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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die politischen Beziehungen Lhincis

Russen nuf Korea werden zunächst zurückgestellt werden müssen, aber nach der
Vollendung der Eisenbahn wird man wohl bald wieder davon hören. Denn
die koreanischen Häfen sind eisfrei, während die Schiffahrt in Nikolajewsk für
sechs Monate und in Wladiwostok für vier bis fünf Monate im Jahre ruht.

Mittlerweile versucht man zur Abwechslung wieder einmal an dem
äußersten andern Ende des chinesischen Reichs vorzudringen. Ein merkwür¬
diger Anblick, dies riesige Binuenreich, das sich an der Ostsee, am Schwarzen
Meere, am Großen Ozean und in Hochasien immer wieder streckt, um un¬
gehinderten Zugang zum Meere zu gewinnen! An der Ostsee wird die deutsche
Kriegsmacht dem Vordringen der Russen hoffentlich auf immer einen Riegel
vorschieben. Auch ist der Gewinn der preußischen Häfen für die Russen all¬
gemein betrachtet am wenigsten wichtig, weil sie nicht eisfrei sind. Wo auf
den drei andern Punkten der erste energische Stoß des Kolosses erfolgen wird,
kann nur die Zukunft lehren. Daß sich hier aber ein natürlicher Prozeß
vollzieht, der sich wohl eine Weile hemmen, aber nicht aufhalten läßt, ist für
jeden klar, der die Sache unbefangen betrachtet. Sonderbar genug, daß das
so viele englische Diplomaten nicht einsehen wollen! Der einfache Verstand
der Naturvölker urteilt da richtiger: die ganze Welt wird einst den Russen
gehören, sagen die Telle-Turkmenen. Wenn das Riesenreich nicht zerfällt,
wird sich dies Wort für Zentralasien bewahrheiten und Nußland allmählich
den Zugang zum Indischen Ozean gewinnen. Ans der Hochebne von Pamir
scheinen die Russen jetzt zwar auf den vereinigten Widerstand der Engländer
und Chinesen zu stoßen. Aber das sieht gefährlicher aus, als es ist. Eine
Armee, die drei Jahre brauchte, um vom chinesischen Meere bis nach Hoch-
asten zu gelangen, und weitere drei Jahre, um Ostturkestan zu unterwerfen,
kann deu Engländern nicht viel nützen. Allerdings könnten die Chinesen mit
Erfolg gegen das Amurgebiet wirken, aber die Engländer müßten sich während
dessen allein helfen. Das weiß man in Kalkutta sehr Wohl. Die Russen aber
werden durch Zähigkeit ihren Zweck wohl immer wieder erreichen und endlich
vor der Thür Indiens stehen, wo es dann sür die Engländer keine weitere
Nachgiebigkeit mehr giebt.

Das halb bewußte, halb unbewußte Gefühl der Gemeinsamkeit der Inter¬
essen von England und China gegenüber Rußland hat die Diplomaten des
himmlischen Reichs veranlaßt, sich die unmittelbare Nachbarschaft der Engländer
in Virma viel ruhiger gefallen zu lassen, als die"Oer Franzosen in Tongking.
Einen größern Unterschied giebt es kaum. Nur einmal wurde das gute Ein¬
vernehmen dort gestört, als der englische Konsularbeamte Margary, der zur
Erforschung der Handelsstraßen von Birma nach China gesandt war, im
^ahre 1875 meuchlings ermordet wurde. Die Chinesen zeigten sich aber den
araus entstehenden Forderungen der Engländer gegenüber sehr nachgiebig,
meer anderm wurden dem auswärtigen Handel mehrere neue Häfen geöffnet,


Die politischen Beziehungen Lhincis

Russen nuf Korea werden zunächst zurückgestellt werden müssen, aber nach der
Vollendung der Eisenbahn wird man wohl bald wieder davon hören. Denn
die koreanischen Häfen sind eisfrei, während die Schiffahrt in Nikolajewsk für
sechs Monate und in Wladiwostok für vier bis fünf Monate im Jahre ruht.

Mittlerweile versucht man zur Abwechslung wieder einmal an dem
äußersten andern Ende des chinesischen Reichs vorzudringen. Ein merkwür¬
diger Anblick, dies riesige Binuenreich, das sich an der Ostsee, am Schwarzen
Meere, am Großen Ozean und in Hochasien immer wieder streckt, um un¬
gehinderten Zugang zum Meere zu gewinnen! An der Ostsee wird die deutsche
Kriegsmacht dem Vordringen der Russen hoffentlich auf immer einen Riegel
vorschieben. Auch ist der Gewinn der preußischen Häfen für die Russen all¬
gemein betrachtet am wenigsten wichtig, weil sie nicht eisfrei sind. Wo auf
den drei andern Punkten der erste energische Stoß des Kolosses erfolgen wird,
kann nur die Zukunft lehren. Daß sich hier aber ein natürlicher Prozeß
vollzieht, der sich wohl eine Weile hemmen, aber nicht aufhalten läßt, ist für
jeden klar, der die Sache unbefangen betrachtet. Sonderbar genug, daß das
so viele englische Diplomaten nicht einsehen wollen! Der einfache Verstand
der Naturvölker urteilt da richtiger: die ganze Welt wird einst den Russen
gehören, sagen die Telle-Turkmenen. Wenn das Riesenreich nicht zerfällt,
wird sich dies Wort für Zentralasien bewahrheiten und Nußland allmählich
den Zugang zum Indischen Ozean gewinnen. Ans der Hochebne von Pamir
scheinen die Russen jetzt zwar auf den vereinigten Widerstand der Engländer
und Chinesen zu stoßen. Aber das sieht gefährlicher aus, als es ist. Eine
Armee, die drei Jahre brauchte, um vom chinesischen Meere bis nach Hoch-
asten zu gelangen, und weitere drei Jahre, um Ostturkestan zu unterwerfen,
kann deu Engländern nicht viel nützen. Allerdings könnten die Chinesen mit
Erfolg gegen das Amurgebiet wirken, aber die Engländer müßten sich während
dessen allein helfen. Das weiß man in Kalkutta sehr Wohl. Die Russen aber
werden durch Zähigkeit ihren Zweck wohl immer wieder erreichen und endlich
vor der Thür Indiens stehen, wo es dann sür die Engländer keine weitere
Nachgiebigkeit mehr giebt.

