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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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und Beiträge" des Gesetzentwurfs näher an. Wie ist uns denn? All die
Plackereien der Pfennigfiuanzkuust, die wir seit dem Norddeutschen Bunde ab¬
gethan glaubten, leben wieder auf. Wer eiuen Baukouseus braucht, zahlt eine
Gebühr -- ob 1 Mark oder 1 Mark 20 Pfennige, wird der Regierungs¬
präsident bestimmen; wer ein Tänzchen wagen will, löst einen Erlaubnisschein
für 50 Pfennige u. f. w. Wir Ältern haben das noch erlebt und uns kindlich
gefreut, als der Zopf abgeschnitten wurde. Wir haben uns geirrt, er hängt
uns wieder hinten, und es wird von der Findigkeit des Bürgermeisters ab¬
hängen, wie lang wir ihn künftig tragen werden.

Auch die Schlachtsteuer unberühmteu Angedenkens ersteht von den Toten.
Denn was anders bedeutet die Erhöhung der Schlachthausgebühr?

Nicht Steuerquellen sind es, die den Gemeinden eröffnet werden, nein
Quellchen und kümmerliche Rinnsale. Ein Nichts werden sie liefern gegen¬
über dem Massenverbrauch der heutigen Gemeinden, aber eine Menge Schrei¬
bereien, Kontrollposten und Kraftverzettelung der Beamten. Die einzige Steuer
mit tüchtiger Ertrngfähigkeit wäre eine Bierabgabe; aber "sie ist durch das
Reichsgesetz beschränkt." Die wirklichen Quellen behalten eben Reich und
Staat für sich.

Nun, die hundert Millionen müssen doch erklecklich helfen? Gewiß, aber
wem? Die armen Landstriche mit geringem Boden zahlen geringe Grund¬
steuern; die Gebäudesteuer ihrer Häuschen rechnet nicht, und von Gewerbe¬
steuer ist beim Kleinbetriebe kaum die Rede. Die reichen Gegenden haben
hohe Grundsteuern, die Mietpaläste der Großstädte enorme Nntzuugswerte.
So erläßt der Staat den armen Landstrichen winzige Beträge, und den reichen
Gegenden, voran Berlin, das es gar nicht braucht, werden Millionen geschenkt.
Wer da hat, dem wird gegeben.

Der Leser sieht ein, daß die Reform ungerecht wirken wird, und doch
schüttelt er vielleicht den Kopf. Wie anders soll denn den Gemeinden geholfen
werden? Denn krank sind sie doch.

Behauptet wird das allerdings bis zum Überdruß, aber darum braucht
es noch nicht wahr zu sein. Und in der Allgemeinheit wenigstens trifft es
nicht zu. Gott sei Dank, es giebt noch viel gesunde Gemeinden in Preußen.
Da sind eine Reihe Städte in durchaus nicht hilfloser Lage; andre, na¬
mentlich im Westen, gesunden zusehends, jetzt wo die Wohlhabenden besser
ihre Steuerpflicht erfüllen müssen. Da sind die meisten Kreise und die Bauer-
gemeiuden uns guten Füßen. Andre stehen schlecht, sehr schlecht, einige sind
mehr als übel daran. Aber woher kommt das? Sie verschulden es selbst.
Die kleinen Städte haben Großstadtpolitik getrieben, eine es der andern zu¬
vorthun wollen. Sie haben Gymnasien gegründet, die leer stehen, Volksschul¬
paläste gebaut, zu Kunststraßen, Bahuprvjckteu u. s. w. mit vollen Händen
Geld gegeben. Und das alles nicht langsam bessernd, sondern fortschritt-


und Beiträge" des Gesetzentwurfs näher an. Wie ist uns denn? All die
Plackereien der Pfennigfiuanzkuust, die wir seit dem Norddeutschen Bunde ab¬
gethan glaubten, leben wieder auf. Wer eiuen Baukouseus braucht, zahlt eine
Gebühr — ob 1 Mark oder 1 Mark 20 Pfennige, wird der Regierungs¬
präsident bestimmen; wer ein Tänzchen wagen will, löst einen Erlaubnisschein
für 50 Pfennige u. f. w. Wir Ältern haben das noch erlebt und uns kindlich
gefreut, als der Zopf abgeschnitten wurde. Wir haben uns geirrt, er hängt
uns wieder hinten, und es wird von der Findigkeit des Bürgermeisters ab¬
hängen, wie lang wir ihn künftig tragen werden.

Auch die Schlachtsteuer unberühmteu Angedenkens ersteht von den Toten.
Denn was anders bedeutet die Erhöhung der Schlachthausgebühr?

Nicht Steuerquellen sind es, die den Gemeinden eröffnet werden, nein
Quellchen und kümmerliche Rinnsale. Ein Nichts werden sie liefern gegen¬
über dem Massenverbrauch der heutigen Gemeinden, aber eine Menge Schrei¬
bereien, Kontrollposten und Kraftverzettelung der Beamten. Die einzige Steuer
mit tüchtiger Ertrngfähigkeit wäre eine Bierabgabe; aber „sie ist durch das
Reichsgesetz beschränkt." Die wirklichen Quellen behalten eben Reich und
Staat für sich.

