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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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ihnen und einem Minister, der mehr als bisher die Interessen der Landwirte
wahrnähme; vor zwei Jahren hat sich im Auftrage des Ministers der Ge¬
heime Oberregieruugsrat Dr. Thiel die größte Mühe gegeben, die Kammern,
die wohl ein kleines Steckenpferd dieses Herrn sind, den Landwirten mund¬
gerecht zu machen. In dem weitverbreiteten landwirtschaftlichen Kalender von
Mcntzel und Lengerke erschien damals ein eingehender Artikel Thiels, der sehr
warm für die Sache eintrat; in allen Vereinen Preußens wurde darüber ver¬
handelt. Umsonst! Nur mit wenig Ausnahmen lauteten die Antworten ab¬
lehnend. "Wir wollen nicht, wir haben keine Lust, für eine solche Vertretung
ein paar Groschen mehr zu zahlen, uns sind die drei bis sechs Mark, die wir
alle Jahre für Vereinszwecke ausgeben, schon viel zu viel; für neue Kammern
könnten wir möglicherweise zwanzig oder gar dreißig Mark hergeben müssen!"
Heikle bringen alle Vereine einer Provinz kaum so viel zusammen, um ihrem
einzigen Generalsekretär einen Gehalt von sechstausend Mark zu gewähren, ge¬
schweige denn Gelder für andre notwendige Einrichtungen, die den Landwirten
ganz allein zu gute kommen. Nehmen sie doch in einzelnen Provinzen sogar
Geld von den Düngerfabrikcmtcn, um ihre eignen chemischen Kontrvllstationen
zu erhalten, die sie vor Übervorteilung durch ihre Gönner schützen sollen!

Der Gerechtigkeit wegen sei erwähnt, daß die schlesische Landwirtschaft
ihre Institute ans eignen Mitteln erhält, und daß der Zentralverein der Pro¬
vinz Sachsen die Umgestaltung in eine Kammer verlangt, um über mehr Geld¬
mittel verfügen zu können. Das Königreich Sachsen hat bereits seit längerer
Zeit eine ähnliche Einrichtung mit Besteuerungsrecht und wird in Beziehung
auf seine Landwirtschaft vorzüglich behandelt, wie denn überhaupt dieses Ge¬
werbe im Königreich auf einer sehr hohen Stufe steht. Namentlich verstehen
die Leute, die sich dort der Landwirtschaft widmen, ihr Geschäft besser, sie
lernen es gründlicher als so viele, viele der heutigen Uuzufriedneu aus den
preußischen Ostprovinzen, die oft eine militärische oder juristische Laufbahn für
die beste Vorbereitung zur Verwaltung eines Gutes halten.

Herr Ruprecht hat auf das Beispiel der Sozialdemokraten hingewiesen,
den Streik der Negierung, den Bohkvtt den unbotmäßigen Abgeordneten gegen¬
über verkündet, nun fehlte bloß noch der "Gleichtritt der Massenbataillone"
auf dem hauptstädtischen Asphalt, und auch der ist nicht ausgeblieben.

Am 18. Februar hat in Berlin eine Massenversammlung von Landwirten
stattgefunden, wie sie überhaupt wohl noch nicht dagewesen ist; acht- bis zehn¬
tausend Männer aus allen Teilen Deutschlands, allerdings meist aus Ost¬
deutschland, zum Teil freiwillig, zum Teil als Abgesandte landwirtschaftlicher
Vereine waren erschienen, um ihrem Unmut weithinschallender Ausdruck zu
geben über den Rückgang der deutschen Landwirtschaft und die ihrer Ansicht
uach schädlichen Maßregeln der Regierung. Trotz der riesenhaften Menschen-
znhl haben die Verhandlungen einen verhältnismäßig ruhigen, ernsten Verlauf


ihnen und einem Minister, der mehr als bisher die Interessen der Landwirte
wahrnähme; vor zwei Jahren hat sich im Auftrage des Ministers der Ge¬
heime Oberregieruugsrat Dr. Thiel die größte Mühe gegeben, die Kammern,
die wohl ein kleines Steckenpferd dieses Herrn sind, den Landwirten mund¬
gerecht zu machen. In dem weitverbreiteten landwirtschaftlichen Kalender von
Mcntzel und Lengerke erschien damals ein eingehender Artikel Thiels, der sehr
warm für die Sache eintrat; in allen Vereinen Preußens wurde darüber ver¬
handelt. Umsonst! Nur mit wenig Ausnahmen lauteten die Antworten ab¬
lehnend. „Wir wollen nicht, wir haben keine Lust, für eine solche Vertretung
ein paar Groschen mehr zu zahlen, uns sind die drei bis sechs Mark, die wir
alle Jahre für Vereinszwecke ausgeben, schon viel zu viel; für neue Kammern
könnten wir möglicherweise zwanzig oder gar dreißig Mark hergeben müssen!"
Heikle bringen alle Vereine einer Provinz kaum so viel zusammen, um ihrem
einzigen Generalsekretär einen Gehalt von sechstausend Mark zu gewähren, ge¬
schweige denn Gelder für andre notwendige Einrichtungen, die den Landwirten
ganz allein zu gute kommen. Nehmen sie doch in einzelnen Provinzen sogar
Geld von den Düngerfabrikcmtcn, um ihre eignen chemischen Kontrvllstationen
zu erhalten, die sie vor Übervorteilung durch ihre Gönner schützen sollen!

Der Gerechtigkeit wegen sei erwähnt, daß die schlesische Landwirtschaft
ihre Institute ans eignen Mitteln erhält, und daß der Zentralverein der Pro¬
vinz Sachsen die Umgestaltung in eine Kammer verlangt, um über mehr Geld¬
mittel verfügen zu können. Das Königreich Sachsen hat bereits seit längerer
Zeit eine ähnliche Einrichtung mit Besteuerungsrecht und wird in Beziehung
auf seine Landwirtschaft vorzüglich behandelt, wie denn überhaupt dieses Ge¬
werbe im Königreich auf einer sehr hohen Stufe steht. Namentlich verstehen
die Leute, die sich dort der Landwirtschaft widmen, ihr Geschäft besser, sie
lernen es gründlicher als so viele, viele der heutigen Uuzufriedneu aus den
preußischen Ostprovinzen, die oft eine militärische oder juristische Laufbahn für
die beste Vorbereitung zur Verwaltung eines Gutes halten.

Herr Ruprecht hat auf das Beispiel der Sozialdemokraten hingewiesen,
den Streik der Negierung, den Bohkvtt den unbotmäßigen Abgeordneten gegen¬
über verkündet, nun fehlte bloß noch der „Gleichtritt der Massenbataillone"
auf dem hauptstädtischen Asphalt, und auch der ist nicht ausgeblieben.

Am 18. Februar hat in Berlin eine Massenversammlung von Landwirten
stattgefunden, wie sie überhaupt wohl noch nicht dagewesen ist; acht- bis zehn¬
tausend Männer aus allen Teilen Deutschlands, allerdings meist aus Ost¬
deutschland, zum Teil freiwillig, zum Teil als Abgesandte landwirtschaftlicher
Vereine waren erschienen, um ihrem Unmut weithinschallender Ausdruck zu
geben über den Rückgang der deutschen Landwirtschaft und die ihrer Ansicht
uach schädlichen Maßregeln der Regierung. Trotz der riesenhaften Menschen-
znhl haben die Verhandlungen einen verhältnismäßig ruhigen, ernsten Verlauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/480>, abgerufen am 26.06.2024.