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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Barbarei nicht so energisch zur Rechenschaft ziehen konnten, wie es sonst wohl
der Fall gewesen wäre. Frankreich begnügte sich mit einer offiziellen Abbitte
und mit der Hinrichtung von sechzehn Personen. Ob dies aber die Haupt-
übelthüter gewesen sind, ist sehr zweifelhaft.

Im Jahre 1885 fehlte wenig, daß es zum ernstlichen Kriege zwischen
Frankreich und China gekommen wäre, weil man in Peking die Franzosen
nicht als unmittelbare Nachbarn in Tongking dulden wollte und deshalb alte
Hoheitsrechte auf das Land geltend machte. Wieder war es die Lage in
Europa, woraus den Chinesen Hilfe erwuchs. Denn die Blicke der Franzosen
sind ja so starr auf Elsaß-Lothringen gerichtet, daß sie es gar nicht mehr
fertig bringen, anderswo den Dingen ins Gesicht zu sehen. Die mit den
Chinesen begonnenen Feindseligkeiten wurden mit ganz unzureichenden Mitteln
weitergeführt. Als die Vernichtung eines Teils der chinesischen Flotte im
Min-Flusse bei Futschau nicht den gewünschte" Eindruck in Peking machte,
versuchten die Franzosen Formosa zu erobern. Sie erlitten aber im Norden
der Insel von den sehr viel stürkern chinesischen Truppen Schlappen. sobald
sie sich über den Bereich ihrer Schiffskaiionen hinauswagten. So hielten sie
nur den Nordrand Formosas und die Pescadores oder Fischerinseln. Die
ganze Westküste Formosas sollte angeblich blockirt sein, aber das war der reine
Humbug. Zwei französische Kriegsschiffe, die noch dazu des Nachts stets vor
Anker gingen, sollten für die Blockade genügen. Die Folge war, daß die
Reedereien der Neutralen dadurch Schaden erlitten, weil sie den wahren Zu¬
stand nicht kennen konnten, während die chinesischen Dschunken, die fortwährend
die Blockade brachen, den größten Vorteil davon hatten. Endlich gelang es
im Frühjahr 1886 durch Vermittlung des chinesischen Generalzolldirektors,
Sir Robert Hart, den Zwist beizulegen. Frankreich räumte Formosa und
die Fischerinseln, und China gab seine Rechte auf Tongking auf, zahlte aber
keine Kriegsentschädigung. Den Franzosen ist ihr neuer Besitz jedoch bisher
"och nicht zum Segen geworden. Immer haben sie sich mit mehr oder
weniger organisirten Banden herumzuschlagen, und da diese offenbar von
China aus heimlich unterstützt werden, so wird der jetzige Zustand über kurz
oder lang wieder zu ernstlichen Schwierigkeiten führen.

Es bleibt noch übrig, etwas über das Verhältnis Chinas zu den Ver¬
ewigten Staaten von Amerika zu sagen. Bruder Jonathan hat bekanntlich
w Dingen internationaler Sitte seine eignen Anschauungen, die manchem von
uns Europäern wenig vornehm oder auch geradezu rücksichtslos vorkommen,
^eder, dem dies schon unangenehm aufgefallen ist, wird jetzt eine berechtigte
Schadenfreude empfinden, wenn er erfährt, wie es den Amerikanern kürzlich
UM den Chinesen ergangen ist. Die Odirnzss LxczluLion ZZiU bestimmte, daß
Zünftig keine Chinesen mehr ins Land gelassen werden sollten, und daß sich
schon in den Vereinigten Staaten ansässigen alle bei Strafe der Depor-


Barbarei nicht so energisch zur Rechenschaft ziehen konnten, wie es sonst wohl
der Fall gewesen wäre. Frankreich begnügte sich mit einer offiziellen Abbitte
und mit der Hinrichtung von sechzehn Personen. Ob dies aber die Haupt-
übelthüter gewesen sind, ist sehr zweifelhaft.

Im Jahre 1885 fehlte wenig, daß es zum ernstlichen Kriege zwischen
Frankreich und China gekommen wäre, weil man in Peking die Franzosen
nicht als unmittelbare Nachbarn in Tongking dulden wollte und deshalb alte
Hoheitsrechte auf das Land geltend machte. Wieder war es die Lage in
Europa, woraus den Chinesen Hilfe erwuchs. Denn die Blicke der Franzosen
sind ja so starr auf Elsaß-Lothringen gerichtet, daß sie es gar nicht mehr
fertig bringen, anderswo den Dingen ins Gesicht zu sehen. Die mit den
Chinesen begonnenen Feindseligkeiten wurden mit ganz unzureichenden Mitteln
weitergeführt. Als die Vernichtung eines Teils der chinesischen Flotte im
Min-Flusse bei Futschau nicht den gewünschte» Eindruck in Peking machte,
versuchten die Franzosen Formosa zu erobern. Sie erlitten aber im Norden
der Insel von den sehr viel stürkern chinesischen Truppen Schlappen. sobald
sie sich über den Bereich ihrer Schiffskaiionen hinauswagten. So hielten sie
nur den Nordrand Formosas und die Pescadores oder Fischerinseln. Die
ganze Westküste Formosas sollte angeblich blockirt sein, aber das war der reine
Humbug. Zwei französische Kriegsschiffe, die noch dazu des Nachts stets vor
Anker gingen, sollten für die Blockade genügen. Die Folge war, daß die
Reedereien der Neutralen dadurch Schaden erlitten, weil sie den wahren Zu¬
stand nicht kennen konnten, während die chinesischen Dschunken, die fortwährend
die Blockade brachen, den größten Vorteil davon hatten. Endlich gelang es
im Frühjahr 1886 durch Vermittlung des chinesischen Generalzolldirektors,
Sir Robert Hart, den Zwist beizulegen. Frankreich räumte Formosa und
die Fischerinseln, und China gab seine Rechte auf Tongking auf, zahlte aber
keine Kriegsentschädigung. Den Franzosen ist ihr neuer Besitz jedoch bisher
"och nicht zum Segen geworden. Immer haben sie sich mit mehr oder
weniger organisirten Banden herumzuschlagen, und da diese offenbar von
China aus heimlich unterstützt werden, so wird der jetzige Zustand über kurz
oder lang wieder zu ernstlichen Schwierigkeiten führen.