Das halb bewußte, halb unbewußte Gefühl der Gemeinsamkeit der Inter¬
essen von England und China gegenüber Rußland hat die Diplomaten des
himmlischen Reichs veranlaßt, sich die unmittelbare Nachbarschaft der Engländer
in Virma viel ruhiger gefallen zu lassen, als die"Oer Franzosen in Tongking.
Einen größern Unterschied giebt es kaum. Nur einmal wurde das gute Ein¬
vernehmen dort gestört, als der englische Konsularbeamte Margary, der zur
Erforschung der Handelsstraßen von Birma nach China gesandt war, im
^ahre 1875 meuchlings ermordet wurde. Die Chinesen zeigten sich aber den
araus entstehenden Forderungen der Engländer gegenüber sehr nachgiebig,
meer anderm wurden dem auswärtigen Handel mehrere neue Häfen geöffnet,


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[0157] Die politischen Beziehungen Lhincis Russen nuf Korea werden zunächst zurückgestellt werden müssen, aber nach der Vollendung der Eisenbahn wird man wohl bald wieder davon hören. Denn die koreanischen Häfen sind eisfrei, während die Schiffahrt in Nikolajewsk für sechs Monate und in Wladiwostok für vier bis fünf Monate im Jahre ruht. Mittlerweile versucht man zur Abwechslung wieder einmal an dem äußersten andern Ende des chinesischen Reichs vorzudringen. Ein merkwür¬ diger Anblick, dies riesige Binuenreich, das sich an der Ostsee, am Schwarzen Meere, am Großen Ozean und in Hochasien immer wieder streckt, um un¬ gehinderten Zugang zum Meere zu gewinnen! An der Ostsee wird die deutsche Kriegsmacht dem Vordringen der Russen hoffentlich auf immer einen Riegel vorschieben. Auch ist der Gewinn der preußischen Häfen für die Russen all¬ gemein betrachtet am wenigsten wichtig, weil sie nicht eisfrei sind. Wo auf den drei andern Punkten der erste energische Stoß des Kolosses erfolgen wird, kann nur die Zukunft lehren. Daß sich hier aber ein natürlicher Prozeß vollzieht, der sich wohl eine Weile hemmen, aber nicht aufhalten läßt, ist für jeden klar, der die Sache unbefangen betrachtet. Sonderbar genug, daß das so viele englische Diplomaten nicht einsehen wollen! Der einfache Verstand der Naturvölker urteilt da richtiger: die ganze Welt wird einst den Russen gehören, sagen die Telle-Turkmenen. Wenn das Riesenreich nicht zerfällt, wird sich dies Wort für Zentralasien bewahrheiten und Nußland allmählich den Zugang zum Indischen Ozean gewinnen. Ans der Hochebne von Pamir scheinen die Russen jetzt zwar auf den vereinigten Widerstand der Engländer und Chinesen zu stoßen. Aber das sieht gefährlicher aus, als es ist. Eine Armee, die drei Jahre brauchte, um vom chinesischen Meere bis nach Hoch- asten zu gelangen, und weitere drei Jahre, um Ostturkestan zu unterwerfen, kann deu Engländern nicht viel nützen. Allerdings könnten die Chinesen mit Erfolg gegen das Amurgebiet wirken, aber die Engländer müßten sich während dessen allein helfen. Das weiß man in Kalkutta sehr Wohl. Die Russen aber werden durch Zähigkeit ihren Zweck wohl immer wieder erreichen und endlich vor der Thür Indiens stehen, wo es dann sür die Engländer keine weitere Nachgiebigkeit mehr giebt. Das halb bewußte, halb unbewußte Gefühl der Gemeinsamkeit der Inter¬ essen von England und China gegenüber Rußland hat die Diplomaten des himmlischen Reichs veranlaßt, sich die unmittelbare Nachbarschaft der Engländer in Virma viel ruhiger gefallen zu lassen, als die"Oer Franzosen in Tongking. Einen größern Unterschied giebt es kaum. Nur einmal wurde das gute Ein¬ vernehmen dort gestört, als der englische Konsularbeamte Margary, der zur Erforschung der Handelsstraßen von Birma nach China gesandt war, im ^ahre 1875 meuchlings ermordet wurde. Die Chinesen zeigten sich aber den araus entstehenden Forderungen der Engländer gegenüber sehr nachgiebig, meer anderm wurden dem auswärtigen Handel mehrere neue Häfen geöffnet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/157>, abgerufen am 23.07.2024.