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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldalennot

Zeitung ihren Lesern die kurze Mitteilung/ das; am folgenden Tage über tausend
Rekruten aus Breslau in Mülhausen im Reichslande anlangen würden, um
in die dort stehenden Jnfanteriebataillone zum Dienst eingestellt zu werden.
Diese Rekruten seien am Dienstag von Breslau abgereist. Die Angaben er¬
wiesen sich als vollständig richtig. Es ist seit vielen Jahren Brauch, daß die
im Bereich des sechsten Armeekorps (Regierungsbezirke Breslau und Oppeln)
ausgehöhlten Mannschaften zum Teil dein vierzehnten Armeekorps überwiesen
werden; sodaß also die im äußersten Südosten des preußischen Staates ge-
bornen Landeskinder zum großen Teil im äußersten Westen des Reiches ihrer
Militärpflicht genügen müssen. Das ist gewiß ans mehrfachen Gründen für
die davon betroffenen Soldaten ein Vorteil. Sie lernen ein Stück Welt kennen;
ihr Gesichtskreis erweitert sich. Einen wirklichen Handwerksburschen, der das
Land durchwandert, um sich durch Verkehr mit Zunftgenossen in andern
Gegenden in seinem Handwerk zu vervollkommnen, sieht man heute gewiß nur
noch äußerst selten. Die Einstellung in eine ferne Garnison schafft hierfür
einigermaßen Ersatz. Auf diese Weise kommt auch der Sohn des Landmanns
einmal in die Fremde, während er sonst sest an der Scholle klebt. Daß die
Gebiete Oberschlesiens von dieser Maßregel in erster Linie getroffen werden,
geschieht auch gewiß in der besten Absicht; denn das polnische Sprachgebiet
muß besonders von unserm Heere im Frieden für das Deutschtum gewonnen
werden. Hier ist ein Kampf im Frieden unausgesetzt nötig. Was die Schule
nicht zuwege gebracht, was der Katholizismus durch die gefügigen Werkzeuge
seiner Geistlichkeit zu hintertreiben gewußt hat, das muß das Heer fertig
bringen. Hier ist die beste Schule für das Volk. Auf welch niedrigem Stand¬
punkt geistiger Bildung die Rekruten aus rein polnischen Gebieten stehen, weiß
nur der, der sie nicht bloß in die Garnison einrücken sieht, sondern dann auch
mit ihnen zu thun hat. Aus ihnen etwas zu macheu, ist wirklich keine Kleinig¬
keit. Haben doch viele von ihnen noch nie einen Soldaten gesehen, verstehen
auch nicht ein Wort deutsch! Und doch ist es erstaunlich, wie schnell oft aus
ihnen zunächst Menschen und bald auch tüchtige Soldaten gemacht werden.*)
Es müßte also doch der Heeresverwaltung aufrichtiger Dank und warmes Lob
dafür gespendet werden, daß sie in dieser Weise an dem Wohle des Volkes ar¬
beitet. Wir wollen ihr diesen Dank und dieses Lob auch nicht vorenthalten. Aber
leider laufen bei den erwähnten Maßnahmen Härten mit unter, die entschieden
vermieden werden sollten und auch leicht vermieden werden könnten. In
Schlettstntt erschoß sich vor einigen Jahren ein Soldat des )12. Regiments;



Als eignes Erlebnis sei hier berichtet, das; ein beim elften Regiment in Breslau ein¬
gestellter, des Deutschen zwar nicht mächtiger, aber sonst geweckter und anstelliger Rekrut, der nach
etwa vier Wochen unter Begleitung eines Gefreiten an einem Sonntag ausgehen durste, in dem
ersten Schutzmann, den er aus der Straße erblickte, alli's Ernstes den Kaiser zu sehen glaubte. Über
deu Namen unsers Kaisers wird ein polnischer Rekrut nnr ausnahmsweise Auskunft geben können.
Soldalennot

Zeitung ihren Lesern die kurze Mitteilung/ das; am folgenden Tage über tausend
Rekruten aus Breslau in Mülhausen im Reichslande anlangen würden, um
in die dort stehenden Jnfanteriebataillone zum Dienst eingestellt zu werden.
Diese Rekruten seien am Dienstag von Breslau abgereist. Die Angaben er¬
wiesen sich als vollständig richtig. Es ist seit vielen Jahren Brauch, daß die
im Bereich des sechsten Armeekorps (Regierungsbezirke Breslau und Oppeln)
ausgehöhlten Mannschaften zum Teil dein vierzehnten Armeekorps überwiesen
werden; sodaß also die im äußersten Südosten des preußischen Staates ge-
bornen Landeskinder zum großen Teil im äußersten Westen des Reiches ihrer
Militärpflicht genügen müssen. Das ist gewiß ans mehrfachen Gründen für
die davon betroffenen Soldaten ein Vorteil. Sie lernen ein Stück Welt kennen;
ihr Gesichtskreis erweitert sich. Einen wirklichen Handwerksburschen, der das
Land durchwandert, um sich durch Verkehr mit Zunftgenossen in andern
Gegenden in seinem Handwerk zu vervollkommnen, sieht man heute gewiß nur
noch äußerst selten. Die Einstellung in eine ferne Garnison schafft hierfür
einigermaßen Ersatz. Auf diese Weise kommt auch der Sohn des Landmanns
einmal in die Fremde, während er sonst sest an der Scholle klebt. Daß die
Gebiete Oberschlesiens von dieser Maßregel in erster Linie getroffen werden,
geschieht auch gewiß in der besten Absicht; denn das polnische Sprachgebiet
muß besonders von unserm Heere im Frieden für das Deutschtum gewonnen
werden. Hier ist ein Kampf im Frieden unausgesetzt nötig. Was die Schule
nicht zuwege gebracht, was der Katholizismus durch die gefügigen Werkzeuge
seiner Geistlichkeit zu hintertreiben gewußt hat, das muß das Heer fertig
bringen. Hier ist die beste Schule für das Volk. Auf welch niedrigem Stand¬
punkt geistiger Bildung die Rekruten aus rein polnischen Gebieten stehen, weiß
nur der, der sie nicht bloß in die Garnison einrücken sieht, sondern dann auch
mit ihnen zu thun hat. Aus ihnen etwas zu macheu, ist wirklich keine Kleinig¬
keit. Haben doch viele von ihnen noch nie einen Soldaten gesehen, verstehen
auch nicht ein Wort deutsch! Und doch ist es erstaunlich, wie schnell oft aus
ihnen zunächst Menschen und bald auch tüchtige Soldaten gemacht werden.*)
Es müßte also doch der Heeresverwaltung aufrichtiger Dank und warmes Lob
dafür gespendet werden, daß sie in dieser Weise an dem Wohle des Volkes ar¬
beitet. Wir wollen ihr diesen Dank und dieses Lob auch nicht vorenthalten. Aber
leider laufen bei den erwähnten Maßnahmen Härten mit unter, die entschieden
vermieden werden sollten und auch leicht vermieden werden könnten. In
Schlettstntt erschoß sich vor einigen Jahren ein Soldat des )12. Regiments;



