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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die politische" Beziehungen Lhiuas

tation bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einschreiben lassen sollten. Der Ver¬
such einer vorherigen Verständigung mit der Regierung in Peking wurde nicht
beliebt, was die Chinesen nicht wenig aufbrachte. 8lo volumuZ, sie subsmus,
wir, das souveräne amerikanische Volk! Aber die Herren U^nkees hatten die
Rechnung ohne Berücksichtigung der allen Asiaten innewohnenden vis inertig-s
gemacht. Diese passive Widerstandskraft verkörpert sich unter den Chinesen
überall in der Form von Gilden, die unter ihren Landsleuten außerordent¬
lichen Einfluß haben. Selbst ein energischer Mandarin überlegt es sich drei¬
mal, ehe er etwas gegen den bestimmt ausgesprochnen Willen einer Gilde
durchzusetzen sucht.In San Franzisko wußten die Gilden sofort nach dem
Erlaß der ^xoluÄon IZill fast alle Chinesen im ganzen Lande zu bestimmen,
sich unter keinen Umständen einschreiben zu lassen. Der Erfolg ihrer Be¬
mühungen war glänzend, wie jeder Kenner des chinesischen Charakters voraus¬
sehen konnte. In den Vereinigten Staaten sind offiziell 150000 Chinesen
gezählt worden. Man giebt aber allgemein zu, daß diese Zahl viel zu niedrig
ist, und daß vielleicht 200000 noch unter der Wirklichkeit bleibt. Wie viele
von den 200000 bezopften Kindern des himmlischen Reichs haben nun dem
Befehle Bruder Jonathans Folge geleistet? Die Antwort ist: fünf! Außer¬
dem haben zwei weitere Chinesen erklärt, sie würden so freundlich sein, sich
einschreiben zu lassen, wenn das Gesetz nach ihren Wünschen etwas geändert
würde. Da man nun nicht im Ernst daran denken kann, die 199995 wider¬
spenstigen Menschen aus dem Lande zu schaffen, so wird das Gesetz einfach
ein toter Buchstabe bleiben, und das asiatische Beharrungsvermögen hat damit
einen großen Sieg erfochten.

Daß sich die Amerikaner vor Erlaß ihrer Bill nicht erst mit den chine¬
sischen Staatsmännern ins Einvernehmen zu setzen versuchten, hat ihnen aller¬
dings höchst wahrscheinlich endlose Verhandlungen erspart. Ist doch nicht
mit Unrecht bemerkt worden, daß die Verhandlungen zwischen chinesischen und
europäischen oder amerikanischen Diplomaten in den letzten Jahrzehnten zum
nicht geringen Teile darin bestanden haben, absichtliche Mißverständnisse der
Chinesen aus dem Wege zu räumen. Denn in der Kunst des Mißverstehens
wird dies Volk von keinem andern übertroffen. Besonders das den hohen
Mandarinen noch immer sehr unbequeme und widerwärtige Verlangen neu



*) Wie mächtig die Gilden sind, davon ein Beispiel aus Schanghai. Kürzlich brannten
hier ein großes, Chinesen gehörendes Möbellager und das Haus eines Mandarinen ab. Das
Feuer war höchst wahrscheinlich im Hause des Beamten aus gebrochen. Um aber die Ver¬
antwortung von sich abzuwälzen, veranlaßte der Mandarin die Einkerkerung des Kochs der
Mvbelhäudler, eines Kantonescn. Man versuchte dem Unglückliche" im Gefängnis durch die
Folter die Aussage zu entlocken, daß das Feuer durch seine Unachtsamkeit in der Küche ent¬
standen sei. Aber er blieb standhaft. Inzwischen legte sich die mächtige Gilde der in
Schanghai ansässigen Kcmtonesen ins Mittel, und ihr gelang sehr bald die Befreiung des Kochs.
Die politische» Beziehungen Lhiuas

tation bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einschreiben lassen sollten. Der Ver¬
such einer vorherigen Verständigung mit der Regierung in Peking wurde nicht
beliebt, was die Chinesen nicht wenig aufbrachte. 8lo volumuZ, sie subsmus,
wir, das souveräne amerikanische Volk! Aber die Herren U^nkees hatten die
Rechnung ohne Berücksichtigung der allen Asiaten innewohnenden vis inertig-s
gemacht. Diese passive Widerstandskraft verkörpert sich unter den Chinesen
überall in der Form von Gilden, die unter ihren Landsleuten außerordent¬
lichen Einfluß haben. Selbst ein energischer Mandarin überlegt es sich drei¬
mal, ehe er etwas gegen den bestimmt ausgesprochnen Willen einer Gilde
durchzusetzen sucht.In San Franzisko wußten die Gilden sofort nach dem
Erlaß der ^xoluÄon IZill fast alle Chinesen im ganzen Lande zu bestimmen,
sich unter keinen Umständen einschreiben zu lassen. Der Erfolg ihrer Be¬
mühungen war glänzend, wie jeder Kenner des chinesischen Charakters voraus¬
sehen konnte. In den Vereinigten Staaten sind offiziell 150000 Chinesen
gezählt worden. Man giebt aber allgemein zu, daß diese Zahl viel zu niedrig
ist, und daß vielleicht 200000 noch unter der Wirklichkeit bleibt. Wie viele
von den 200000 bezopften Kindern des himmlischen Reichs haben nun dem
Befehle Bruder Jonathans Folge geleistet? Die Antwort ist: fünf! Außer¬
dem haben zwei weitere Chinesen erklärt, sie würden so freundlich sein, sich
einschreiben zu lassen, wenn das Gesetz nach ihren Wünschen etwas geändert
würde. Da man nun nicht im Ernst daran denken kann, die 199995 wider¬
spenstigen Menschen aus dem Lande zu schaffen, so wird das Gesetz einfach
ein toter Buchstabe bleiben, und das asiatische Beharrungsvermögen hat damit
einen großen Sieg erfochten.

