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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

also entweder die Genehmigung für die letzte Emission verweigern oder den Knnnlbcm
selbst in die Hemd nehmen und von Staatswegen überwachen. Sie zogen das
leichtere und vorteilhaftere vor und teilten sich mit den Finanzmännern in die
Beute. Um das Unternehmen fortfiihren zu können -- so hat Karl von Lesseps
in einem seiner Verhöre ausgesagt -- , sei es eben unumgänglich notwendig gewesen,
"durch das kcmdinische Joch der Finanzleute zu kriechen." Diese Lage der Dinge
mußte verhüllt und darum der geniale Unternehmer als der eigentlich Schuldige
hingestellt werden.


Zur Logik der Weltgeschichte.

In einem angesehnen Blatte begegneten
wir vor einiger Zeit folgender Mitteilung: "Nach einem in England lange an¬
erkannten Prinzip bilden in den Kohlenzechen die Kohlenpreise die Grundlage für
die Gestaltung der Löhne, in der Art, daß entweder in der Form der gleitenden
Skala oder der Unterhandlung zwischen Vertretern der Arbeiter und der Unter¬
nehmer der Lohn der Arbeiter mit dem Gewinn der Unternehmer steigen oder
(und!) fallen soll. Nun waren seit 1887 die Kohlenpreise bedeutend gestiegen;
doch trat mit dem Jahre 1890 eine rückläufige Bewegung ein. Bei diesem Rück¬
gange der Preise mußten die Arbeiter einer Lvhnermäßigung entgegensehen; und
um dieser zu entgehen, beschloß die Föderation der Grubeunrbeiter, eine haupt¬
sachlich in deu mittlern Grafschaften vertretne Vereinigung, durch eine allgemeine
Arbeitseinstellung eine Verminderung der Förderung und einen Verbrauch der Vor¬
räte zu veranlassen, um durch das derart eingeschränkte Angebot einem weitern
Rückgange der Preise vorzubeugen."

Dieser Vorgang zeigt in engem Rahmen, wie die Weltgeschichte arbeitet. Das
Herkommen oder Übereinkommen, kraft dessen der Arbeiterlohn mit dem Unter¬
nehmergewinn stieg und fiel, bildete -- gleichviel, ob es auf ausdrücklicher oder
auf langjähriger stillschweigender Anerkennung beider Teile beruhte -- zwischen
ihnen geltendes Recht. Dieses geltende Recht enthielt jedoch ein materielles Un¬
recht; nämlich an der Stelle, wo es unterließ, zwischen der steigenden und der
sollenden Preisbewegung einen Unterschied zu Gunsten der Arbeiter festzusetzen.
Denn thatsächlich bedeutet der Lohn für deu Arbeiter etwas andres als der Ge¬
winn für den Unternehmer: der Arbeiter verspürt die fallende Bewegung ans der
Haut, der Unternehmer erst am Rock. Ihr gegenüber hätte also der Arbeiter
günstiger gestellt werden müssen als der Unternehmer, wenn die Teilung nicht
scheinbar, sondern wirklich gerecht sein sollte.

Aber die Thatsache, daß eine Lohuvermindernng den Arbeiter empfindlicher
trifft als eine Gewinnvermindernng den Unternehmer, war damit, daß sie in dem
erwähnten Herkommen oder Übereinkommen keine Berücksichtigung gefunden hatte,
nicht aus der Welt geschafft. Und es gewährt einen merkwürdigen Anblick, mit
welcher Folgerichtigkeit diese schwache Stelle in dem anscheinend so vortrefflichen
Bnlkeugefllge, das die Kluft zwischen Unternehmern und Arbeitern überbrücken
sollte, bei der ersten außergewöhnlichen Anspannung seiner Tragfähigkeit zu Tage
tritt. Die Arbeiter suchen der fallenden Preisbewegung dnrch an sich erlaubte, im
gegebnen Falle aber vertragswidrige Mittel entgegenzuwirken: sie begehen nunmehr
ein formelles Unrecht auf demselben Punkte, wo die Unternehmer das materielle
Unrecht begangen hatten.

