Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Der Begriff Kultur muß daher, um mit den sozialen Zuständen unsrer Für das Verständnis des Gegenstandes, sagt er, ist es außerordentlich Der Begriff Kultur muß daher, um mit den sozialen Zuständen unsrer Für das Verständnis des Gegenstandes, sagt er, ist es außerordentlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214413"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2241"> Der Begriff Kultur muß daher, um mit den sozialen Zuständen unsrer<lb/> Zeit irgendwie in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden zu können, auf<lb/> den technischen Fortschritt beschränkt werden. Und das ist es wohl auch nur,<lb/> was unsre Gegner meinen, wenn sie behaupten, das Massenelend sei nur der<lb/> Schatten des Kulturfvrtschritts und von ihm unzertrennlich. Mit der eigent¬<lb/> lichen und höchsten Kultur ist der technische Fortschritt insofern verknüpft, als<lb/> jene fordert, daß alles dem Menschengeschlecht mögliche Wissen und Können<lb/> im Laufe der Zeit wirklich werde, und daß es alle Gesellschaftsgestaltungen<lb/> hervortreibe, deren es fähig ist; für beide Leistungen ist der technische Fort¬<lb/> schritt nicht zu entbehren, Die Behauptung nnn, daß dieser proletarische<lb/> Zustände erfordre, hat einen mehrfachen Sinn. Zuweilen meint man damit,<lb/> daß der technische Fortschritt des Großkapitals bedürfe, und da Großkapital<lb/> ohne Masfennrmnt nicht entstehen kann, so wäre damit die Unentbehrlichkeit<lb/> dieser allerdings erwiesen. Die Bedeutung des Geldkapitals nnn für die<lb/> Gütererzeugung hat Thorold Rogers in einigen kurzen Sätzen so überzeugend<lb/> dargestellt, daß wir nichts bessers thun können, als seine Ausführungen hier<lb/> wiedergeben. Sie finden sich in seiner Ausgabe von Smiths ^VvcüUi ok^Mons,<lb/> und zwar in einer Anmerkung, die ins fünfte Kapitel des zweiten Buches<lb/> (von den verschiednen Kapitalanlagen) einführen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_2242"> Für das Verständnis des Gegenstandes, sagt er, ist es außerordentlich<lb/> wichtig, sich geuau klar zu machen, worin eigentlich die Wirksamkeit des kapi¬<lb/> talistischen Unternehmers besteht. Viele Nationalökonomen haben sich durch<lb/> den Umstand irre führen lassen, daß die Arbeit eine Zeit lang (!) dnrch den<lb/> vom Unternehmer vorgestreckten Lohn im Gange erhalten zu werde» Pflegt,<lb/> haben die Lehre vom Betriebskapital iMvonr kunnt) ungebührlich aufgebauscht<lb/> und die Bedeutung dieses Kapitals für die Lohnarbeiter übertrieben. In<lb/> Wirklichkeit ist aber der kapitalbesitzende Unternehmer weiter nichts als ein<lb/> Repräsentant der Arbeitsteilung (UvprvLLuwtivL ist kein ganz glücklicher Aus¬<lb/> druck; wie aus dein folgenden hervorgeht, ist Vermittler, Diener, Organ ge¬<lb/> meint). Die Arbeit eines Arztes und eines Zimmermanns haben das gemein,<lb/> daß sie beide Dienste sind, die in der Erwartung angeboten werden, man<lb/> werde sie verlangen und vergelten. Die Vergeltung entspringt in beiden<lb/> Fällen derselben Ursache, nämlich der Bereitwilligkeit des Publikums, in dem<lb/> einen Falle vou behauenen Holz, im andern von der Heilkunst Gebrauch zu<lb/> macheu. Dabei ist der Umstand ganz nebensächlich, daß dein Zimmermann<lb/> ein Kapitalist die Arbeit vermittelt und meent, dem Arzte nicht. Wenn es<lb/> die Ärzte für vorteilhaft hielten, könnten sie mit einem Kapitalisten das Ab¬<lb/> kommen treffen, daß dieser ihnen festen Gehalt zahlte, dafür die ihnen zu¬<lb/> stehenden Gebühren einzöge, und sie so gegen die ans vorübergehender Arbeits¬<lb/> losigkeit entstehenden Verlegenheiten sicherstellte. Bei Anstellung von Armen-<lb/> und Bereinsürzten geschieht das thatsächlich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0621]