Daß sich die Amerikaner vor Erlaß ihrer Bill nicht erst mit den chine¬
sischen Staatsmännern ins Einvernehmen zu setzen versuchten, hat ihnen aller¬
dings höchst wahrscheinlich endlose Verhandlungen erspart. Ist doch nicht
mit Unrecht bemerkt worden, daß die Verhandlungen zwischen chinesischen und
europäischen oder amerikanischen Diplomaten in den letzten Jahrzehnten zum
nicht geringen Teile darin bestanden haben, absichtliche Mißverständnisse der
Chinesen aus dem Wege zu räumen. Denn in der Kunst des Mißverstehens
wird dies Volk von keinem andern übertroffen. Besonders das den hohen
Mandarinen noch immer sehr unbequeme und widerwärtige Verlangen neu



*) Wie mächtig die Gilden sind, davon ein Beispiel aus Schanghai. Kürzlich brannten
hier ein großes, Chinesen gehörendes Möbellager und das Haus eines Mandarinen ab. Das
Feuer war höchst wahrscheinlich im Hause des Beamten aus gebrochen. Um aber die Ver¬
antwortung von sich abzuwälzen, veranlaßte der Mandarin die Einkerkerung des Kochs der
Mvbelhäudler, eines Kantonescn. Man versuchte dem Unglückliche» im Gefängnis durch die
Folter die Aussage zu entlocken, daß das Feuer durch seine Unachtsamkeit in der Küche ent¬
standen sei. Aber er blieb standhaft. Inzwischen legte sich die mächtige Gilde der in
Schanghai ansässigen Kcmtonesen ins Mittel, und ihr gelang sehr bald die Befreiung des Kochs.
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[0160] Die politische» Beziehungen Lhiuas tation bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einschreiben lassen sollten. Der Ver¬ such einer vorherigen Verständigung mit der Regierung in Peking wurde nicht beliebt, was die Chinesen nicht wenig aufbrachte. 8lo volumuZ, sie subsmus, wir, das souveräne amerikanische Volk! Aber die Herren U^nkees hatten die Rechnung ohne Berücksichtigung der allen Asiaten innewohnenden vis inertig-s gemacht. Diese passive Widerstandskraft verkörpert sich unter den Chinesen überall in der Form von Gilden, die unter ihren Landsleuten außerordent¬ lichen Einfluß haben. Selbst ein energischer Mandarin überlegt es sich drei¬ mal, ehe er etwas gegen den bestimmt ausgesprochnen Willen einer Gilde durchzusetzen sucht.In San Franzisko wußten die Gilden sofort nach dem Erlaß der ^xoluÄon IZill fast alle Chinesen im ganzen Lande zu bestimmen, sich unter keinen Umständen einschreiben zu lassen. Der Erfolg ihrer Be¬ mühungen war glänzend, wie jeder Kenner des chinesischen Charakters voraus¬ sehen konnte. In den Vereinigten Staaten sind offiziell 150000 Chinesen gezählt worden. Man giebt aber allgemein zu, daß diese Zahl viel zu niedrig ist, und daß vielleicht 200000 noch unter der Wirklichkeit bleibt. Wie viele von den 200000 bezopften Kindern des himmlischen Reichs haben nun dem Befehle Bruder Jonathans Folge geleistet? Die Antwort ist: fünf! Außer¬ dem haben zwei weitere Chinesen erklärt, sie würden so freundlich sein, sich einschreiben zu lassen, wenn das Gesetz nach ihren Wünschen etwas geändert würde. Da man nun nicht im Ernst daran denken kann, die 199995 wider¬ spenstigen Menschen aus dem Lande zu schaffen, so wird das Gesetz einfach ein toter Buchstabe bleiben, und das asiatische Beharrungsvermögen hat damit einen großen Sieg erfochten. Daß sich die Amerikaner vor Erlaß ihrer Bill nicht erst mit den chine¬ sischen Staatsmännern ins Einvernehmen zu setzen versuchten, hat ihnen aller¬ dings höchst wahrscheinlich endlose Verhandlungen erspart. Ist doch nicht mit Unrecht bemerkt worden, daß die Verhandlungen zwischen chinesischen und europäischen oder amerikanischen Diplomaten in den letzten Jahrzehnten zum nicht geringen Teile darin bestanden haben, absichtliche Mißverständnisse der Chinesen aus dem Wege zu räumen. Denn in der Kunst des Mißverstehens wird dies Volk von keinem andern übertroffen. Besonders das den hohen Mandarinen noch immer sehr unbequeme und widerwärtige Verlangen neu *) Wie mächtig die Gilden sind, davon ein Beispiel aus Schanghai. Kürzlich brannten hier ein großes, Chinesen gehörendes Möbellager und das Haus eines Mandarinen ab. Das Feuer war höchst wahrscheinlich im Hause des Beamten aus gebrochen. Um aber die Ver¬ antwortung von sich abzuwälzen, veranlaßte der Mandarin die Einkerkerung des Kochs der Mvbelhäudler, eines Kantonescn. Man versuchte dem Unglückliche» im Gefängnis durch die Folter die Aussage zu entlocken, daß das Feuer durch seine Unachtsamkeit in der Küche ent¬ standen sei. Aber er blieb standhaft. Inzwischen legte sich die mächtige Gilde der in Schanghai ansässigen Kcmtonesen ins Mittel, und ihr gelang sehr bald die Befreiung des Kochs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/160>, abgerufen am 24.07.2024.