Man sieht hier unter anderm, wie wenig Ereignisse dieser Art von den zu¬
fällig führenden Personen hervorgerufen werden. Durch die Köpfe der Menschen
hindurch geht die Geschichte ihren gesetzmäßigen Weg. Ist in ihnen eine Frage


Grenzboten I 18W S7
Maßgebliches und Unmaßgebliches

also entweder die Genehmigung für die letzte Emission verweigern oder den Knnnlbcm
selbst in die Hemd nehmen und von Staatswegen überwachen. Sie zogen das
leichtere und vorteilhaftere vor und teilten sich mit den Finanzmännern in die
Beute. Um das Unternehmen fortfiihren zu können — so hat Karl von Lesseps
in einem seiner Verhöre ausgesagt — , sei es eben unumgänglich notwendig gewesen,
„durch das kcmdinische Joch der Finanzleute zu kriechen." Diese Lage der Dinge
mußte verhüllt und darum der geniale Unternehmer als der eigentlich Schuldige
hingestellt werden.


Zur Logik der Weltgeschichte.

In einem angesehnen Blatte begegneten
wir vor einiger Zeit folgender Mitteilung: „Nach einem in England lange an¬
erkannten Prinzip bilden in den Kohlenzechen die Kohlenpreise die Grundlage für
die Gestaltung der Löhne, in der Art, daß entweder in der Form der gleitenden
Skala oder der Unterhandlung zwischen Vertretern der Arbeiter und der Unter¬
nehmer der Lohn der Arbeiter mit dem Gewinn der Unternehmer steigen oder
(und!) fallen soll. Nun waren seit 1887 die Kohlenpreise bedeutend gestiegen;
doch trat mit dem Jahre 1890 eine rückläufige Bewegung ein. Bei diesem Rück¬
gange der Preise mußten die Arbeiter einer Lvhnermäßigung entgegensehen; und
um dieser zu entgehen, beschloß die Föderation der Grubeunrbeiter, eine haupt¬
sachlich in deu mittlern Grafschaften vertretne Vereinigung, durch eine allgemeine
Arbeitseinstellung eine Verminderung der Förderung und einen Verbrauch der Vor¬
räte zu veranlassen, um durch das derart eingeschränkte Angebot einem weitern
Rückgange der Preise vorzubeugen."

Dieser Vorgang zeigt in engem Rahmen, wie die Weltgeschichte arbeitet. Das
Herkommen oder Übereinkommen, kraft dessen der Arbeiterlohn mit dem Unter¬
nehmergewinn stieg und fiel, bildete — gleichviel, ob es auf ausdrücklicher oder
auf langjähriger stillschweigender Anerkennung beider Teile beruhte — zwischen
ihnen geltendes Recht. Dieses geltende Recht enthielt jedoch ein materielles Un¬
recht; nämlich an der Stelle, wo es unterließ, zwischen der steigenden und der
sollenden Preisbewegung einen Unterschied zu Gunsten der Arbeiter festzusetzen.
Denn thatsächlich bedeutet der Lohn für deu Arbeiter etwas andres als der Ge¬
winn für den Unternehmer: der Arbeiter verspürt die fallende Bewegung ans der
Haut, der Unternehmer erst am Rock. Ihr gegenüber hätte also der Arbeiter
günstiger gestellt werden müssen als der Unternehmer, wenn die Teilung nicht
scheinbar, sondern wirklich gerecht sein sollte.

Aber die Thatsache, daß eine Lohuvermindernng den Arbeiter empfindlicher
trifft als eine Gewinnvermindernng den Unternehmer, war damit, daß sie in dem
erwähnten Herkommen oder Übereinkommen keine Berücksichtigung gefunden hatte,
nicht aus der Welt geschafft. Und es gewährt einen merkwürdigen Anblick, mit
welcher Folgerichtigkeit diese schwache Stelle in dem anscheinend so vortrefflichen
Bnlkeugefllge, das die Kluft zwischen Unternehmern und Arbeitern überbrücken
sollte, bei der ersten außergewöhnlichen Anspannung seiner Tragfähigkeit zu Tage
tritt. Die Arbeiter suchen der fallenden Preisbewegung dnrch an sich erlaubte, im
gegebnen Falle aber vertragswidrige Mittel entgegenzuwirken: sie begehen nunmehr
ein formelles Unrecht auf demselben Punkte, wo die Unternehmer das materielle
Unrecht begangen hatten.

