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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage

Da haben Sie es, Herr Richter! Was Sie mit ihrer großen Redegabe
angestiftet haben, war nichts als eine große Reklameminonce für Bebel und
Genossen! Mit Logik, Witz, gesundem Menschenverstand, umfassenden Kennt¬
nissen, gründlicher Wissenschaft können Sie Herrn Bebel nicht bekämpfen, da
gleitet er Ihnen unverletzt zwischen den Fingern durch, wie jener unverwund¬
bare Fakir, der sich allabendlich bei elektrischer Beleuchtung den Bauch auf¬
schlitzen läßt und doch niemals Löcher im Bauchfell hat. Wenn Sie Herrn Bebel
bekämpfen wollen, so empfehlen wir Ihnen eine bessere Waffe. Schlagen Sie
das große Tamtam, das Ihnen jn nicht ganz unbekannt ist, aber lauter, toller,
ohrenzerschmetternder als Bebel -- sonst nützt es Ihnen nichts. Versprechen
Sie allen siebzehnjährigen Bengeln täglich die feinsten Regalia, Champagner
in Eimern, Diners zu fünfundzwanzig Mark im Kaiserhof, Abschaffung aller
Arbeit, statt der sechs paradiesischen Huris Muhammeds lieber täglich zwölf
hübsche, frische Tingeltangelinädchen und unbegrenzten Bankwechsel bei Bleich-
röder für das sonstige Kleinvergnügen, wenn sie bei den nächsten Wahlen für
die Fortschrittspartei stimmen, und wir bürgen Ihnen mindestens für fünf
Millionen fortschrittlicher Stimmen. Das Mittel ist ganz billig und einfach!
Es gehört nur die nötige Frechheit, die absolute Abwesenheit alles dessen, was
der dumme Philister Moral nennt, dazu. Fragt man Sie, wo denn der Cham¬
pagner, die hübschen Mädchen n. s. w. alle herkommen sollen, dann ant¬
worten Sie entrüstet, das werde sich alles finden, das bringe die fortschritt¬
liche Entwicklung hervor, es sei schändlich, nach solchen Kleinigkeiten zu fragen.
Wer dann noch zweifeln will, wird als Ungläubiger aus dem Fortschritts-
tempel hinausgeworfen, und die Pforten des Paradieses werden ihm ster immer
verschlossen.

Im Ernst: gleicht nicht die Sozialdemokratie diesem großen Tamtam¬
schläger wie ein El dem andern? Und gegen solche Taktik wollen Sie mit
Gründen der Vernunft ankämpfen? Herr Stöcker hatte gewiß Recht, wenn er
sagte: Hätten wir nur mit vernünftigen Wesen zu thun, so könnten wir solchen
Blödsinn ruhig seiner eignen Verwesung überlasten. Aber da Sie eben nicht
mit Wesen zu kämpfen haben, die gewohnt und befähigt sind, ihre Überzeu¬
gungen ans der vernünftigen Einsicht und Prüfung der Dinge zu schöpfen,
was folgt daraus für Sie, meine Herren Parlamentarier? Etwa die Not¬
wendigkeit, fünf Tage lang Reden zu halten und das tausendmal bewiesene
zum tausend und erstenmale zu wiederholen? Wir ziehen daraus ganz andre
Folgerungen. Jn der Kritik der sozialdemokratischen Thorheit haben die Herren
Richter, Bachem und Stöcker gewiß Vorzügliches geleistet. Was glänzende
Rhetorik, scharfe Logik, wunderbare Schlagfertigkeit für die Beleuchtung der
Sozialdemokratie leisten können, ist ehrlich geleistet worden. Für die praktische
Bekämpfung der Lehre war die fünftägige Debatte gleich -- Null! Ja meine
Herren Parlamentarier! Über diese Thatsache kann uns Ihre glänzende Bered-


Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage

Da haben Sie es, Herr Richter! Was Sie mit ihrer großen Redegabe
angestiftet haben, war nichts als eine große Reklameminonce für Bebel und
Genossen! Mit Logik, Witz, gesundem Menschenverstand, umfassenden Kennt¬
nissen, gründlicher Wissenschaft können Sie Herrn Bebel nicht bekämpfen, da
gleitet er Ihnen unverletzt zwischen den Fingern durch, wie jener unverwund¬
bare Fakir, der sich allabendlich bei elektrischer Beleuchtung den Bauch auf¬
schlitzen läßt und doch niemals Löcher im Bauchfell hat. Wenn Sie Herrn Bebel
bekämpfen wollen, so empfehlen wir Ihnen eine bessere Waffe. Schlagen Sie
das große Tamtam, das Ihnen jn nicht ganz unbekannt ist, aber lauter, toller,
ohrenzerschmetternder als Bebel — sonst nützt es Ihnen nichts. Versprechen
Sie allen siebzehnjährigen Bengeln täglich die feinsten Regalia, Champagner
in Eimern, Diners zu fünfundzwanzig Mark im Kaiserhof, Abschaffung aller
Arbeit, statt der sechs paradiesischen Huris Muhammeds lieber täglich zwölf
hübsche, frische Tingeltangelinädchen und unbegrenzten Bankwechsel bei Bleich-
röder für das sonstige Kleinvergnügen, wenn sie bei den nächsten Wahlen für
die Fortschrittspartei stimmen, und wir bürgen Ihnen mindestens für fünf
Millionen fortschrittlicher Stimmen. Das Mittel ist ganz billig und einfach!
Es gehört nur die nötige Frechheit, die absolute Abwesenheit alles dessen, was
der dumme Philister Moral nennt, dazu. Fragt man Sie, wo denn der Cham¬
pagner, die hübschen Mädchen n. s. w. alle herkommen sollen, dann ant¬
worten Sie entrüstet, das werde sich alles finden, das bringe die fortschritt¬
liche Entwicklung hervor, es sei schändlich, nach solchen Kleinigkeiten zu fragen.
Wer dann noch zweifeln will, wird als Ungläubiger aus dem Fortschritts-
tempel hinausgeworfen, und die Pforten des Paradieses werden ihm ster immer
verschlossen.

