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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Moder Aommunismns noch Rapitalisinus

von bettelhaftem Elend. Diese Kultur, die eitlem den Namen Kultur verdient,
hat tveder den Geheimen Kommerzienräten noch den Fabrik- und Grubenarbei¬
tern etwas zu verdanken; sie ist Jahrtausende vor beiden dagewesen, und man
sieht nicht, daß sie in unsrer Zeit durch diese neuen Mächte irgendwie gefördert
würde. Es ist richtig, daß die größten Gedanken und Entschlüsse, die er¬
habensten Charaktere aus tiefstem Weh geboren werden, aber dem stinkenden
Elend des Proletariats ist noch keine Kulturblüte entsprossen. Nicht dieses
war es, was die tiefen Kontraste von Verzweiflung und Himmelsscligkeit in
Beethovens Tondichtungen erzeugt hat, sondern Liebesleidenschaft und Taub¬
heit, zwei allgemein menschliche und individuelle Übel, nicht Klassenleiden.
Selbst die zwei großen Religionen, deren Ziel die Erlösung des Menschen¬
geschlechts vom Übel ist, haben Zustände wie unsre modernen nicht zur Vor¬
aussetzung. Aus der Bnddhalegende erfahren wir Wohl, daß Gantamas Herz
durch den Anblick von Krüppeln, Blinden und Leichen erschüttert worden sei,
aber wir lesen nicht, daß er einer Versammlung von Arbeitslosen beigewohnt
habe. Und die vier Evangelien sind, abgesehen von ihrem tragischen Schluß,
el" Jdhll, das in nichts an die häßlichen Bilder unsrer großstädtischen Lnmpen-
viertel oder ein eine Fabrik oder an die sklaveninäßige Arbeit ans einem modernen
Dominium erinnert, und das vou deu großen christlichen Malern, wen" mich
verklärt, so doch nicht ""wahr dargestellt worde" ist. Tagelang sehen wir da
das arme Volk hinter Christus herziehen, und bald ein einem Vergabhange,
bald am Meeresstrande bequem gelagert, seineu Worte" lausche". Ab und z"
wird ein wenig gearbeitet, z.B. das Fischernetz ""sgeworfen, und die gar
uicht arbeiten wollen oder können, betteln einfach. Christus und seine Apostel
selbst leben, in der amtlichen Sprache unsrer Zeit ausgedrückt, vom Vettel;
und nirgends eine Spur von gemütlichteitstörender Polizei! Der Kulturzustand
also, aus dem das Christentum geboren ward, ist jener Zustand der "Ver¬
lotterung und Unkultur," über den die reisenden Engländer und Deutsche" so
erbost sind, wen" sie i" südliche" Länder" hie ""d da "och "Gesindel" finde",
das "müssig herumlungert," singt, springt und lacht, d. h. sich auf eine wenig
kostspielige Weise seines Lebens freut, da es doch vo" Rechts Wege" Tag ""d
Nacht in Fabriken eingesperrt und zu "produktiver" Thätigkeit gezwungen
werden müßte. Blicken wir aber auf eine wirklich produktive Arbeit, die aus
echter Kultur hervorgegangen ist und echte Kultur geschaffen hat. auf eine
K"le"rthat, die in mancher Beziehung als die größte der beiden christlichen
Jahrtausende bezeichnet werde" kann, die Eroberung der östliche" Lander d"res
den schwereren deutschen Pflug, wie Lothar Bucher es ausgedruckt hat, so ist
sie ohne Großkapital vollbracht worden -- das ganze Kapital bestand in der
körperlichen und der dnrch keine büreaukratische Bevormundung gehinderten
oder gebrochne" geistig-sittliche" Kraft deutscher Vaueru --, und Elend hat sie
gar nicht erzeugt, sondern nichts als Glück und Wohlstand.


Moder Aommunismns noch Rapitalisinus

von bettelhaftem Elend. Diese Kultur, die eitlem den Namen Kultur verdient,
hat tveder den Geheimen Kommerzienräten noch den Fabrik- und Grubenarbei¬
tern etwas zu verdanken; sie ist Jahrtausende vor beiden dagewesen, und man
sieht nicht, daß sie in unsrer Zeit durch diese neuen Mächte irgendwie gefördert
würde. Es ist richtig, daß die größten Gedanken und Entschlüsse, die er¬
habensten Charaktere aus tiefstem Weh geboren werden, aber dem stinkenden
Elend des Proletariats ist noch keine Kulturblüte entsprossen. Nicht dieses
war es, was die tiefen Kontraste von Verzweiflung und Himmelsscligkeit in
Beethovens Tondichtungen erzeugt hat, sondern Liebesleidenschaft und Taub¬
heit, zwei allgemein menschliche und individuelle Übel, nicht Klassenleiden.
Selbst die zwei großen Religionen, deren Ziel die Erlösung des Menschen¬
geschlechts vom Übel ist, haben Zustände wie unsre modernen nicht zur Vor¬
aussetzung. Aus der Bnddhalegende erfahren wir Wohl, daß Gantamas Herz
durch den Anblick von Krüppeln, Blinden und Leichen erschüttert worden sei,
aber wir lesen nicht, daß er einer Versammlung von Arbeitslosen beigewohnt
habe. Und die vier Evangelien sind, abgesehen von ihrem tragischen Schluß,
el» Jdhll, das in nichts an die häßlichen Bilder unsrer großstädtischen Lnmpen-
viertel oder ein eine Fabrik oder an die sklaveninäßige Arbeit ans einem modernen
Dominium erinnert, und das vou deu großen christlichen Malern, wen» mich
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selbst leben, in der amtlichen Sprache unsrer Zeit ausgedrückt, vom Vettel;
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also, aus dem das Christentum geboren ward, ist jener Zustand der „Ver¬
lotterung und Unkultur," über den die reisenden Engländer und Deutsche» so
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das „müssig herumlungert," singt, springt und lacht, d. h. sich auf eine wenig
kostspielige Weise seines Lebens freut, da es doch vo» Rechts Wege» Tag »»d
Nacht in Fabriken eingesperrt und zu „produktiver" Thätigkeit gezwungen
werden müßte. Blicken wir aber auf eine wirklich produktive Arbeit, die aus
echter Kultur hervorgegangen ist und echte Kultur geschaffen hat. auf eine
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Jahrtausende bezeichnet werde» kann, die Eroberung der östliche» Lander d»res
den schwereren deutschen Pflug, wie Lothar Bucher es ausgedruckt hat, so ist
sie ohne Großkapital vollbracht worden — das ganze Kapital bestand in der
körperlichen und der dnrch keine büreaukratische Bevormundung gehinderten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/620>, abgerufen am 26.06.2024.