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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Bund der Landwirte

zu verkaufen, und der Ertrag der Milch ist durch die Maul- und Klauen¬
seuche um 3000 Mark zurückgegangen; Schafe giebts nicht mehr, Schweine
aufzuziehen oder zu mästen ist nicht mehr möglich. Also, Herr Minister, die
Rechnung ist leicht: Gewinn am Getreide gegen 1891 1600 Mark, Verlust
an Vieh'3000 Mark, mithin Minderertrag 1400 Mark. Das ist das ge¬
segnete Jahr 1892. Die Zuckerfabriken werden auch nicht mehr lange in der
Lage sein, uus Rüben abzunehmen, gerade wie die Brennereien schon heute
zwei Drittel weniger Kartoffeln verarbeiten, als vor dem neuen Stenergesetz!
Man schlachtet uns die Kuh ab und verlangt dann, daß wir noch Milch
liefern sollen. Und wer ist an all dem Elend schuld? Die Negierung mit
ihren ewigen neuen Gesetzen und Zvllermüßigungeu. Auf die Grenzen paßt
sie auch nicht auf -- woher bekommen wir denn all die Seuchen, wenn nicht
aus Österreich und Rußland! Was nutzt es, daß man sich die größte Mühe
giebt, seine Scholle zu verbessern, wenn am grünen Tisch in kurzsichtigster
und schädlichster Weise eingegriffen wird? Das ist doch geradezu, um sozial-
demokratisch zu werden! Zu Bismarcks Zeiten, da wars ja auch nicht immer
schon, der hatte aber doch ein Herz für die Landwirtschaft, war selbst Guts¬
besitzer und räumte endlich mit dem wahnsinnigen Freihandel auf! Die Männer
aber, die heute an der Spitze stehen, verachten ja geradezu die Landwirtschaft,
kennen sie auch gar nicht, reisen erst im Lande umher, um sie vom Kupee-
feuster aus kennen zu lernen, und urteilen von der Güte des Rotweins
ihrer hvchadlichen Gastfreunde ans den Zustand der Landwirtschaft. Und unsre
landwirtschaftlichen Abgeordneten -- schöne Herren! Schweigen wir lieber
darüber. Wenn sie den Mund aufthun, blamiren sie sich, verstehen die Sache
uicht genügend, über die verhandelt wird, oder können sie nicht klar darstellen
und lassen sich von den Städtern über den Löffel barbieren. Der Herr
Minister aber, der mit dem langen Titel, ist kein Landwirt, sondern ein Jurist
so gut wie seine Räte!

In diese Stimmung nun, die jetzt mit wenig Ausnahmen auf dein Lande
herrscht -- es ist das mit Leichtigkeit aus Briefen, aus dem Ton, in dem in
Privatgesellschaften wie öffentlich über die preußische und die Neichsregieruug
gesprochen wird, nachzuweisen --, platzte zu Neujahr ein Kriegsgeschrei, das
in ganz Deutschland wie der Schuß aus eiuer Lärmkanone wirkte. Ans Bunzlau,
von Alters her berühmt durch seine braunen Kaffeekannen, kam der Ruf. Dort
erscheint die "Landwirtschaftliche Tierzucht, illustrirtes Fachblatt für rationelle
Viehhaltung, Milchwirtschaft und Futterbau," neuerdings anch für Politik.
Diese Zeitung brachte zuerst deu Alarmartikel, der dann mit unglaublicher
Schnelligkeit in alle Welt, einschließlich der Kreuzzeitung und des Reichstags
geflogen ist. "Ein Vorschlag zur Verbesserung unsrer Lage" -- so hat ihn
Herr Ruprecht, Pächter des zweitausend Morgen großen Stadtgutes Ransern
bei Breslau, getauft. Groß ist die Zahl der Zuschriften, die der Verfasser,


Der Bund der Landwirte

zu verkaufen, und der Ertrag der Milch ist durch die Maul- und Klauen¬
seuche um 3000 Mark zurückgegangen; Schafe giebts nicht mehr, Schweine
aufzuziehen oder zu mästen ist nicht mehr möglich. Also, Herr Minister, die
Rechnung ist leicht: Gewinn am Getreide gegen 1891 1600 Mark, Verlust
an Vieh'3000 Mark, mithin Minderertrag 1400 Mark. Das ist das ge¬
segnete Jahr 1892. Die Zuckerfabriken werden auch nicht mehr lange in der
Lage sein, uus Rüben abzunehmen, gerade wie die Brennereien schon heute
zwei Drittel weniger Kartoffeln verarbeiten, als vor dem neuen Stenergesetz!
Man schlachtet uns die Kuh ab und verlangt dann, daß wir noch Milch
liefern sollen. Und wer ist an all dem Elend schuld? Die Negierung mit
ihren ewigen neuen Gesetzen und Zvllermüßigungeu. Auf die Grenzen paßt
sie auch nicht auf — woher bekommen wir denn all die Seuchen, wenn nicht
aus Österreich und Rußland! Was nutzt es, daß man sich die größte Mühe
giebt, seine Scholle zu verbessern, wenn am grünen Tisch in kurzsichtigster
und schädlichster Weise eingegriffen wird? Das ist doch geradezu, um sozial-
demokratisch zu werden! Zu Bismarcks Zeiten, da wars ja auch nicht immer
schon, der hatte aber doch ein Herz für die Landwirtschaft, war selbst Guts¬
besitzer und räumte endlich mit dem wahnsinnigen Freihandel auf! Die Männer
aber, die heute an der Spitze stehen, verachten ja geradezu die Landwirtschaft,
kennen sie auch gar nicht, reisen erst im Lande umher, um sie vom Kupee-
feuster aus kennen zu lernen, und urteilen von der Güte des Rotweins
ihrer hvchadlichen Gastfreunde ans den Zustand der Landwirtschaft. Und unsre
landwirtschaftlichen Abgeordneten — schöne Herren! Schweigen wir lieber
darüber. Wenn sie den Mund aufthun, blamiren sie sich, verstehen die Sache
uicht genügend, über die verhandelt wird, oder können sie nicht klar darstellen
und lassen sich von den Städtern über den Löffel barbieren. Der Herr
Minister aber, der mit dem langen Titel, ist kein Landwirt, sondern ein Jurist
so gut wie seine Räte!

