu neuen Schöpfungen erwecken zu wollen. Der Grundgedanke jener<lb/> ständischen Verfassung aber ist hente noch eben so wahr wie früher, und wenn<lb/> sich die Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse auf dem gegebnen ge¬<lb/> schichtlichen Unterbau ruhig hätte weiter vollziehen können und nicht in den<lb/> Jahren 1830 und 1L48 gewaltsam durch fremde Einflüsse unterbrochen worden<lb/> wäre, so wären wir längst im Besitze dessen, was wir nun erst gedrängt von<lb/> der Not der Zeit wieder aufsuchen und aufbauen müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_642"> Inzwischen ist die soziale Entwicklung des Volkes so riesenhaft fort¬<lb/> geschritten, daß sich für die unvermeidlich gewordne Neugestaltung unsrer<lb/> Staats- und Gesellschaftsordnung schon jetzt die nötigen Unterlagen gewinnen<lb/> lassen. Unser Volk zerfüllt gegenwärtig im wesentlichen in folgende große<lb/> Berufsklassen: Großhandel und Großindustrie, Kleinhandel und Kleingewerbe,<lb/> Landbau, Kirche, Schule, Gelehrte, Beamte und Rentiers mit allen soge¬<lb/> nannten unproduktiven Berufsklassen, Arbeiterstand. Ihre Gruppirung ergiebt<lb/> die deutsche Berufsstatistik. Teilweise sind für diese Berufsklassen schon Or¬<lb/> ganisationen geschaffen; wir nennen z. B. die land- und forstwirtschaftliche<lb/> Unfallversicherung. Aus dieser Grundlage könnte eine wirksame Interessen-<lb/> vertretung aufgebaut werdeu, sobald ihre Notwendigkeit zur Rettung unsrer<lb/> haltlos gewordnen Zustände erst klar erkannt und den Massen zur Über¬<lb/> zeugung geworden wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_643"> Es liegt uns fern, auf diese ungeheuer wichtige Frage hier näher einzu¬<lb/> gehen. Mögen sich berufnere daran wagen. Nur einige allgemeine Be¬<lb/> merkungen möchten wir daran knüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_644" next="#ID_645"> Die Monarchie wird durch diesen Gedanken in keiner Weise berührt. Viel¬<lb/> mehr möchten wir hervorheben, daß sich staatliche und gesellschaftliche Neu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage
jener Thatsache kann vielmehr nur dahin führen, daß man den jetzigen poli¬
tischen Scheinkonstitutionalismus beseitigt und zu einer wirklichen Volks¬
vertretung umgestaltet. Dann wird ihr auch das vom Fürsten Bismarck
vermißte feste Rückgrat nicht fehlen.
Wir fragen nun: Ist es möglich, an Stelle des gegenwärtigen Konsti¬
tutionalismus eine wirksame Interessenvertretung des Volkes auf Grund der
heutige» Gesellschaftsklassen zu schaffen, und wie müßte diese beschaffen sein?
Wir glauben, daß mau diese Fragen ohne große Schwierigkeit mit ja beant¬
worte!? kann.
Wir erinnern zunächst an die frühere ständische Verfassung fast aller
dentschen Staate», deren Nachklänge sich auch heute noch in den verschiednen
Provinziell- und Kreisordnungen Preußens erkennen lassen. Alle diese ständischen
Verfassungen hatten zu ihrer Grundlage Interessenvertretung der damaligen
wirtschaftlichen Hauptgesellschnftsklasfcu: Ritterschaft, gewerbtreibende Städte
und landbautreibende Landbevölkerung. Diese alten Stände haben sich aller¬
dings überlebt, und es wäre unsinnig, ihren abgestorbnen Leib galvanisiren
und zu neuen Schöpfungen erwecken zu wollen. Der Grundgedanke jener
ständischen Verfassung aber ist hente noch eben so wahr wie früher, und wenn
sich die Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse auf dem gegebnen ge¬
schichtlichen Unterbau ruhig hätte weiter vollziehen können und nicht in den
Jahren 1830 und 1L48 gewaltsam durch fremde Einflüsse unterbrochen worden
wäre, so wären wir längst im Besitze dessen, was wir nun erst gedrängt von
der Not der Zeit wieder aufsuchen und aufbauen müssen.
Inzwischen ist die soziale Entwicklung des Volkes so riesenhaft fort¬
geschritten, daß sich für die unvermeidlich gewordne Neugestaltung unsrer
Staats- und Gesellschaftsordnung schon jetzt die nötigen Unterlagen gewinnen
lassen. Unser Volk zerfüllt gegenwärtig im wesentlichen in folgende große
Berufsklassen: Großhandel und Großindustrie, Kleinhandel und Kleingewerbe,
Landbau, Kirche, Schule, Gelehrte, Beamte und Rentiers mit allen soge¬
nannten unproduktiven Berufsklassen, Arbeiterstand. Ihre Gruppirung ergiebt
die deutsche Berufsstatistik. Teilweise sind für diese Berufsklassen schon Or¬
ganisationen geschaffen; wir nennen z. B. die land- und forstwirtschaftliche
Unfallversicherung. Aus dieser Grundlage könnte eine wirksame Interessen-
vertretung aufgebaut werdeu, sobald ihre Notwendigkeit zur Rettung unsrer
haltlos gewordnen Zustände erst klar erkannt und den Massen zur Über¬
zeugung geworden wäre.
Es liegt uns fern, auf diese ungeheuer wichtige Frage hier näher einzu¬
gehen. Mögen sich berufnere daran wagen. Nur einige allgemeine Be¬
merkungen möchten wir daran knüpfen.
Die Monarchie wird durch diesen Gedanken in keiner Weise berührt. Viel¬
mehr möchten wir hervorheben, daß sich staatliche und gesellschaftliche Neu-
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