Der Begriff Kultur muß daher, um mit den sozialen Zuständen unsrer
Zeit irgendwie in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden zu können, auf
den technischen Fortschritt beschränkt werden. Und das ist es wohl auch nur,
was unsre Gegner meinen, wenn sie behaupten, das Massenelend sei nur der
Schatten des Kulturfvrtschritts und von ihm unzertrennlich. Mit der eigent¬
lichen und höchsten Kultur ist der technische Fortschritt insofern verknüpft, als
jene fordert, daß alles dem Menschengeschlecht mögliche Wissen und Können
im Laufe der Zeit wirklich werde, und daß es alle Gesellschaftsgestaltungen
hervortreibe, deren es fähig ist; für beide Leistungen ist der technische Fort¬
schritt nicht zu entbehren, Die Behauptung nnn, daß dieser proletarische
Zustände erfordre, hat einen mehrfachen Sinn. Zuweilen meint man damit,
daß der technische Fortschritt des Großkapitals bedürfe, und da Großkapital
ohne Masfennrmnt nicht entstehen kann, so wäre damit die Unentbehrlichkeit
dieser allerdings erwiesen. Die Bedeutung des Geldkapitals nnn für die
Gütererzeugung hat Thorold Rogers in einigen kurzen Sätzen so überzeugend
dargestellt, daß wir nichts bessers thun können, als seine Ausführungen hier
wiedergeben. Sie finden sich in seiner Ausgabe von Smiths ^VvcüUi ok^Mons,
und zwar in einer Anmerkung, die ins fünfte Kapitel des zweiten Buches
(von den verschiednen Kapitalanlagen) einführen soll.
Für das Verständnis des Gegenstandes, sagt er, ist es außerordentlich
wichtig, sich geuau klar zu machen, worin eigentlich die Wirksamkeit des kapi¬
talistischen Unternehmers besteht. Viele Nationalökonomen haben sich durch
den Umstand irre führen lassen, daß die Arbeit eine Zeit lang (!) dnrch den
vom Unternehmer vorgestreckten Lohn im Gange erhalten zu werde» Pflegt,
haben die Lehre vom Betriebskapital iMvonr kunnt) ungebührlich aufgebauscht
und die Bedeutung dieses Kapitals für die Lohnarbeiter übertrieben. In
Wirklichkeit ist aber der kapitalbesitzende Unternehmer weiter nichts als ein
Repräsentant der Arbeitsteilung (UvprvLLuwtivL ist kein ganz glücklicher Aus¬
druck; wie aus dein folgenden hervorgeht, ist Vermittler, Diener, Organ ge¬
meint). Die Arbeit eines Arztes und eines Zimmermanns haben das gemein,
daß sie beide Dienste sind, die in der Erwartung angeboten werden, man
werde sie verlangen und vergelten. Die Vergeltung entspringt in beiden
Fällen derselben Ursache, nämlich der Bereitwilligkeit des Publikums, in dem
einen Falle vou behauenen Holz, im andern von der Heilkunst Gebrauch zu
macheu. Dabei ist der Umstand ganz nebensächlich, daß dein Zimmermann
ein Kapitalist die Arbeit vermittelt und meent, dem Arzte nicht. Wenn es
die Ärzte für vorteilhaft hielten, könnten sie mit einem Kapitalisten das Ab¬
kommen treffen, daß dieser ihnen festen Gehalt zahlte, dafür die ihnen zu¬
stehenden Gebühren einzöge, und sie so gegen die ans vorübergehender Arbeits¬
losigkeit entstehenden Verlegenheiten sicherstellte. Bei Anstellung von Armen-
und Bereinsürzten geschieht das thatsächlich.
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