In diese Stimmung nun, die jetzt mit wenig Ausnahmen auf dein Lande
herrscht — es ist das mit Leichtigkeit aus Briefen, aus dem Ton, in dem in
Privatgesellschaften wie öffentlich über die preußische und die Neichsregieruug
gesprochen wird, nachzuweisen —, platzte zu Neujahr ein Kriegsgeschrei, das
in ganz Deutschland wie der Schuß aus eiuer Lärmkanone wirkte. Ans Bunzlau,
von Alters her berühmt durch seine braunen Kaffeekannen, kam der Ruf. Dort
erscheint die „Landwirtschaftliche Tierzucht, illustrirtes Fachblatt für rationelle
Viehhaltung, Milchwirtschaft und Futterbau," neuerdings anch für Politik.
Diese Zeitung brachte zuerst deu Alarmartikel, der dann mit unglaublicher
Schnelligkeit in alle Welt, einschließlich der Kreuzzeitung und des Reichstags
geflogen ist. „Ein Vorschlag zur Verbesserung unsrer Lage" — so hat ihn
Herr Ruprecht, Pächter des zweitausend Morgen großen Stadtgutes Ransern
bei Breslau, getauft. Groß ist die Zahl der Zuschriften, die der Verfasser,


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[0469] Der Bund der Landwirte zu verkaufen, und der Ertrag der Milch ist durch die Maul- und Klauen¬ seuche um 3000 Mark zurückgegangen; Schafe giebts nicht mehr, Schweine aufzuziehen oder zu mästen ist nicht mehr möglich. Also, Herr Minister, die Rechnung ist leicht: Gewinn am Getreide gegen 1891 1600 Mark, Verlust an Vieh'3000 Mark, mithin Minderertrag 1400 Mark. Das ist das ge¬ segnete Jahr 1892. Die Zuckerfabriken werden auch nicht mehr lange in der Lage sein, uus Rüben abzunehmen, gerade wie die Brennereien schon heute zwei Drittel weniger Kartoffeln verarbeiten, als vor dem neuen Stenergesetz! Man schlachtet uns die Kuh ab und verlangt dann, daß wir noch Milch liefern sollen. Und wer ist an all dem Elend schuld? Die Negierung mit ihren ewigen neuen Gesetzen und Zvllermüßigungeu. Auf die Grenzen paßt sie auch nicht auf — woher bekommen wir denn all die Seuchen, wenn nicht aus Österreich und Rußland! Was nutzt es, daß man sich die größte Mühe giebt, seine Scholle zu verbessern, wenn am grünen Tisch in kurzsichtigster und schädlichster Weise eingegriffen wird? Das ist doch geradezu, um sozial- demokratisch zu werden! Zu Bismarcks Zeiten, da wars ja auch nicht immer schon, der hatte aber doch ein Herz für die Landwirtschaft, war selbst Guts¬ besitzer und räumte endlich mit dem wahnsinnigen Freihandel auf! Die Männer aber, die heute an der Spitze stehen, verachten ja geradezu die Landwirtschaft, kennen sie auch gar nicht, reisen erst im Lande umher, um sie vom Kupee- feuster aus kennen zu lernen, und urteilen von der Güte des Rotweins ihrer hvchadlichen Gastfreunde ans den Zustand der Landwirtschaft. Und unsre landwirtschaftlichen Abgeordneten — schöne Herren! Schweigen wir lieber darüber. Wenn sie den Mund aufthun, blamiren sie sich, verstehen die Sache uicht genügend, über die verhandelt wird, oder können sie nicht klar darstellen und lassen sich von den Städtern über den Löffel barbieren. Der Herr Minister aber, der mit dem langen Titel, ist kein Landwirt, sondern ein Jurist so gut wie seine Räte! In diese Stimmung nun, die jetzt mit wenig Ausnahmen auf dein Lande herrscht — es ist das mit Leichtigkeit aus Briefen, aus dem Ton, in dem in Privatgesellschaften wie öffentlich über die preußische und die Neichsregieruug gesprochen wird, nachzuweisen —, platzte zu Neujahr ein Kriegsgeschrei, das in ganz Deutschland wie der Schuß aus eiuer Lärmkanone wirkte. Ans Bunzlau, von Alters her berühmt durch seine braunen Kaffeekannen, kam der Ruf. Dort erscheint die „Landwirtschaftliche Tierzucht, illustrirtes Fachblatt für rationelle Viehhaltung, Milchwirtschaft und Futterbau," neuerdings anch für Politik. Diese Zeitung brachte zuerst deu Alarmartikel, der dann mit unglaublicher Schnelligkeit in alle Welt, einschließlich der Kreuzzeitung und des Reichstags geflogen ist. „Ein Vorschlag zur Verbesserung unsrer Lage" — so hat ihn Herr Ruprecht, Pächter des zweitausend Morgen großen Stadtgutes Ransern bei Breslau, getauft. Groß ist die Zahl der Zuschriften, die der Verfasser,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/469>, abgerufen am 29.11.2024.