Nun, die hundert Millionen müssen doch erklecklich helfen? Gewiß, aber
wem? Die armen Landstriche mit geringem Boden zahlen geringe Grund¬
steuern; die Gebäudesteuer ihrer Häuschen rechnet nicht, und von Gewerbe¬
steuer ist beim Kleinbetriebe kaum die Rede. Die reichen Gegenden haben
hohe Grundsteuern, die Mietpaläste der Großstädte enorme Nntzuugswerte.
So erläßt der Staat den armen Landstrichen winzige Beträge, und den reichen
Gegenden, voran Berlin, das es gar nicht braucht, werden Millionen geschenkt.
Wer da hat, dem wird gegeben.

Der Leser sieht ein, daß die Reform ungerecht wirken wird, und doch
schüttelt er vielleicht den Kopf. Wie anders soll denn den Gemeinden geholfen
werden? Denn krank sind sie doch.

Behauptet wird das allerdings bis zum Überdruß, aber darum braucht
es noch nicht wahr zu sein. Und in der Allgemeinheit wenigstens trifft es
nicht zu. Gott sei Dank, es giebt noch viel gesunde Gemeinden in Preußen.
Da sind eine Reihe Städte in durchaus nicht hilfloser Lage; andre, na¬
mentlich im Westen, gesunden zusehends, jetzt wo die Wohlhabenden besser
ihre Steuerpflicht erfüllen müssen. Da sind die meisten Kreise und die Bauer-
gemeiuden uns guten Füßen. Andre stehen schlecht, sehr schlecht, einige sind
mehr als übel daran. Aber woher kommt das? Sie verschulden es selbst.
Die kleinen Städte haben Großstadtpolitik getrieben, eine es der andern zu¬
vorthun wollen. Sie haben Gymnasien gegründet, die leer stehen, Volksschul¬
paläste gebaut, zu Kunststraßen, Bahuprvjckteu u. s. w. mit vollen Händen
Geld gegeben. Und das alles nicht langsam bessernd, sondern fortschritt-


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[0615] und Beiträge" des Gesetzentwurfs näher an. Wie ist uns denn? All die Plackereien der Pfennigfiuanzkuust, die wir seit dem Norddeutschen Bunde ab¬ gethan glaubten, leben wieder auf. Wer eiuen Baukouseus braucht, zahlt eine Gebühr — ob 1 Mark oder 1 Mark 20 Pfennige, wird der Regierungs¬ präsident bestimmen; wer ein Tänzchen wagen will, löst einen Erlaubnisschein für 50 Pfennige u. f. w. Wir Ältern haben das noch erlebt und uns kindlich gefreut, als der Zopf abgeschnitten wurde. Wir haben uns geirrt, er hängt uns wieder hinten, und es wird von der Findigkeit des Bürgermeisters ab¬ hängen, wie lang wir ihn künftig tragen werden. Auch die Schlachtsteuer unberühmteu Angedenkens ersteht von den Toten. Denn was anders bedeutet die Erhöhung der Schlachthausgebühr? Nicht Steuerquellen sind es, die den Gemeinden eröffnet werden, nein Quellchen und kümmerliche Rinnsale. Ein Nichts werden sie liefern gegen¬ über dem Massenverbrauch der heutigen Gemeinden, aber eine Menge Schrei¬ bereien, Kontrollposten und Kraftverzettelung der Beamten. Die einzige Steuer mit tüchtiger Ertrngfähigkeit wäre eine Bierabgabe; aber „sie ist durch das Reichsgesetz beschränkt." Die wirklichen Quellen behalten eben Reich und Staat für sich. Nun, die hundert Millionen müssen doch erklecklich helfen? Gewiß, aber wem? Die armen Landstriche mit geringem Boden zahlen geringe Grund¬ steuern; die Gebäudesteuer ihrer Häuschen rechnet nicht, und von Gewerbe¬ steuer ist beim Kleinbetriebe kaum die Rede. Die reichen Gegenden haben hohe Grundsteuern, die Mietpaläste der Großstädte enorme Nntzuugswerte. So erläßt der Staat den armen Landstrichen winzige Beträge, und den reichen Gegenden, voran Berlin, das es gar nicht braucht, werden Millionen geschenkt. Wer da hat, dem wird gegeben. Der Leser sieht ein, daß die Reform ungerecht wirken wird, und doch schüttelt er vielleicht den Kopf. Wie anders soll denn den Gemeinden geholfen werden? Denn krank sind sie doch. Behauptet wird das allerdings bis zum Überdruß, aber darum braucht es noch nicht wahr zu sein. Und in der Allgemeinheit wenigstens trifft es nicht zu. Gott sei Dank, es giebt noch viel gesunde Gemeinden in Preußen. Da sind eine Reihe Städte in durchaus nicht hilfloser Lage; andre, na¬ mentlich im Westen, gesunden zusehends, jetzt wo die Wohlhabenden besser ihre Steuerpflicht erfüllen müssen. Da sind die meisten Kreise und die Bauer- gemeiuden uns guten Füßen. Andre stehen schlecht, sehr schlecht, einige sind mehr als übel daran. Aber woher kommt das? Sie verschulden es selbst. Die kleinen Städte haben Großstadtpolitik getrieben, eine es der andern zu¬ vorthun wollen. Sie haben Gymnasien gegründet, die leer stehen, Volksschul¬ paläste gebaut, zu Kunststraßen, Bahuprvjckteu u. s. w. mit vollen Händen Geld gegeben. Und das alles nicht langsam bessernd, sondern fortschritt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/615>, abgerufen am 01.09.2024.