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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Kollegen überdies um ein ganzes Jahr voraus ist, den Behörden immer an¬
genehmer als der Militärpflichtige. Das ist erklärlich, aber für den Offizier
des Benrlanbtenstandes sehr niederdrückend.

Die Einrichtung des einjährig-freiwilligen Dienstes ist mit der Zeit ein
wahrer Krebsschaden geworden. Die damit verbundne Halbbildung drückt den
bessern Bürgerstand in geistiger Beziehung herunter. Die höhern Schulen klagen,
daß die jungen Leute, die nur den Berechtigungsschein zu erwischen strebten,
ein entsetzlicher Ballast für sie seien. Die Eltern klagen, daß die Allsgaben für
die einjährig-freiwillige Dienstzeit der Söhne immer drückender, ja fast un¬
erschwinglich geworden seien. Die Militärs klagen, die Einjährig-Freiwilligen
störten ihnen die gleichmäßige Ausbildung der Truppen und müßten überdies
nach einem Jahre mit einer mangelhaften militärischen Erziehung zur Reserve
entlassen werden. Überall Klagen. Weshalb beseitigt man da nicht die ganze
Einrichtung, wie es in Frankreich schon vor ein paar Jahren geschehen ist?
Fort mit den Einjährig-Freiwilligen! Dafür allgemeine Durchführung der
zweijährigen Dienstzeit und Beförderung der Leute nicht nach dem lächerlichen
Sekundanerscheiu, sondern nach ihrer militärischen Schulung, nach ihrer wirk¬
lichen Bildung und nach ihrer bürgerlichen Stellung! Wer nach einem Jahr
diesen Anforderungen genügt, der avancire und mache die nötigen Avaneements-
übnngen im zweiten Jahre im Zusammenhang ab. Dann könnte später von
den langen achtwöchigen Übungen, die im bürgerlichen Leben so störend wirken,
abgesehen und dafür eine Reihe kürzerer Dienstleistungen eingeführt werden.
Wie würden die Schulen, die Truppenführer, die Familienväter aufatmen!
Eine Menge von Brutanstalten der Halbbildung würde sofort vom deutschen
Boden verschwinden, alle Abrichtungsanstalten, Pressen, Internate und andre
fragwürdigen Kulturstätten würde" mit einem Schlage öde und leer stehen.
Keiner könnte mehr auf einem Schein bestehen, den er sich vor Jahren ersessen
hat, sondern er müßte als Zwanzigjähriger zeigen, daß er selbständig weiter¬
gearbeitet hat und wirklich die körperliche und geistige Bildung besitzt, die ihn
zu einer Stellung als bevorzugter Soldat und als Borgesetzter berechtigt.

Wir Deutschen sind alle in dem Borurteil befangen, daß wir bei einem
Manne nicht darnach fragen: wie ist feine Bildung? sondern immer nur: woher
hat er seine Bildung, welche Schule hat er besucht, bis zu welcher Klasse ist
er gekommen? Sind diese Fragen genügend beantwortet, dann ist das Urteil
über den Mann fertig. Wir sind durch den Berechtiguugsschwindel, der mit
unsrer Schulbildung verdürbe" ist, das reine Schulmeistervvlk geworden. Das
ist kläglich. Giebt es in unserm Jahrhundert wirklich keine andern Wege,
die zur Bildung führen, als die zwischen den Schulbänken am Schulkatheder
vorbei? Mit diesen Vorurteilen muß endlich aufgeräumt werde", lind der
erste Schritt dazu kann nur sein: Fort mit den Einjährig-Freiwilligen!




Kollegen überdies um ein ganzes Jahr voraus ist, den Behörden immer an¬
genehmer als der Militärpflichtige. Das ist erklärlich, aber für den Offizier
des Benrlanbtenstandes sehr niederdrückend.

Die Einrichtung des einjährig-freiwilligen Dienstes ist mit der Zeit ein
wahrer Krebsschaden geworden. Die damit verbundne Halbbildung drückt den
bessern Bürgerstand in geistiger Beziehung herunter. Die höhern Schulen klagen,
daß die jungen Leute, die nur den Berechtigungsschein zu erwischen strebten,
ein entsetzlicher Ballast für sie seien. Die Eltern klagen, daß die Allsgaben für
die einjährig-freiwillige Dienstzeit der Söhne immer drückender, ja fast un¬
erschwinglich geworden seien. Die Militärs klagen, die Einjährig-Freiwilligen
störten ihnen die gleichmäßige Ausbildung der Truppen und müßten überdies
nach einem Jahre mit einer mangelhaften militärischen Erziehung zur Reserve
entlassen werden. Überall Klagen. Weshalb beseitigt man da nicht die ganze
Einrichtung, wie es in Frankreich schon vor ein paar Jahren geschehen ist?
Fort mit den Einjährig-Freiwilligen! Dafür allgemeine Durchführung der
zweijährigen Dienstzeit und Beförderung der Leute nicht nach dem lächerlichen
Sekundanerscheiu, sondern nach ihrer militärischen Schulung, nach ihrer wirk¬
lichen Bildung und nach ihrer bürgerlichen Stellung! Wer nach einem Jahr
diesen Anforderungen genügt, der avancire und mache die nötigen Avaneements-
übnngen im zweiten Jahre im Zusammenhang ab. Dann könnte später von
den langen achtwöchigen Übungen, die im bürgerlichen Leben so störend wirken,
abgesehen und dafür eine Reihe kürzerer Dienstleistungen eingeführt werden.
Wie würden die Schulen, die Truppenführer, die Familienväter aufatmen!
Eine Menge von Brutanstalten der Halbbildung würde sofort vom deutschen
Boden verschwinden, alle Abrichtungsanstalten, Pressen, Internate und andre
fragwürdigen Kulturstätten würde» mit einem Schlage öde und leer stehen.
Keiner könnte mehr auf einem Schein bestehen, den er sich vor Jahren ersessen
hat, sondern er müßte als Zwanzigjähriger zeigen, daß er selbständig weiter¬
gearbeitet hat und wirklich die körperliche und geistige Bildung besitzt, die ihn
zu einer Stellung als bevorzugter Soldat und als Borgesetzter berechtigt.