Es bleibt noch übrig, etwas über das Verhältnis Chinas zu den Ver¬
ewigten Staaten von Amerika zu sagen. Bruder Jonathan hat bekanntlich
w Dingen internationaler Sitte seine eignen Anschauungen, die manchem von
uns Europäern wenig vornehm oder auch geradezu rücksichtslos vorkommen,
^eder, dem dies schon unangenehm aufgefallen ist, wird jetzt eine berechtigte
Schadenfreude empfinden, wenn er erfährt, wie es den Amerikanern kürzlich
UM den Chinesen ergangen ist. Die Odirnzss LxczluLion ZZiU bestimmte, daß
Zünftig keine Chinesen mehr ins Land gelassen werden sollten, und daß sich
schon in den Vereinigten Staaten ansässigen alle bei Strafe der Depor-


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[0159] Barbarei nicht so energisch zur Rechenschaft ziehen konnten, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre. Frankreich begnügte sich mit einer offiziellen Abbitte und mit der Hinrichtung von sechzehn Personen. Ob dies aber die Haupt- übelthüter gewesen sind, ist sehr zweifelhaft. Im Jahre 1885 fehlte wenig, daß es zum ernstlichen Kriege zwischen Frankreich und China gekommen wäre, weil man in Peking die Franzosen nicht als unmittelbare Nachbarn in Tongking dulden wollte und deshalb alte Hoheitsrechte auf das Land geltend machte. Wieder war es die Lage in Europa, woraus den Chinesen Hilfe erwuchs. Denn die Blicke der Franzosen sind ja so starr auf Elsaß-Lothringen gerichtet, daß sie es gar nicht mehr fertig bringen, anderswo den Dingen ins Gesicht zu sehen. Die mit den Chinesen begonnenen Feindseligkeiten wurden mit ganz unzureichenden Mitteln weitergeführt. Als die Vernichtung eines Teils der chinesischen Flotte im Min-Flusse bei Futschau nicht den gewünschte» Eindruck in Peking machte, versuchten die Franzosen Formosa zu erobern. Sie erlitten aber im Norden der Insel von den sehr viel stürkern chinesischen Truppen Schlappen. sobald sie sich über den Bereich ihrer Schiffskaiionen hinauswagten. So hielten sie nur den Nordrand Formosas und die Pescadores oder Fischerinseln. Die ganze Westküste Formosas sollte angeblich blockirt sein, aber das war der reine Humbug. Zwei französische Kriegsschiffe, die noch dazu des Nachts stets vor Anker gingen, sollten für die Blockade genügen. Die Folge war, daß die Reedereien der Neutralen dadurch Schaden erlitten, weil sie den wahren Zu¬ stand nicht kennen konnten, während die chinesischen Dschunken, die fortwährend die Blockade brachen, den größten Vorteil davon hatten. Endlich gelang es im Frühjahr 1886 durch Vermittlung des chinesischen Generalzolldirektors, Sir Robert Hart, den Zwist beizulegen. Frankreich räumte Formosa und die Fischerinseln, und China gab seine Rechte auf Tongking auf, zahlte aber keine Kriegsentschädigung. Den Franzosen ist ihr neuer Besitz jedoch bisher "och nicht zum Segen geworden. Immer haben sie sich mit mehr oder weniger organisirten Banden herumzuschlagen, und da diese offenbar von China aus heimlich unterstützt werden, so wird der jetzige Zustand über kurz oder lang wieder zu ernstlichen Schwierigkeiten führen. Es bleibt noch übrig, etwas über das Verhältnis Chinas zu den Ver¬ ewigten Staaten von Amerika zu sagen. Bruder Jonathan hat bekanntlich w Dingen internationaler Sitte seine eignen Anschauungen, die manchem von uns Europäern wenig vornehm oder auch geradezu rücksichtslos vorkommen, ^eder, dem dies schon unangenehm aufgefallen ist, wird jetzt eine berechtigte Schadenfreude empfinden, wenn er erfährt, wie es den Amerikanern kürzlich UM den Chinesen ergangen ist. Die Odirnzss LxczluLion ZZiU bestimmte, daß Zünftig keine Chinesen mehr ins Land gelassen werden sollten, und daß sich schon in den Vereinigten Staaten ansässigen alle bei Strafe der Depor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/159>, abgerufen am 24.07.2024.