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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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drücken kann, denn in manchen Betrieben erreicht sie fast die Höhe der Grund¬
steuer; nebenbei ist sie in ihrer Form höchst lästig. Ob sich die ganze Ein¬
richtung im weitern Verlauf bewähren wird, ist heute uoch nicht mit Bestimmt¬
heit vorauszusagen; jedenfalls kann man sie nicht dem neuen Kurs in die
Schuhe schieben, und jetzt das großartige letzte Werk Kaiser Wilhelms durch
unsinniges Geschrei in der Entwicklung zu stören, erscheint uns doch eiues
ernsten Mannes nicht würdig. Gerade die Landwirte Schlesiens haben lange
Jahre hindurch so viel an ihren guten, willigen Arbeitern gesündigt -- wir
erinnern nur an die Gesindehäuser, an die mangelhafte Kost und den niedrigen
Lohn--, daß sie sich heute am wenigsten beschweren dürfen, wenn sie das
Gesetz mit heranzieht zum Beitrag für die verschiednen Arbeiterversicherungeu.

Aber die Klage über die zu wenig liebenswürdige Behandlung der land¬
wirtschaftlichen Industrien, d. h. nur der Zuckerfabrikativu und Brennerei (die
zahlreich in Deutschland vertretne" Stärkefabriken tragen keine Extrasteuer), hat
zweifellos ihre Berechtigung. Es ist wahr, daß alle andern Nationen, nament¬
lich Frankreich und Rußland, ganz anders als Deutschland durch Exportprä¬
mien und sonstige Entschädigungen für das Gedeihen ihrer Zucker- und Spiritus¬
industrie sorgen; sie haben jetzt den alten preußischen Grundsatz angenommen,
der scheinbar vor dem großen Geldbedürfnis des Staates bei uns hat weichen
müssen. Die deutsche Landwirtschaft hat in den letzten dreißig Jahren folgende
schwer zu ersetzende Verluste gehabt: der Ölfruchtban ist fast ganz durch die
Einführung des russischen u,ut amerikanischen Petroleums verdrängt, die Woll¬
schafzucht durch Australien und Südamerika zu Tode gebracht, die Viehmast
durch die hohen Zollschranke,? Frankreichs, die Absperrung Englands und die
Konkurrenz Amerikas und Australiens sehr herabgedrückt worden. Noch bleibt
die Nübenzuckerfabrikation gewinnbringend -- soll auch sie, diese große Arbeit¬
geberin und Futterlieferantin unrentabel werden? Infolge des letzten Spiritus¬
steuergesetzes und des schwindenden Exports verarbeitet eine große Zahl der
Brennereien des Ostens nur uoch ein Drittel der Kartoffelmenge, die früher
eingemaischt wurde; die Brennereigüter können mit der heute erzielten Schlempe
nur noch einen verkleinerten Biehstand erhalten, und die ausgedehnten Mästungen
haben fast ganz aufgehört. Zwei Industrien, die der allgemeinen landwirt¬
schaftlichen Kultur so viel nützen und genutzt haben, dabei so bedeutende
Steuersummeu schon aufbringen (1890/91 Zucker 75 759800 Mark; Spiritus
im alten Brauntweinsteuergebiet 123269400 Mark, zusammen 199029200 Mary,
sollten mit größerer Freundlichkeit vom Herrn Finanzminister behandelt oder
vom Laudwirtschaftsminister besser in Schutz genommen werden. Soll doch
selbst die Ameise ihren Milchkühen, den Blattläusen, zu einer guten Weide
Verhelfen, um sie bei Gesundheit und Steuerfähigkeit zu erhalten. MWIa
clovLt. Du sollst der einzigen Milchkuh nicht den Hals umdrehen, des biblischen
Ochsen, der da drischt, gar nicht zu gedenken! Der Vorteil des Kartoffelbaues


drücken kann, denn in manchen Betrieben erreicht sie fast die Höhe der Grund¬
steuer; nebenbei ist sie in ihrer Form höchst lästig. Ob sich die ganze Ein¬
richtung im weitern Verlauf bewähren wird, ist heute uoch nicht mit Bestimmt¬
heit vorauszusagen; jedenfalls kann man sie nicht dem neuen Kurs in die
Schuhe schieben, und jetzt das großartige letzte Werk Kaiser Wilhelms durch
unsinniges Geschrei in der Entwicklung zu stören, erscheint uns doch eiues
ernsten Mannes nicht würdig. Gerade die Landwirte Schlesiens haben lange
Jahre hindurch so viel an ihren guten, willigen Arbeitern gesündigt — wir
erinnern nur an die Gesindehäuser, an die mangelhafte Kost und den niedrigen
Lohn—, daß sie sich heute am wenigsten beschweren dürfen, wenn sie das
Gesetz mit heranzieht zum Beitrag für die verschiednen Arbeiterversicherungeu.

Aber die Klage über die zu wenig liebenswürdige Behandlung der land¬
wirtschaftlichen Industrien, d. h. nur der Zuckerfabrikativu und Brennerei (die
zahlreich in Deutschland vertretne» Stärkefabriken tragen keine Extrasteuer), hat
zweifellos ihre Berechtigung. Es ist wahr, daß alle andern Nationen, nament¬
lich Frankreich und Rußland, ganz anders als Deutschland durch Exportprä¬
mien und sonstige Entschädigungen für das Gedeihen ihrer Zucker- und Spiritus¬
industrie sorgen; sie haben jetzt den alten preußischen Grundsatz angenommen,
der scheinbar vor dem großen Geldbedürfnis des Staates bei uns hat weichen
müssen. Die deutsche Landwirtschaft hat in den letzten dreißig Jahren folgende
schwer zu ersetzende Verluste gehabt: der Ölfruchtban ist fast ganz durch die
Einführung des russischen u,ut amerikanischen Petroleums verdrängt, die Woll¬
schafzucht durch Australien und Südamerika zu Tode gebracht, die Viehmast
durch die hohen Zollschranke,? Frankreichs, die Absperrung Englands und die
Konkurrenz Amerikas und Australiens sehr herabgedrückt worden. Noch bleibt
die Nübenzuckerfabrikation gewinnbringend — soll auch sie, diese große Arbeit¬
geberin und Futterlieferantin unrentabel werden? Infolge des letzten Spiritus¬
steuergesetzes und des schwindenden Exports verarbeitet eine große Zahl der
Brennereien des Ostens nur uoch ein Drittel der Kartoffelmenge, die früher
eingemaischt wurde; die Brennereigüter können mit der heute erzielten Schlempe
nur noch einen verkleinerten Biehstand erhalten, und die ausgedehnten Mästungen
haben fast ganz aufgehört. Zwei Industrien, die der allgemeinen landwirt¬
schaftlichen Kultur so viel nützen und genutzt haben, dabei so bedeutende
Steuersummeu schon aufbringen (1890/91 Zucker 75 759800 Mark; Spiritus
im alten Brauntweinsteuergebiet 123269400 Mark, zusammen 199029200 Mary,
sollten mit größerer Freundlichkeit vom Herrn Finanzminister behandelt oder
vom Laudwirtschaftsminister besser in Schutz genommen werden. Soll doch
selbst die Ameise ihren Milchkühen, den Blattläusen, zu einer guten Weide
Verhelfen, um sie bei Gesundheit und Steuerfähigkeit zu erhalten. MWIa
clovLt. Du sollst der einzigen Milchkuh nicht den Hals umdrehen, des biblischen
Ochsen, der da drischt, gar nicht zu gedenken! Der Vorteil des Kartoffelbaues


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/473>, abgerufen am 26.06.2024.