Man sieht hier unter anderm, wie wenig Ereignisse dieser Art von den zu¬
fällig führenden Personen hervorgerufen werden. Durch die Köpfe der Menschen
hindurch geht die Geschichte ihren gesetzmäßigen Weg. Ist in ihnen eine Frage


Grenzboten I 18W S7
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[0459] Maßgebliches und Unmaßgebliches also entweder die Genehmigung für die letzte Emission verweigern oder den Knnnlbcm selbst in die Hemd nehmen und von Staatswegen überwachen. Sie zogen das leichtere und vorteilhaftere vor und teilten sich mit den Finanzmännern in die Beute. Um das Unternehmen fortfiihren zu können — so hat Karl von Lesseps in einem seiner Verhöre ausgesagt — , sei es eben unumgänglich notwendig gewesen, „durch das kcmdinische Joch der Finanzleute zu kriechen." Diese Lage der Dinge mußte verhüllt und darum der geniale Unternehmer als der eigentlich Schuldige hingestellt werden. Zur Logik der Weltgeschichte. In einem angesehnen Blatte begegneten wir vor einiger Zeit folgender Mitteilung: „Nach einem in England lange an¬ erkannten Prinzip bilden in den Kohlenzechen die Kohlenpreise die Grundlage für die Gestaltung der Löhne, in der Art, daß entweder in der Form der gleitenden Skala oder der Unterhandlung zwischen Vertretern der Arbeiter und der Unter¬ nehmer der Lohn der Arbeiter mit dem Gewinn der Unternehmer steigen oder (und!) fallen soll. Nun waren seit 1887 die Kohlenpreise bedeutend gestiegen; doch trat mit dem Jahre 1890 eine rückläufige Bewegung ein. Bei diesem Rück¬ gange der Preise mußten die Arbeiter einer Lvhnermäßigung entgegensehen; und um dieser zu entgehen, beschloß die Föderation der Grubeunrbeiter, eine haupt¬ sachlich in deu mittlern Grafschaften vertretne Vereinigung, durch eine allgemeine Arbeitseinstellung eine Verminderung der Förderung und einen Verbrauch der Vor¬ räte zu veranlassen, um durch das derart eingeschränkte Angebot einem weitern Rückgange der Preise vorzubeugen." Dieser Vorgang zeigt in engem Rahmen, wie die Weltgeschichte arbeitet. Das Herkommen oder Übereinkommen, kraft dessen der Arbeiterlohn mit dem Unter¬ nehmergewinn stieg und fiel, bildete — gleichviel, ob es auf ausdrücklicher oder auf langjähriger stillschweigender Anerkennung beider Teile beruhte — zwischen ihnen geltendes Recht. Dieses geltende Recht enthielt jedoch ein materielles Un¬ recht; nämlich an der Stelle, wo es unterließ, zwischen der steigenden und der sollenden Preisbewegung einen Unterschied zu Gunsten der Arbeiter festzusetzen. Denn thatsächlich bedeutet der Lohn für deu Arbeiter etwas andres als der Ge¬ winn für den Unternehmer: der Arbeiter verspürt die fallende Bewegung ans der Haut, der Unternehmer erst am Rock. Ihr gegenüber hätte also der Arbeiter günstiger gestellt werden müssen als der Unternehmer, wenn die Teilung nicht scheinbar, sondern wirklich gerecht sein sollte. Aber die Thatsache, daß eine Lohuvermindernng den Arbeiter empfindlicher trifft als eine Gewinnvermindernng den Unternehmer, war damit, daß sie in dem erwähnten Herkommen oder Übereinkommen keine Berücksichtigung gefunden hatte, nicht aus der Welt geschafft. Und es gewährt einen merkwürdigen Anblick, mit welcher Folgerichtigkeit diese schwache Stelle in dem anscheinend so vortrefflichen Bnlkeugefllge, das die Kluft zwischen Unternehmern und Arbeitern überbrücken sollte, bei der ersten außergewöhnlichen Anspannung seiner Tragfähigkeit zu Tage tritt. Die Arbeiter suchen der fallenden Preisbewegung dnrch an sich erlaubte, im gegebnen Falle aber vertragswidrige Mittel entgegenzuwirken: sie begehen nunmehr ein formelles Unrecht auf demselben Punkte, wo die Unternehmer das materielle Unrecht begangen hatten. Man sieht hier unter anderm, wie wenig Ereignisse dieser Art von den zu¬ fällig führenden Personen hervorgerufen werden. Durch die Köpfe der Menschen hindurch geht die Geschichte ihren gesetzmäßigen Weg. Ist in ihnen eine Frage Grenzboten I 18W S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/459>, abgerufen am 28.11.2024.