Im Ernst: gleicht nicht die Sozialdemokratie diesem großen Tamtam¬
schläger wie ein El dem andern? Und gegen solche Taktik wollen Sie mit
Gründen der Vernunft ankämpfen? Herr Stöcker hatte gewiß Recht, wenn er
sagte: Hätten wir nur mit vernünftigen Wesen zu thun, so könnten wir solchen
Blödsinn ruhig seiner eignen Verwesung überlasten. Aber da Sie eben nicht
mit Wesen zu kämpfen haben, die gewohnt und befähigt sind, ihre Überzeu¬
gungen ans der vernünftigen Einsicht und Prüfung der Dinge zu schöpfen,
was folgt daraus für Sie, meine Herren Parlamentarier? Etwa die Not¬
wendigkeit, fünf Tage lang Reden zu halten und das tausendmal bewiesene
zum tausend und erstenmale zu wiederholen? Wir ziehen daraus ganz andre
Folgerungen. Jn der Kritik der sozialdemokratischen Thorheit haben die Herren
Richter, Bachem und Stöcker gewiß Vorzügliches geleistet. Was glänzende
Rhetorik, scharfe Logik, wunderbare Schlagfertigkeit für die Beleuchtung der
Sozialdemokratie leisten können, ist ehrlich geleistet worden. Für die praktische
Bekämpfung der Lehre war die fünftägige Debatte gleich — Null! Ja meine
Herren Parlamentarier! Über diese Thatsache kann uns Ihre glänzende Bered-


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[0108] Rückblicke und Ausblicke auf die soziale Frage Da haben Sie es, Herr Richter! Was Sie mit ihrer großen Redegabe angestiftet haben, war nichts als eine große Reklameminonce für Bebel und Genossen! Mit Logik, Witz, gesundem Menschenverstand, umfassenden Kennt¬ nissen, gründlicher Wissenschaft können Sie Herrn Bebel nicht bekämpfen, da gleitet er Ihnen unverletzt zwischen den Fingern durch, wie jener unverwund¬ bare Fakir, der sich allabendlich bei elektrischer Beleuchtung den Bauch auf¬ schlitzen läßt und doch niemals Löcher im Bauchfell hat. Wenn Sie Herrn Bebel bekämpfen wollen, so empfehlen wir Ihnen eine bessere Waffe. Schlagen Sie das große Tamtam, das Ihnen jn nicht ganz unbekannt ist, aber lauter, toller, ohrenzerschmetternder als Bebel — sonst nützt es Ihnen nichts. Versprechen Sie allen siebzehnjährigen Bengeln täglich die feinsten Regalia, Champagner in Eimern, Diners zu fünfundzwanzig Mark im Kaiserhof, Abschaffung aller Arbeit, statt der sechs paradiesischen Huris Muhammeds lieber täglich zwölf hübsche, frische Tingeltangelinädchen und unbegrenzten Bankwechsel bei Bleich- röder für das sonstige Kleinvergnügen, wenn sie bei den nächsten Wahlen für die Fortschrittspartei stimmen, und wir bürgen Ihnen mindestens für fünf Millionen fortschrittlicher Stimmen. Das Mittel ist ganz billig und einfach! Es gehört nur die nötige Frechheit, die absolute Abwesenheit alles dessen, was der dumme Philister Moral nennt, dazu. Fragt man Sie, wo denn der Cham¬ pagner, die hübschen Mädchen n. s. w. alle herkommen sollen, dann ant¬ worten Sie entrüstet, das werde sich alles finden, das bringe die fortschritt¬ liche Entwicklung hervor, es sei schändlich, nach solchen Kleinigkeiten zu fragen. Wer dann noch zweifeln will, wird als Ungläubiger aus dem Fortschritts- tempel hinausgeworfen, und die Pforten des Paradieses werden ihm ster immer verschlossen. Im Ernst: gleicht nicht die Sozialdemokratie diesem großen Tamtam¬ schläger wie ein El dem andern? Und gegen solche Taktik wollen Sie mit Gründen der Vernunft ankämpfen? Herr Stöcker hatte gewiß Recht, wenn er sagte: Hätten wir nur mit vernünftigen Wesen zu thun, so könnten wir solchen Blödsinn ruhig seiner eignen Verwesung überlasten. Aber da Sie eben nicht mit Wesen zu kämpfen haben, die gewohnt und befähigt sind, ihre Überzeu¬ gungen ans der vernünftigen Einsicht und Prüfung der Dinge zu schöpfen, was folgt daraus für Sie, meine Herren Parlamentarier? Etwa die Not¬ wendigkeit, fünf Tage lang Reden zu halten und das tausendmal bewiesene zum tausend und erstenmale zu wiederholen? Wir ziehen daraus ganz andre Folgerungen. Jn der Kritik der sozialdemokratischen Thorheit haben die Herren Richter, Bachem und Stöcker gewiß Vorzügliches geleistet. Was glänzende Rhetorik, scharfe Logik, wunderbare Schlagfertigkeit für die Beleuchtung der Sozialdemokratie leisten können, ist ehrlich geleistet worden. Für die praktische Bekämpfung der Lehre war die fünftägige Debatte gleich — Null! Ja meine Herren Parlamentarier! Über diese Thatsache kann uns Ihre glänzende Bered-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/108>, abgerufen am 01.07.2024.