Als eignes Erlebnis sei hier berichtet, das; ein beim elften Regiment in Breslau ein¬
gestellter, des Deutschen zwar nicht mächtiger, aber sonst geweckter und anstelliger Rekrut, der nach
etwa vier Wochen unter Begleitung eines Gefreiten an einem Sonntag ausgehen durste, in dem
ersten Schutzmann, den er aus der Straße erblickte, alli's Ernstes den Kaiser zu sehen glaubte. Über
deu Namen unsers Kaisers wird ein polnischer Rekrut nnr ausnahmsweise Auskunft geben können.
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[0011] Soldalennot Zeitung ihren Lesern die kurze Mitteilung/ das; am folgenden Tage über tausend Rekruten aus Breslau in Mülhausen im Reichslande anlangen würden, um in die dort stehenden Jnfanteriebataillone zum Dienst eingestellt zu werden. Diese Rekruten seien am Dienstag von Breslau abgereist. Die Angaben er¬ wiesen sich als vollständig richtig. Es ist seit vielen Jahren Brauch, daß die im Bereich des sechsten Armeekorps (Regierungsbezirke Breslau und Oppeln) ausgehöhlten Mannschaften zum Teil dein vierzehnten Armeekorps überwiesen werden; sodaß also die im äußersten Südosten des preußischen Staates ge- bornen Landeskinder zum großen Teil im äußersten Westen des Reiches ihrer Militärpflicht genügen müssen. Das ist gewiß ans mehrfachen Gründen für die davon betroffenen Soldaten ein Vorteil. Sie lernen ein Stück Welt kennen; ihr Gesichtskreis erweitert sich. Einen wirklichen Handwerksburschen, der das Land durchwandert, um sich durch Verkehr mit Zunftgenossen in andern Gegenden in seinem Handwerk zu vervollkommnen, sieht man heute gewiß nur noch äußerst selten. Die Einstellung in eine ferne Garnison schafft hierfür einigermaßen Ersatz. Auf diese Weise kommt auch der Sohn des Landmanns einmal in die Fremde, während er sonst sest an der Scholle klebt. Daß die Gebiete Oberschlesiens von dieser Maßregel in erster Linie getroffen werden, geschieht auch gewiß in der besten Absicht; denn das polnische Sprachgebiet muß besonders von unserm Heere im Frieden für das Deutschtum gewonnen werden. Hier ist ein Kampf im Frieden unausgesetzt nötig. Was die Schule nicht zuwege gebracht, was der Katholizismus durch die gefügigen Werkzeuge seiner Geistlichkeit zu hintertreiben gewußt hat, das muß das Heer fertig bringen. Hier ist die beste Schule für das Volk. Auf welch niedrigem Stand¬ punkt geistiger Bildung die Rekruten aus rein polnischen Gebieten stehen, weiß nur der, der sie nicht bloß in die Garnison einrücken sieht, sondern dann auch mit ihnen zu thun hat. Aus ihnen etwas zu macheu, ist wirklich keine Kleinig¬ keit. Haben doch viele von ihnen noch nie einen Soldaten gesehen, verstehen auch nicht ein Wort deutsch! Und doch ist es erstaunlich, wie schnell oft aus ihnen zunächst Menschen und bald auch tüchtige Soldaten gemacht werden.*) Es müßte also doch der Heeresverwaltung aufrichtiger Dank und warmes Lob dafür gespendet werden, daß sie in dieser Weise an dem Wohle des Volkes ar¬ beitet. Wir wollen ihr diesen Dank und dieses Lob auch nicht vorenthalten. Aber leider laufen bei den erwähnten Maßnahmen Härten mit unter, die entschieden vermieden werden sollten und auch leicht vermieden werden könnten. In Schlettstntt erschoß sich vor einigen Jahren ein Soldat des )12. Regiments; Als eignes Erlebnis sei hier berichtet, das; ein beim elften Regiment in Breslau ein¬ gestellter, des Deutschen zwar nicht mächtiger, aber sonst geweckter und anstelliger Rekrut, der nach etwa vier Wochen unter Begleitung eines Gefreiten an einem Sonntag ausgehen durste, in dem ersten Schutzmann, den er aus der Straße erblickte, alli's Ernstes den Kaiser zu sehen glaubte. Über deu Namen unsers Kaisers wird ein polnischer Rekrut nnr ausnahmsweise Auskunft geben können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/11>, abgerufen am 23.07.2024.