Wir Deutschen sind alle in dem Borurteil befangen, daß wir bei einem
Manne nicht darnach fragen: wie ist feine Bildung? sondern immer nur: woher
hat er seine Bildung, welche Schule hat er besucht, bis zu welcher Klasse ist
er gekommen? Sind diese Fragen genügend beantwortet, dann ist das Urteil
über den Mann fertig. Wir sind durch den Berechtiguugsschwindel, der mit
unsrer Schulbildung verdürbe» ist, das reine Schulmeistervvlk geworden. Das
ist kläglich. Giebt es in unserm Jahrhundert wirklich keine andern Wege,
die zur Bildung führen, als die zwischen den Schulbänken am Schulkatheder
vorbei? Mit diesen Vorurteilen muß endlich aufgeräumt werde», lind der
erste Schritt dazu kann nur sein: Fort mit den Einjährig-Freiwilligen!




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[0119] Kollegen überdies um ein ganzes Jahr voraus ist, den Behörden immer an¬ genehmer als der Militärpflichtige. Das ist erklärlich, aber für den Offizier des Benrlanbtenstandes sehr niederdrückend. Die Einrichtung des einjährig-freiwilligen Dienstes ist mit der Zeit ein wahrer Krebsschaden geworden. Die damit verbundne Halbbildung drückt den bessern Bürgerstand in geistiger Beziehung herunter. Die höhern Schulen klagen, daß die jungen Leute, die nur den Berechtigungsschein zu erwischen strebten, ein entsetzlicher Ballast für sie seien. Die Eltern klagen, daß die Allsgaben für die einjährig-freiwillige Dienstzeit der Söhne immer drückender, ja fast un¬ erschwinglich geworden seien. Die Militärs klagen, die Einjährig-Freiwilligen störten ihnen die gleichmäßige Ausbildung der Truppen und müßten überdies nach einem Jahre mit einer mangelhaften militärischen Erziehung zur Reserve entlassen werden. Überall Klagen. Weshalb beseitigt man da nicht die ganze Einrichtung, wie es in Frankreich schon vor ein paar Jahren geschehen ist? Fort mit den Einjährig-Freiwilligen! Dafür allgemeine Durchführung der zweijährigen Dienstzeit und Beförderung der Leute nicht nach dem lächerlichen Sekundanerscheiu, sondern nach ihrer militärischen Schulung, nach ihrer wirk¬ lichen Bildung und nach ihrer bürgerlichen Stellung! Wer nach einem Jahr diesen Anforderungen genügt, der avancire und mache die nötigen Avaneements- übnngen im zweiten Jahre im Zusammenhang ab. Dann könnte später von den langen achtwöchigen Übungen, die im bürgerlichen Leben so störend wirken, abgesehen und dafür eine Reihe kürzerer Dienstleistungen eingeführt werden. Wie würden die Schulen, die Truppenführer, die Familienväter aufatmen! Eine Menge von Brutanstalten der Halbbildung würde sofort vom deutschen Boden verschwinden, alle Abrichtungsanstalten, Pressen, Internate und andre fragwürdigen Kulturstätten würde» mit einem Schlage öde und leer stehen. Keiner könnte mehr auf einem Schein bestehen, den er sich vor Jahren ersessen hat, sondern er müßte als Zwanzigjähriger zeigen, daß er selbständig weiter¬ gearbeitet hat und wirklich die körperliche und geistige Bildung besitzt, die ihn zu einer Stellung als bevorzugter Soldat und als Borgesetzter berechtigt. Wir Deutschen sind alle in dem Borurteil befangen, daß wir bei einem Manne nicht darnach fragen: wie ist feine Bildung? sondern immer nur: woher hat er seine Bildung, welche Schule hat er besucht, bis zu welcher Klasse ist er gekommen? Sind diese Fragen genügend beantwortet, dann ist das Urteil über den Mann fertig. Wir sind durch den Berechtiguugsschwindel, der mit unsrer Schulbildung verdürbe» ist, das reine Schulmeistervvlk geworden. Das ist kläglich. Giebt es in unserm Jahrhundert wirklich keine andern Wege, die zur Bildung führen, als die zwischen den Schulbänken am Schulkatheder vorbei? Mit diesen Vorurteilen muß endlich aufgeräumt werde», lind der erste Schritt dazu kann nur sein: Fort mit den Einjährig-Freiwilligen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/119>, abgerufen am 01.07.2024.