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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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auftretende Form des Erwerbs von Grvßvermögen ist die durch Auswuche¬
rung von Stammesgenossen." Mit Beziehung ans die großen Vermögen, die
heute an der Börse gewonnen werden, gesteht er zu: "Auch die eigentliche
Konjunktur, d. h. das divinntorische Erkennen einer herannahenden günstigen
Preisstellung, ist die reguläre Quelle mindestens der Kolossalvermögen an der
Börse nicht gewesen, sondern es war entweder eine Aktion, die den That¬
bestand des Wuchers nach moderner Auffassung in sich trägt, oder die Berich¬
tigung des Kurses mit deu Mitteln, sie durchzusetzen." Da nun aber der
Wucher nichts andres ist, als die Ausnutzung der Not des Nächsten zu
eignem Vorteil, so folgt ans dieser Charakteristik dieser Art von Vermögens-
bildnng, daß sie die Not voraussetzt; hat der Spekulant fiir seine Zwecke die
Notlage erst zu schaffen -- um so schlimmer für diese Vermögen!

Auf die schwierige Frage, ob die Häute Fiuanec, deren wahres Wesen in
der deutschen Gründerei von 1871 bis 1873 und in dem französischen Panama¬
skandal auch dem Blindesten offenbar geworden sein muß, eine für Volk und
Staat notwendige Funktion ausübe, um deren willen man sich die von ihr
untrennbaren Auswüchse gefallen lassen müsse, gehen wir hier nicht ein. "Die
städtische Grundrente, sagt Wolf, ist die in gewissem Sinne höchststehende
Varietät des Konjektnraleinkommens, weil sie die Gefahr der Niete weit mehr
ausschließt als jede andre Konjunktur." Als Beispiele für die durch steigende
städtische Grundrente erworbnen oder sozusagen von selbst gewordnen Kvlvssal-
vermögen führt er die Astors an und den Herzog von Westminster, von dem
es heißt, "daß er demnächst ans ein Jahreseinkommen von 25 Millionen
Franken werde rechnen können. Das ihm gehörige Land, im Herzen Londons,
wird heute den Hauseigentümern zu dörrenden, aber den Verhältnissen ange¬
messenen Preisen vermietet." Von allen Arten Wucher, das unterläßt Wolf
zu sagen, ist dieser wohl der schlimmste. Viele tausend Familien zwingen, den
dritten Teil ihres kärglichen, ungewissen und sauer, zum Teil durch körperlich
und sittlich schmutzigen Erwerb verdienten Einkommens für eine Wohnung zu
zahle", die oft gar keine menschliche Wohnung mehr ist, was kann es nieder¬
trächtigeres geben? Aber, wird ein solcher Herr sagen, wer zwingt sie denn?
Ich doch nicht! Sie gcbens ja freiwillig, sie reißen sich drum. Ja freilich,
nachdem man das Volk in eine Lage versetzt hat, wo es "freiwillig" die un¬
glaublichsten Entbehrungen erdulden muß. Vortrefflich hat Luther den Wucherer
charakterisirt, indem er ihn dem Cacus, diesem Bösewicht, vergleicht, der die
geraubten Rinder rücklings in seine Höhle zieht; "also will der Wucherer auch
die Welt äffen, als nütze er und gebe der Welt Ochsen, so er sie doch zu sich


Groß-, insbesondre der Kvlossalvermögen," Leider hat der Verfasser in seiner Übersicht der
Endergebnisse gerade den wichtigsten Punkt: den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kolossal-
reichtnm und Bolkselend übergangen, obwohl ihn schon gleich sein oben angeführter erster
Satz gewissermaßen mit der Nase daraus gestoßen hatte.

auftretende Form des Erwerbs von Grvßvermögen ist die durch Auswuche¬
rung von Stammesgenossen." Mit Beziehung ans die großen Vermögen, die
heute an der Börse gewonnen werden, gesteht er zu: „Auch die eigentliche
Konjunktur, d. h. das divinntorische Erkennen einer herannahenden günstigen
Preisstellung, ist die reguläre Quelle mindestens der Kolossalvermögen an der
Börse nicht gewesen, sondern es war entweder eine Aktion, die den That¬
bestand des Wuchers nach moderner Auffassung in sich trägt, oder die Berich¬
tigung des Kurses mit deu Mitteln, sie durchzusetzen." Da nun aber der
Wucher nichts andres ist, als die Ausnutzung der Not des Nächsten zu
eignem Vorteil, so folgt ans dieser Charakteristik dieser Art von Vermögens-
bildnng, daß sie die Not voraussetzt; hat der Spekulant fiir seine Zwecke die
Notlage erst zu schaffen — um so schlimmer für diese Vermögen!

Auf die schwierige Frage, ob die Häute Fiuanec, deren wahres Wesen in
der deutschen Gründerei von 1871 bis 1873 und in dem französischen Panama¬
skandal auch dem Blindesten offenbar geworden sein muß, eine für Volk und
Staat notwendige Funktion ausübe, um deren willen man sich die von ihr
untrennbaren Auswüchse gefallen lassen müsse, gehen wir hier nicht ein. „Die
städtische Grundrente, sagt Wolf, ist die in gewissem Sinne höchststehende
Varietät des Konjektnraleinkommens, weil sie die Gefahr der Niete weit mehr
ausschließt als jede andre Konjunktur." Als Beispiele für die durch steigende
städtische Grundrente erworbnen oder sozusagen von selbst gewordnen Kvlvssal-
vermögen führt er die Astors an und den Herzog von Westminster, von dem
es heißt, „daß er demnächst ans ein Jahreseinkommen von 25 Millionen
Franken werde rechnen können. Das ihm gehörige Land, im Herzen Londons,
wird heute den Hauseigentümern zu dörrenden, aber den Verhältnissen ange¬
messenen Preisen vermietet." Von allen Arten Wucher, das unterläßt Wolf
zu sagen, ist dieser wohl der schlimmste. Viele tausend Familien zwingen, den
dritten Teil ihres kärglichen, ungewissen und sauer, zum Teil durch körperlich
und sittlich schmutzigen Erwerb verdienten Einkommens für eine Wohnung zu
zahle», die oft gar keine menschliche Wohnung mehr ist, was kann es nieder¬
trächtigeres geben? Aber, wird ein solcher Herr sagen, wer zwingt sie denn?
Ich doch nicht! Sie gcbens ja freiwillig, sie reißen sich drum. Ja freilich,
nachdem man das Volk in eine Lage versetzt hat, wo es „freiwillig" die un¬
glaublichsten Entbehrungen erdulden muß. Vortrefflich hat Luther den Wucherer
charakterisirt, indem er ihn dem Cacus, diesem Bösewicht, vergleicht, der die
geraubten Rinder rücklings in seine Höhle zieht; „also will der Wucherer auch
die Welt äffen, als nütze er und gebe der Welt Ochsen, so er sie doch zu sich


Groß-, insbesondre der Kvlossalvermögen," Leider hat der Verfasser in seiner Übersicht der
Endergebnisse gerade den wichtigsten Punkt: den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kolossal-
reichtnm und Bolkselend übergangen, obwohl ihn schon gleich sein oben angeführter erster
Satz gewissermaßen mit der Nase daraus gestoßen hatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/578>, abgerufen am 26.06.2024.